Ausstellungsbesprechungen

Manuela Tirler - Grape. Plastiken, Künstlerhaus Ulm, bis 10. Februar 2013

Die Stahlfiguren Manuela Tirlers erinnern in ihrer filigranen Nachahmung der Natur unweigerlich an den Wilden Westen, meint Günter Baumann. Noch bis Sonntag haben Sie in Ulm die Gelegenheit, sich selbst von diesem Eindruck zu überzeugen.

Das filigrane Rankenwerk des Traubenstocks inspirierte Manuela Tirler zu ihrer Ausstellung »Grape« im Künstlerhaus des BBK Ulm – im flüchtigen Vorübergehen ist die Anmutung außerordentlich realitätsnah, doch machen bei genauer Betrachtung spätestens die Schweißnähte deutlich, dass es sich um modellierten Baustahl handelt. Ob diese im kleinsten Format 25 x 10 x 8 cm messende Objekte oder ein monumentales »Waldstück« (230 x 65 x 65 cm) sind: Die Künstlerin lässt sich von der Natur inspirieren und erzielt durch formal sparsame Mittel nachweisbar ihre Wirkung – verblüfft kann man Ausstellungbesucher belauschen, die durchweg ein naturgewachsenes Material unterstellen, bis sie geradezu mit der Nase auf das rostrote stoßen oder in den verzinkten Werken doch ein leichteres Spiel bei der Bestimmung haben. Andere Arbeiten, etwa die »Tumbleweeds« verheimlichen zwar ihre schwergewichtige Materialität nicht, doch wer die kugeligen Steppenpflanzen, eindrucksvolle Pflichtrequisiten in verlassenen, wüstentrockenen Westernfilmen, vor Augen hat, braucht kaum Phantasie, um die vom Wind geformten, erinnerten Bilder mit den Eisendrahtkugeln abzugleichen. Auffallend ist dabei, dass Manuela Tirler nicht nur ihr Handwerk versteht, sondern auch in der Klein- wie der Großplastik zu Hause ist.

Der außerordentliche Reiz von Tirlers Plastiken liegt gerade in der an sich unvereinbaren Gleichsetzung der Härte des Stahls einerseits und der frei geformten Zartheit der Natur. Mit Baggern lässt sie den Stahl runden oder sie sprengt schrundige Löcher in Metallplatten, schweißt unzählige Eisenstäbe zum Gezweig. Diese Kunst ist gänzlich ohne Vorbilder und die Tatsache, dass es kaum weibliche Stahlbildhauerinnen gibt, verleiht der einstigen Pokorny-Schülerin Manuela Tirler eine beachtliche Position in der zeitgenössischen Plastik. Die junge Künstlerin, geboren 1977, verleugnet bei ihren floral anmutenden Arbeiten keineswegs ihr bevorzugtes Material, im Gegenteil: Gerade der grandios einfühlsame Umgang mit dem Stahl zeugt von größtem Respekt. Was uns zuweilen martialisch erscheint, zielt auf einen Diskurs zur Kunst allgemein und im Verhältnis zur Natur hin. Man denke nur an die Erdbeben-Serie (»Quake«), bei der der Akt der Zerstörung mit dem künstlerischen Schaffens- bzw. Schöpfungsprozess in eins fällt. Die planen Metallplatten bekommen durch die Deformation zudem eine landschaftsähnliche Struktur, dass man von Urgewalten sprechen mag – nicht abwegig, darf man sich doch die Entstehung der Erde durchaus als Folge von Eruptionen, gewaltsamer Eingriffe und unkontrollierter Metamorphosen vorstellen.

Allein die formale Fragestellung, die Manuela Tirler immer wieder aufs Neue verfolgt, macht sie zu einer wichtigen Stimme der Gegenwart. Aber man darf die Symbolkraft ihrer Arbeit nicht unterschätzen. Wie in den anderen Werken kultiviert Manuela Tirler scheinbar mühelos die ›Erz-Natur‹, ihre Hände formen stählerne Gesträuche, Geäste und Unkraut. Mit sinnlichem Gespür bezwingt sie den mal knäuelverschlungenen, mal buschartig struppigen oder wie zu Reisigbündeln geschichteten Stahl. Die möglichen biblischen, märchenpsychologischen oder ökologischen Deutungen stehen der Schönheit einer rein abstrakten Vergegenwärtigung gewaltiger, teilweise gewalttätiger Formungsprozesse nicht im Weg: Beim »Waldstück« können wir in den rostrot züngelnden Stahlverdrahtungen einen brennenden Dornstrauch genauso assoziieren wie den undurchdringbaren, verzauberten Wald des Märchens oder auch den Boten einer erbarmungslosen Dürre – die floralen Strukturen haben also keineswegs allein dekorativen Wert. Der Betrachter ist aufgefordert, seinen mitwuchernden Gedanken freien Lauf zu lassen. Die offene Anlage ihrer Kunst lässt dies zu.

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