Ausstellungsbesprechungen

Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici, Städel Museum, Frankfurt am Main, bis 5. Juni 2016

Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle, des Liebieghauses und des Museums Städel in Frankfurt, übernimmt zur Jahresmitte die Direktion des Fine Arts Museums of San Francisco, einer der renommiertesten Adressen im internationalen Kunstbetrieb. Mit der zur Zeit im Städel laufenden glanzvollen Sonderausstellung »Maniera« verabschiedet er sich nach fünfzehn produktiven Jahren als dynamischer Museumsleiter und Kurator aus der Stadt am Main, deren kulturelles Profil er maßgeblich zu prägen verstanden hat. Rainer K. Wick berichtet von der Maniera-Schau und hat das begleitende Katalogbuch gelesen.

Zuweilen lediglich als Übergangsstil zwischen Hochrenaissance und Frühbarock bezeichnet, zeigt der Manierismus doch ganz eigenständige Züge. Mit hochkarätigen Exponaten dokumentiert dies die von Bastian Eclercy kuratierte Frankfurter Maniera-Schau, die die Anfänge und das Aufblühen des Manierismus im Florenz des 16. Jahrhunderts auslotet – in einer Zeit also, als die Medici nach fast zwanzig Jahren aus ihrem Exil in die Stadt am Arno zurückgekehrt waren und dort ein frühabsolutistisches Regime errichteten. Zwei Künstler stehen im Mittelpunkt der Ausstellung, Jacopo Pontormo (1494–1557) und dessen Schüler und Freund Agnolo Bronzino (1503-1572). Schon 2013 hatte Eclercy mit der Ausstellung »Pontormo. Meisterwerke des Manierismus in Florenz« im Niedersächsischen Landesmuseum ein beträchtliches Echo gefunden. Mittlerweile Sammlungsleiter für italienische, französische und spanische Kunst vor 1800 im Städel Museum, ist ihm nun in Frankfurt als Kurator der Schau »Maniera« ein ganz großer Coup gelungen.

Giorgio Vasari, der mit seinen »Viten« der bedeutendsten Künstler Italiens (1550, zweite Auflage 1568) nicht nur als Gründungsvater der Kunstgeschichte gilt, sondern in Frankfurt auch als manieristischer Künstler rehabilitiert wird, sprach von »maniera«, um damit den Spätstil Michelangelos zu bezeichnen. In diesem Sinne war mit Maniera also zunächst kein Epochenbegriff gemeint, sondern die ganz spezifische, individuelle Eigenart des Künstlers, also sein Individual- oder Personalstil, seine »Handschrift« gewissermaßen (italienisch »mano« = Hand). Seit dem späteren 16. Jahrhunderts erhielt der Begriff »maniera« allerdings einen negativen Beigeschmack. Manieriert bedeutete nun und in der Folgezeit in erster Linie gekünstelt, skurril, übertrieben, geziert, kapriziös, geschraubt, absonderlich, kurios und abstrus, um nur einige der zahllosen Näherungsbegriffe zu nennen. Luigi Lanzi beklagte in seiner ab 1792 in mehreren Bänden erschienenen »Storia pittorica della Italia«, dass die Malerei seit der 1530er Jahren »verfallen« und »immer mehr zu Manier« geworden sei, und diese Vorstellung einer Verfallskunst – Maßstab war die »klassische« Kunst der Hochrenaissance – verband sich mit dem Begriff des Manierismus bis ins frühe 20. Jahrhundert. Erst danach vollzog sich in der Kunstgeschichte eine deutliche Wende. Der negativ besetzte Begriff begann, sich zu einem neutral gemeinten Stil- und Epochenbegriff für künstlerische Entwicklungen nach dem Tod Raffaels bis hin zur Entstehung des Barock zu verwandeln, und Expressionismus und Surrealismus taten ein Übriges, um das Interesse an der Kunst des Manierismus zu befördern. Gleichwohl ist das Vokabular, das zur Charakterisierung manieristischer Tendenzen Verwendung findet, oft genug immer noch abwertend. Da ist von Entartung, Perversion, Dekadenz, Künstlichkeit und Extravaganz die Rede, von antiklassischer Revolte, von einer snobistischen, affektierten und kapriziösen Kunst exzentrischer Individualisten, von paradoxen Synthesen, von Prozessen der Störung und Zerlegung, vom Zweifel an der Normalität, von der Negation sowohl antiker Ideale als auch der Natur als Lehrmeisterin.

Die mit internationalen Leihgaben reich bestückte und exquisit auf farbigen Schauwänden präsentierte Frankfurter Schau macht deutlich, dass die konkreten Erscheinungsformen des Manierismus so unterschiedlich sind wie die Künstler, die dieser Epoche zugerechnet werden. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten. So wurde die Perspektive, in der Frührenaissance von Brunelleschi als ein korrektes Projektionssystem zur »objektiven« räumlichen Darstellung der sichtbaren Wirklichkeit erfunden, nun als Darstellungsmittel irrationaler Phantasien und als bildnerische Möglichkeit der illusionären Durchbrechung bzw. Überwindung der physikalisch-gegenständlichen Welt erkannt und genutzt. Und es kam ein neues Figurenideal in Mode, das nicht nur in zum Teil stark überlängten Proportionen fassbar ist, sondern auch und vor allem in Gestalt der sog. figura serpentinata. Der Begriff taucht erstmals in der Kunsttheorie des manieristischen Malers Giovanni Paolo Lomazzo auf, der auch von »forma serpentinata« (gewundene Schlangenform), von »forma de la fiamma del foco«, also Flammenform, oder von »forma de la lettera S«, Form des Buchstabens S, spricht. Ausgehend vom klassischen Kontrapost als kanonisch geregelter Bewegungsart wird das Bewegungsmotiv hier durch Drehung (Torsion) gesteigert und sozusagen multipliziert. Schon früh findet sich derlei bei Michelangelo, und die Frankfurter Ausstellung zeigt etliche Bilder manieristischer Maler sowie ein Terrakottamodell für Giambolognas Skulptur »Florenz triumphiert über Piasa« – Arbeiten, in denen die »figura serpentinata« prominent in Erscheinung tritt. Und es gibt Gemälde, die eine für den Manierismus typische, unterschwellige bis unverhohlene Erotisierungstendenz erkennen lassen – so beispielsweise bei Rosso Fiorentino, der ab 1531 Hofmaler des französischen Königs Franz I. in Fontainebleau wurde.

Wie schon erwähnt und der Untertitel der Ausstellung unmissverständlich signalisiert, spielen in Frankfurt die Maler Jacopo Pontormo und Angelo Bronzino die Hauptrolle. Pontormo gehört zu jenen Künstlern des Cinquecento, die an der Herausbildung des Manierismus in Florenz maßgeblichen Anteil hatten und zu den Hauptvertretern dieser Richtung gehören. Typisch war seine ablehnende Haltung gegenüber der klassischen Tradition bzw. sein die Klassik der Hochrenaissance subjektivierendes Kunstwollen, wie Arnold Hauser in seinem immer noch lesenswerten Manierismus-Buch von 1964 festgestellt hat. Neben hinreißenden Handzeichnungen und großartigen Bildern mit mythologischer Thematik, so etwa »Venus und Amor« (um 1533) nach einem Entwurf Michelangelos, sowie Gemälden mit christlichen Themen wie der »Madonna mit Kind und dem Johannesknaben« (um 1516/17), dem »Heiligen Hieronymus als Büßer« (um 1528/29) oder der figurenreichen Komposition »Martyrium der Zehntausend« (um 1529/30) zeigt das Städel eine Reihe meisterhafter Porträts des Künstlers, die von jenen seines Lieblingsschülers Agnolo Bronzino bestens ergänzt werden. Seit den späten 1530er Jahren Hofmaler der Medici, porträtierte Bronzino zahlreiche Angehörige des Herrscherhauses sowie andere hochgestellte Florentiner Persönlichkeiten. Im Mittelpunkt dieser äußerst delikat gemalten, immer Distanz zum Betrachter haltenden Porträts steht das »Bildnis einer Dame in Rot« (um 1533) aus dem Besitz des Städels, das zu den Schlüsselwerken des Bildtypus des repräsentativen Frauenporträts im Zeitalter des Manierismus gehört.

Leider fehlt in Frankfurt ein geradezu als Inbegriff manieristischer Malerei geltendes Gemälde Agnolo Bronzinos, nämlich die »Allegorie der Liebe« (auch »Allegorie mit Venus und Amor«) aus der Londoner National Gallery, doch wird der Besucher durch andere Bilder des Künstlers wie das erstaunliche »Bildnis des Andrea Doria als Neptun« (um 1545/46) – es zeigt den berühmten Flottenadmiral bärtig als nackten Meeresgott mit Dreizack – oder das Gemälde »Heiliger Sebastian« von 1528/29 entschädigt. Insbesondere letzteres macht die Neigung des Manierismus zu Paradoxien deutlich. Zwar befindet sich Bronzino hier in Übereinstimmung mit der Überlieferung, dass Sebastian, Offizier der Leibwache des Kaisers Diokletian und bekennender Christ, sein Martyrium, obwohl von Pfeilen numidischer Bogenschützen durchbohrt, zunächst überlebt habe. Das Paradoxe bei Bronzino besteht darin, dass der zwar breitschultrige, aber doch eher unathletische, lieblich anmutende Märtyrer, dessen linker Arm einen schlängelnden Linienfluss zeigt, trotz der Tatsache, dass sein Leib von einem Pfeil durchbohrt ist, nicht einmal andeutungsweise Schmerz erkennen lässt. Fern aller »terribilità« Michelangelos und dessen forcierter »Muskelrhetorik« (Aby Warburg) präsentiert Bronzino seinen Protagonisten als unversehrten, graziösen Schönling, und es ist offensichtlich, dass hier die Darstellung des unglaublichen Wunders der göttlichen Errettung aus einer tödlichen Situation der subjektiven »maniera« des Malers untergeordnet wurde.

Dass bei Michelangelo ansatzweise schon früh manieristische Tendenzen sichtbar sind, ist allgemein bekannt. Dies gilt nicht nur für seine Skulpturen und Gemälde, sondern auch für seine architektonischen Entwürfe. Die Frankfurter Ausstellung brilliert mit einem Architekturmodell im Maßstab 1:3 des Mitte der 1520er Jahre entworfenen Treppenhauses (Ricetto) der Florentiner Biblioteca Laurenziana, eines Bauwerks, das als Gründungswerk der manieristischen Architektur gilt. Die Wandgliederung zeigt – typisch manieristisch – auffallende Normabweichungen, ja geradezu Regelwidrigkeiten. Entgegen der Norm stehen die gekuppelten Säulen in Mauernischen, während die Wandflächen selbst hervortreten. Das ist eine bewusste Umkehrung der »Normalität«, und das »Alogische« und »Unorganische« dieser Lösung setzt sich auch in den geschwungenen Konsolen unter den Säulen fort, die zu schwach erscheinen, um ihre konstruktive Aufgabe zu erfüllen. Als Verstoß gegen die klassische Norm erscheinen ferner die nach unten sich verjüngenden Pilaster, die die Blendfenster rahmen und nur partiell Kanneluren aufweisen. Galt etwa für Bramante und andere Baumeister der Hochrenaissance noch »das Ideal der korrekten Einzelform, die antike Vorbilder so getreu wie möglich imitiert, so entdeckte Michelangelo im Architekturdetail das fruchtbarste Feld seiner Erfindungskraft«(Tönnesmann). Die Architekturgeschichte hat in diesem Entwurf Michelangelos nicht nur den Auftakt, sondern die »höchste architektonische Vollendung« des Manierismus gesehen.

Es ist das Verdienst der Schau im Städel, Giorgio Vasari, der in seinen »Viten« bewundernd über Michelangelo geschrieben hat, entgegen hartnäckigen Vorurteilen auch als qualitätvollen Maler und Zeichner des Manierismus in Erinnerung zu rufen. Erst in seinen späteren Lebensjahren fand er eine feste Anstellung am Hof Cosimos I. in Florenz, obwohl er schon um 1534 das eindrucksvolle Porträt des jungen Alessandro de‘ Medici in Rüstung und mit Feldherrenstab geschaffen hatte. Hervorzuheben ist sein Gemälde »Die Toilette der Venus« (um 1558), dessen malerische Ausführung, insbesondere was die feinen Abstufungen des Inkarnats anbelangt, beeindruckt, das aber ohne Einflüsse Raffaels und Bronzinos kaum denkbar ist und insofern gewisse eklektizistische Züge trägt.

Lesenswert ist das von Sebastian Eclercy herausgegebene, bei Prestel erschienene Katalogbuch mit einer Fülle hervorragend reproduzierter Farbabbildungen, drei größeren Essays und acht Kapiteln, die der Gliederung der Ausstellung entsprechen und Analysen einzelner Exponate aus der Feder ausgewiesener Fachwissenschaftler enthalten. In seinem einführenden Essay gibt der Kunsthistoriker und Renaissancespezialist Hans Aurenhammer einen übersichtlichen Abriss der Geschichte des Begriffs »Manierismus«. Beginnend mit Max Dvořáks Wiener Vortrag »Über Greco und den Manierismus« im Jahr 1920, den er als die Geburtsstunde des modernen Manierismusbegriffs bezeichnet, über einen Rückblick auf zwei Jahrhunderte der Ablehnung des Manierismus als »Verwilderung«, ja als »Ausartung« (Jakob Burckhardt), zeigt der Autor, wie sich im 20. Jahrhundert der Manierismus als kunsthistorischer Epochenbegriff etablierte, bis hin zu John Shearman, der in diesem Zusammenhang die griffige Formel »stylish style« geprägt hat. Der Historiker Nicholas Scott Baker bettet in seinem Katalogbeitrag die Kunst des Manierismus in den Kontext der politischen Geschichte von Florenz und der Herrschaft der Medici im Zeitraum zwischen 1512 und 1574 ein, also bis zum Tod von Cosimo I. de‘ Medici. Im Mittelpunkt der Studie steht Pontormos um 1519 entstandenes »Bildnis des Cosimo il Vecchio«, des Begründers des »Machtkartells« der Medici im 15. Jahrhundert, ein Bild, das exemplarisch für den Anspruch der Medici auf Ausübung der Herrschaft auch im Florenz des 16. Jahrhunderts, also nach ihrer Rückkehr aus der Verbannung, steht. Den dritten Essay steuert Bastian Eclercy, der Kurator der Ausstellung, bei, der in seinem Beitrag »Exempla der maniera« anhand von Zeichnungen Perina del Vagas und Jacopo Pontormos sowie Gemälden von Pontormo und Bronzino, die ein gemeinsames Thema haben, nämlich das »Martyrium der Zehntausend«, Spielarten manieristischer Kunst im Jahrzehnt zwischen 1520 und 1530 herausarbeitet.

Dem Besucher der Frankfurter Ausstellung sind ästhetischer Genuss und manch frischer Blick auf die Kunst des italienischen Manierismus gewiss, und wer das opulente Katalogbuch zur Hand nimmt, hat die Gelegenheit, das Gesehene durch die Lektüre der erwähnten Essays und der zahlreichen instruktiven Einzelanalysen im Nachhinein zu fundieren.

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