Buchrezensionen, Rezensionen

M.S. Bastian/Isabelle L.: Bastokalypse, Scheidegger & Spiess 2011

Die Offenbarung des Johannes umfasst 22 Kapitel vom Weltuntergang bis zum himmlischen Jerusalem. Die »Bastokalypse« ist etwa 13 Meter lang und enthält kein Himmelreich. Der Titel ist ein Wortspiel aus Apokalypse und dem Namen Bastian. Es ist ein Bilderreigen des Entsetzens, der voller Anspielungen an die Kunstgeschichte steckt. Die Form der Bastokalypse als ausklappbarer Bilderbogen, der eine Panoramasicht bietet, lässt den Schrecken ferner weder Anfang noch Ende nehmen. Rowena Fuß hat es sich angesehen.

Wie eine Medaille besitzt das Leporello eine Text- und eine Bildseite. Auf den Textmetern findet der Leser-Betrachter Erklärungen zur Bastokalypse vom Kulturjournalist und Kunstkritiker Konrad Tobler, der die vielfältigen Beziehungen zu apokalyptischen Darstellungen und deren Geistesgeschichte beschreibt.

Als Basis dient ihm die Auseinandersetzung des Menschen mit seinem Tod, ein seit jeher faszinierendes wie schauriges Thema. Diesbezüglich verweist Tobler auf die Tradition des Totentanzes oder den mexikanischen Totenkult, wie im Werk des Kupferstechers und Karikaturisten José Guadalupe Posada (1854-1913) fassbar. Zahlreiche Skelette und Schädel in der Bastokalypse zeigen eine große Ähnlichkeit zu dessen Schöpfungen.

Ausgangspunkt für die Apokalypse nach M.S. Bastian und Isabelle L. bildet die fiktive Großstadt Bastopolis, ein Wirrwarr an Gebäuden und Kreaturen, wo selbst die Werbung zum Terror wird. Bezüge zur expressionistischen Großstadtlyrik wie Georg Heyms »Umbra vitae« sind greifbar. Bei dauerhafter Betrachtung könnte man dem Wahnsinn anheim fallen, denn: Bastopolis ist ein Ort des Entsetzens und des Terrors. Es beschwört Bilder von Verdun, Guernica, Stalingrad, Ruanda, 9/11, Auschwitz und anderen herauf.

Dabei fängt alles noch relativ harmlos an: Ein Schwarm von Einzellern verbindet sich mit Aliens, Monstern und verzerrten Comicfiguren zu einem dynamischen Wirbel. Dieser „Genesis“ folgt ein erster Hinweis auf Krieg durch einen Riesenkegel mit Kanonenrohren statt Augen, der von einem Raumschiff mit Blitzen attackiert wird. Wenige Zentimeter daneben findet sich auch eine Hitlerfigur mit scharfen Reißzähnen und einer Waffe sowie Menschen, die Bomben schlucken. Fette Spinnen, die sich an Fäden vom oberen Bildrand abseilen und eine nicht näher definierbare Figur, der alles Übel entströmt bilden den nächsten Abschnitt. Geradezu deplatziert wirkt eine überzeichnete Darstellung von Charon und weiteren Gestalten in seiner Gondel, die er über den Styx fährt. Den Hintergrund für diese Szenerie bildet ein schon fast friedvoller Sternenhimmel.

Ein weiterer Verweis zur griechischen Mythologie bietet ein vieräugiger Minotaurus, der mich stark an die Spinnen wenige Augenblicke zuvor erinnerte. Zwischen Minotaurus und Charon befindet sich ein riesiger Baum, von dessen Ästen gehängte Kreaturen baumeln. Darunter tanzen mehrere Skelette im Kreis. Aber schon geht es weiter und der Betrachter wird von einem wilden Strom aus Fratzen und Totenschädeln à la Posada mitgerissen. Dieser mündet wieder in einer Kriegsszene: Hier macht ein Flugzeugwal (oder U-Boot) Jagd auf einen Bomber mit Glubschaugen. Die „whams“, „piffs“, „paffs“ und „aaaahs“ des Bombenhagels und der Opfer springen den Betrachter in Großbuchstaben auch gleich entgegen. In diesem Fratzen-, „grrr“ und „flash“-Reigen erscheint sogar irgendwann der Vampir aus Murnaus »Nosferatu« (1922). — Genau wie im Film eine einsame, traurige Gestalt.

Von der Luft- oder Seeschlacht kommen wir nun endlich zur Großstadt, die, wie bereits angedeutet, einen breiten Raum in der Bastokalypse einnimmt. So streift die 150 Meter Frau durch die Wolkenkratzerreihen und mit allerlei grotesken Gestalten und Autos brechend vollen Straßen von Bastopolis. Hilflos gegenüber dem Chaos streckt eine Figur aus Guernica denn auch die Hände gen Himmel. Gefolgt durch eine Episode mit brennenden Hochhäusern, Skeletten, (Micky) Mäusen, Explosionen, Gasmasken, Munchs Schrei, Picassos Stierschädel und Hokusais »Große Welle von Kanagawa«, die alles verschlingt. Was übrig bleibt und zu den Einzellern anschließt, ist ein Liniengewirr aus Augen und Mündern. Kurzum: Es ist die Quintessenz des allgemeinen Grauens.

Diese Allgemeinheit konstituiert sich wiederum aus den verschiedenen Zitaten der Kunst, Film- und Comicgeschichte. So deuten die schauerlichen (Micky) Maus-Gestalten beispielsweise auf Walt Disney, denn der Schöpfer von Dumbo, Bambi und Co. hatte in den 1930er Jahren auch schaurige Zeichentrickfilme wie »Silly Symphony« (1930) zu bieten. Sofern dem Betrachter bekannt, verweisen die Mäuse aber ebenso auf Art Spiegelmanns Maus-Comics, in denen er Interviews mit seinem Vater über Auschwitz und den Holocaust zeichnerisch verarbeitete.

Das Schwarz-Weiß der Bilder schließt Buntheit gänzlich aus und hebt das Geschehen auf eine abstraktere Ebene — analog zu Spiegelmans Comics. Die Gattung des Comics wird zur Vergangenheitsbewältigung genutzt: Die Bilder erzeugen Betroffenheit, die sich mit Reflexion paart. Diese „Ästhetik des Entsetzens“ wurde erstmals von Karl Rosenkranz 1853 beschrieben. Demnach verwandelt sich das Grauen angesichts der Bilder in eine Kategorie des Schönen — dem Grauenhaft-Schönen.

Hieran wird deutlich, dass der Tod als Personifikation in Form eines Skeletts oder Sensenmannes nichts Hässliches oder Bedrohliches an sich hat, sondern, dass erst die mit ihm verbundenen Konnotationen wie Dunkelheit, Verwesung und Totengericht Grausen hervorrufen. Dies bedeutet für die Bastokalypse, dass der Bilderreigen erst in der Vorstellung des Betrachters zu etwas Entsetzlichem heranschwillt.

Fazit: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit ist ein faszinierendes und spannendes Thema. Übersetzt in eine apokalyptische, skurrile Comic-Landschaft bietet sich jedem Denker hiermit der endgültige Anreiz, sich dem Thema zu widmen. Sehr gut lesbar und mit genügend Informationen zum geistesgeschichtlichen Kontext gespickt, kann ich die »Bastokalypse« daher nur jedem empfehlen!

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