Buchrezensionen

Manfred Krüger: Albrecht Dürer. Mystik - Selbsterkenntnis - Christussuche. Verlag Freies Geistesleben Stuttgart 2009.

Das Werk eines Künstlers wie Albrecht Dürer lässt sich unter vielen Aspekten betrachten und es ist vielleicht keine schlechte Idee, einen bislang zu wenig beachteten Aspekt in den Mittelpunkt einer Monografie zu stellen. Manfred Krüger kommt es auf den Mystiker Dürer an. Er sieht das künstlerische Werk Dürers in der Spannung zwischen mystischer Selbsterkenntnis als Christussuche und der Hinwendung zur Welt. „In dieser Spannung liegt das Geheimnis seiner Kunst.“ Stefan Diebitz hat für uns das im Verlag Freies Geistesleben erschienene Buch gelesen.

Das schöne, sorgfältig gesetzte und reich illustrierte Buch ist in vier große Abschnitte untergliedert: «Selbsterkenntnis als Christussuche», «Die Apokalypse», «Imaginationen auf dem Weg zur Christuserkenntnis» und «Abendmahl, Passion und Auferstehung». Es behandelt fast allein religiöse Aspekte und blickt nur ausnahmsweise auf die Ergebnisse der Italienreisen Dürers, blendet aber alles andere konsequent aus: Dürers soziale und ökonomische Stellung, seine wissenschaftlichen Arbeiten, seine Beschäftigung mit der Perspektive oder überhaupt technische Probleme seiner Malerei oder der Holz- und Kupferstiche – alles das wird bestenfalls beiläufig angesprochen, aber keinesfalls behandelt. Das Buch ist also tatsächlich das, was es im Untertitel zu sein behauptet.
Im ersten Teil werden die Selbstporträts Dürers analysiert, zu denen der Autor auch die von dem jungen Meister angefertigten Zeichnungen dreijähriger Kinder zählt: „Im dreiundzwanzigsten Jahr scheint sich der Maler zu fragen: Wie habe ich wohl mit drei Jahren ausgesehen?“ So merkwürdig, wie das zunächst klingt, ist die Vermutung eines verspäteten Selbstporträts hier gar nicht, denn Krüger kann tatsächlich gewisse Ähnlichkeiten mit Dürers Selbstbildnissen aufzeigen.
Vor allem kommt es dem Autor darauf an, Dürers Verhältnis zur Religion und besonders zu Christus zu umschreiben und in den Selbstporträts wieder zu finden „Die Begegnung mit dem Christus ist Selbsterkenntnis in der höchsten Form. Dürers gemalte Selbsterkenntnis vermag – auf dieser Ebene – die Selbsterkenntnis auch im Betrachter anzuregen.“ Wie man sieht, ist der Autor ganz auf die Intention des Künstlers fixiert, und dabei mag er sogar ins Schwarze treffen; nur darf bezweifelt werden, dass bereits damit eine zureichende Deutung eines so vielschichtigen und vieldeutigen Werkes erreicht werden kann. Die Formulierung des künstlerischen oder religiösen Selbstverständnisses kann doch nicht mehr als das Fundament einer Darstellung ergeben! Dass sich in den Selbstporträts Dürers auch das Selbstbewusstsein des frühneuzeitlichen Bürgertums  zeigt oder das sich wandelnde Selbstverständnis eines Handwerkers ablesen lässt, der nicht allein Kontakte zu Humanisten pflegt, sondern sich ihnen  zur Seite stellt - dergleichen kommt in dem Text Krügers so wenig vor wie andere Aspekte.
Im zweiten Teil wird Blatt für Blatt die «Apokalypse» vorgestellt und beschrieben, natürlich mit Nennung und Zitation der betreffenden Bibelstellen. Von einer wirklichen Interpretation kann aber keine Rede sein, denn wieder geht es dem Autor allein um „Dürers Botschaft an den Betrachter“.

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Im dritten Teil - «Imaginationen auf dem Weg zur Christuserkenntnis» - wird die Spannung zwischen der religiösen Grundhaltung und der täglichen Notdurft , also die Differenz zwischen „Via activa – via contemplativa“, im Werk aufgezeigt. Natürlich geht es wieder um „die Botschaft Dürers“, die mal mit Belegen aus der spätmittelalterlichen Mystik, mal mit Novalis- oder Schellingzitaten bestätigt und bekräftigt wird. Darf man so unversehens Autoren der Hochromantik anführen, um einen Dürer auszudeuten? Für den Autor Manfred Krüger ist Dürer ein Beispiel, mit dessen Hilfe er seine Auffassung vom rechten Leben darstellen kann.
Dass das vierte große Kapitel, «Abendmahl, Passion und Auferstehung» überschrieben, in eine Erbauungsschrift mündet, ja fast so etwas wie ein Andachtsbüchlein wird, merkt auch der kritische Leser nicht sofort, denn die Eingangsfrage nach dem dreizehnten Jünger auf Dürers «Abendmahl von 1510» ist durchaus berechtigt und wird mit einiger Kenntnis der Kunst- und Religionsgeschichte vorgetragen. Anfangs ist dieses Kapitel  hochinteressant, aber der Text gerät immer mehr in die Nähe einer Erbauungsschrift auf den Spuren Rudolf Steiners, der die Vermutung, Johannes sei eigentlich Lazarus, als erster in seiner Schrift «Das Christentum als mystische Tatsache» ausgesprochen hat. Im Grunde ist dieses abschließende Kapitel nicht mehr Teil einer Dürer-Monografie, sondern nur noch Illustration anthroposophischen Gedankengutes.

Wahrscheinlich ist auch die sprachliche Gestalt des Buches auf das religiöse Interesse des Autors zurückzuführen. Krügers anspruchsloser, meist nur Hauptsätze aneinanderreihender Stil entspricht eigentlich an keiner Stelle der Bedeutung und Problematik des vielschichtigen und widersprüchlichen Person Albrecht Dürers: „Kurfürst Friedrich der Weise war 1496 nach Nürnberg gekommen und hatte Dürer persönlich kennengelernt. Aus der Begegnung ist das bekannte Porträt entstanden. Der Kurfürst hat ihn auch weiterhin mit gut bezahlten Aufträgen versorgt.“ So geht es seitenweise.
Manchmal finden sich auch anthroposophische Lehrsätze im Text, werden aber als solche nicht gekennzeichnet. Bereits die schlichte grammatische Struktur eines solchen Satzes deutet daraufhin, dass hier nicht begründet und argumentiert, sondern auf ein feststehendes, nicht hinterfragbares Lehrsystem zurückgegriffen wird: „Um das 21. Lebensjahr erwacht das Ich-Selbst im Menschen.“
Was dieser Satz bedeutet, an was für ein Ich dieses „Ich-Selbst“ anschließt, was also „Ich-Selbst“ konkret meint, worin es sich ausdrückt und wovon es sich unterscheidet, woher es kommt und wohin es führt, wird mit keiner Silbe erläutert, und es wird auch nicht auf Literatur verwiesen, und sei es anthroposophische. So wird der Leser eine derart erratisch im Text auftauchende Weisheit entsprechend schnell wieder vergessen. An einer anderen Stelle heißt es im Stil einer längst vergangen geglaubten Weisheitsliteratur: „Verehrung ist die wichtigste aller Erkenntnistugenden. Ohne Verehrung kann keine tiefere Einsicht erfolgen.“ Als Leser steht man ratlos vor solchen Sentenzen.
Es ist mitnichten so, dass Darstellung und Argumentation Krügers nicht gefolgt werden kann, denn die Ausgangsfrage nach dem christlichen bzw. mystischen Ursprung von Dürers Bildinhalten ist durchaus berechtigt. Aber diese Argumentation bleibt so einseitig wie überhaupt nur möglich, weil sie alle bloß künstlerischen Probleme ebenso konsequent ausblendet wie die kunst-, sozial- und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge und sich stattdessen ganz und gar auf den Glauben Dürers und den Ausdruck dieses Glaubens in seinem Werk konzentriert. Diese Fokussierung ist anfangs legitim, und sie muss umso ertragreicher sein, je wichtiger der christliche Glaube für Werk und Leben des Künstlers ist. Aber sie darf natürlich nicht das Ende einer Darstellung eines derart bedeutenden Künstlers sein, sondern kann nicht mehr als den Ausgangspunkt bilden.
Dass der Glaube an Christus für Dürer bedeutend ist und mystische Züge besitzt, dieser Nachweis gelingt Krüger, aber er schreitet von dort nicht weiter, sein Tunnelblick verwehrt ihm weitere Einsichten und verleidet dem Leser die Lektüre. Besonders zum Ende hin nimmt das Buch den Charakter eines erbaulichen Traktates mit allerdings schönen Bildern an.

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