Ausstellungsbesprechungen

Madame d’Ora. Machen Sie mich schön!, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, bis 18. März 2018

Sie wurde ziemlich alt, und als sie starb, blickte sie auf ein über fünfzigjähriges Schaffen zurück. Entsprechend vielseitig und interessant ist die Retrospektive, die das Museum für Kunst und Gewerbe der Fotografin Madame d’Ora widmet. Stefan Diebitz hat sich die Ausstellung angesehen.

Madame d’Ora begann mit weichgezeichneten Porträts der besten Wiener Gesellschaft, und fünfzig Jahre später fotografierte sie Viehkadaver in Schlachthäusern. Als junge Frau ahmte sie im Stil der Zeit die Malerei nach, als alte Dame dokumentierte sie mit kalten Fotos den Schrecken. Könnte die Spannweite einer Fotografin größer sein? Natürlich spiegelt sich im Wechsel der Motive und Methoden nicht allein die Veränderung ihrer Interessen, das Wachstum ihrer Persönlichkeit oder der Fortschritt der Kameratechnik, sondern vor allem die Geschichte mit all ihren Schrecken, und so muss eine Ausstellung ihres Lebenswerks zeit-, kultur- und sozialgeschichtliche Aspekte ebenso berücksichtigen wie künstlerische Fragen und ihr persönliches Schicksal.

1881 in Wien als Tochter eines erfolgreichen Advokaten geboren, gründete Dora Philippine Kallmus 1907 ihr eigenes Fotostudio und hatte auch gleich Erfolg beim Publikum. Und sogar großen Erfolg. Das aus einem profanen Vornamen gebastelte, etwas protzige Pseudonym – so hätte sich wohl auch eine Jahrmarktswahrsagerin nennen können! – hat wohl nicht geschadet, aber vielleicht war es doch eher der Status ihres Vaters und die Bekanntschaft der Tochter mit hochgestellten und einflussreichen Leuten, die ihr einen entscheidenden Startvorteil gaben. Von Anfang an besaß sie gute Verbindungen zur Presse, und trotz ihrer jüdischen Herkunft fand sie sogar Zugang zur hohen Aristokratie und porträtierte in den nächsten Jahren besonders die schönen Frauen – zunächst Gräfinnen und Herzoginnen in großer Garderobe, nach dem Krieg Schauspielerinnen und Tänzerinnen für Modejournale.

Dabei sehen einige Fotos wirklich so aus, als hätte Gustav Klimt persönlich zur Kamera gegriffen, und es kann gar nicht anders sein, als dass sich Madame d’Ora von seinen Frauenbildern inspirieren ließ. 1908, ganz zu Beginn ihrer Laufbahn, hatte sie den berühmtesten Wiener Maler seiner Zeit sogar selbst porträtiert. Besonders deutlich ist der Einfluss des 1918 verstorbenen Klimt bei einem Foto des Operettenstars Elsie Altmann-Loos von 1922: die entblößte, von einem gefleckten Umhang gerahmte Brust, der wilde, in den Nacken geworfene Lockenkopf, die wie in Ekstase halb geschlossenen Augen: hier hat Dora Kallmus sein ästhetisches Programm übernommen und sich an der berühmten »Judith« orientiert.

Ihre Modelle pflegte Madame d’Ora dazu aufzufordern, Decken, Schals und andere Stoffe mitzubringen, um sich damit zu drapieren und sich auf diese Weise selbst zu inszenieren und sich selbst den richtigen Rahmen zu geben. Hier wie auch sonst hoffte Madame d’Ora auf lebendige Bilder, die einerseits konventionell ausfielen, andererseits – in den Worten der Kuratorin Monika Faber – von der »unwillkürlichen Körpersprache« der Modelle profitierten. Und es funktonierte! Viele Bilder wirken lebendig und interessant, selbst diejenigen, in denen sie die Damen des Hochadels ablichtete. Übrigens wird auf keinem dieser Bilder gelächelt. Und kaum jemals ist sie selbst zu sehen.

Dazu kamen die Modebilder. Denn nach dem Ersten Weltkrieg spielten Aufträge für den Hochadel eine immer geringere Rolle, und schon deshalb begann Madame d’Ora mehr und mehr für Frauenmagazine zu fotografieren, die in den zwanziger Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen. Es scheint, dass unter den Fotografen niemand mehr Erfolg hatte als sie, was zu mancherlei bösen Worten führte. Tatsache ist aber, dass ihre Fotos sehr hochwertig waren, und zwar sowohl in künstlerischer als auch in technischer Hinsicht.

Das Katalogbuch beginnt mit einem Zitat von ihr: »Zum bleibenden Wert einer Photographie gehören glaube ich drei Dinge: Technik, Composition und Zufall, und es ist vielleicht mit Absicht, dass ich hier Technik an erste Stelle setze.« Meinte sie damit die Kameratechnik oder ihr eigenes handwerkliches Können? Man darf letzteres vermuten, denn sie konnte sehr viel und arbeitete dazu sorgfältig. Bei Fotografen ihrer Generation versteht es sich dabei von selbst, dass sie den gesamten Produktionsprozess – also auch und sogar besonders die Entwicklung der Negative und die Herstellung der Papierabzüge – immer unter Kontrolle behielt. Über Jahre behielt sie den selben, offenbar sehr fähigen Assistenten.

Das Wien der zwanziger Jahre konnte ihr finanziell weniger bieten als die Vorkriegszeit. Deshalb gründete Kallmus eine Filiale im tschechischen Karlsbad und ging bald darauf nach Paris, wo sie großen Erfolg als Modefotografin hatte. Dort und in Berlin traf sie etliche große Stars, deren Fotos man jetzt in Hamburg bewundern kann. Einer war Maurice Chevalier, aber sie fotografierte auch die Schriftstellerin Colette, Coco Chanel und andere Berühmtheiten. Zuvor hatte sie auch die skandalumwitterte Nackttänzerin Anita Berber fotografiert, und in Paris fertigte sie das bis heute wohl berühmteste aller ihrer Bilder an, ein Foto der nackt knienden Josephine Baker. Dieses Bild gehört übrigens noch zu den mit den schmeichelnden weichen Linien.

Madame d‘Ora begann mit einer Plattenkamera und einem Weichzeichner-Objektiv, und am Ende ihrer Laufbahn benutzte sie eine handliche Rollei. Ganz offensichtlich kam es ihr im Laufe der Jahre immer weniger auf Schönheit an, und das nicht allein bei ihren Schlachthofbildern oder einer Fotoserie, die sie über Flüchtlinge anfertigte. Das bedeutet aber nicht, dass sie ausschließlich auf Dokumentation und Reportage zielte, sondern auch (oder sogar gerade) bei diesen Fotos spielt ein ästhetisches Interesse eine bedeutende Rolle. So versuchte sie sich an der Darstellung der Materialität, wenn sie Teile von Kadavern fotografierte, und für das Bild einer Magenwand einer Kuh fand sie den metaphorischen Titel »Geäder im Schnee«.

Ist der Titel der Ausstellung klug gewählt? Er gilt ja nur für die Porträtfotografie und die Arbeiten für die Modejournale, für die Madame d’Ora berühmt wurde und mit denen sie auch beträchtlichen finanziellen Erfolg hatte. Aber zum Ende ihrer Laufbahn spielte diese Fotografie eine allmählich immer geringere Rolle. Zunächst verhinderte es das Schriftleitergesetz von 1935, dass deutsche Zeitschriften auch weiterhin Bilder einer Jüdin brachten, und wenig später veränderten der Schrecken des Zweiten Weltkrieges und ihre eigenen bitteren Erfahrungen als Jüdin im Exil ihr Schaffen beträchtlich. Aber auch in dieser Phase fällt ihre Vorliebe für exzentrische Gestalten auf, dazu kam dann der gelegentlich krude Realismus ihrer Fotos.

Aufsehenerregend war die fast weltweit beachtete Party des Jahrzehnts, die 1953 der Ballett-Impressario Marquis des Cuevas feierte: eine schon fast obszöne Orgie angesichts der in den Nachkriegsjahren herrschenden Armut. Den Veranstalter, einen kranken und gebrechlichen Mann, porträtierte Kallmus in Fotos, die mehr als nur leicht morbide wirken. Auf einem Bild springt einer der Tänzer wie ein Gummiball in die Höhe, der größte überhaupt nur denkbare Kontrast zu dem liegenden de Cuevas. Dazu kamen die Fotos von Colette, Somerset Maugham und anderer Künstler als alte, sogar sehr alte Menschen mit von tiefen Falten durchfurchten Gesichtern, die von der Fotografin gnadenlos ausgeleuchtet und ausgestellt wurden.

Morbide, grausam und für viele Besucher abschreckend dürften die beiden Fotoserien sein, die Kallmus in Pariser Schlachthöfen anfertigte. Beide Serien unterscheiden sich formal beträchtlich, denn einmal wählte sie umfassende Ansichten, das andere Mal konzentrierte sie sich auf Details, aber es sind immer schreckliche Orte des Todes, über deren symbolische Bedeutung man nicht zu sprechen braucht. Das Foto, das den Marquis de Cuevas umgeben von abgeschlagenen Schafköpfen zeigt, vereint dann zwei Bereiche miteinander.

Schließlich muss noch eine große Arbeit erwähnt werden, die Kallmus – allerspätestens hier wäre es wohl unpassend, immer noch von ihr als Madame d’Ora zu sprechen – von Flüchtlingen anfertigte, ganz sachlich-nüchterne Bilder von einsamen und müden Menschen in alltäglichen Situationen, natürlich immer in einer ärmlichen Umgebung. Dabei kam es ihr offensichtlich nicht darauf an, zwischen flüchtenden Juden und vertriebenen Deutschen zu unterscheiden, sondern gezeigt wird einfach nur das schwere Schicksal von Menschen. Es sind stille und vielleicht eben deshalb sehr bewegende Bilder.

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