Buchrezensionen

Markus Neuwirth: Barock: Kunstgeschichte eines Wortes, Studienverlag 2015

Der Barock ist wohl jedem ein Begriff und jeder verbindet damit eine ganz bestimmte Vorstellung von Kunst und Architektur, Musik und Literatur. Aber wie entstand diese Epochenbezeichnung nun genau und welche Transformationen erlebte sie durch die Kunstgeschichte hinweg? Das untersucht Markus Neuwirth. Spunk Seipel hat seine Studie gern gelesen.

»Barock« ist vermutlich der umstrittenste Epochenbegriff in der Kunstgeschichte und noch immer diskutieren Wissenschaftler über die Herkunft dieses Wortes. Fakt ist aber: Es wurde, wie so oft in der Kunstgeschichte, ursprünglich als abwertende Beschreibung über eine Entartung in der Kunst etabliert und hat dieses negative Image nie ganz ablegen können. Markus Neuwirth fasst nun seine Forschungen zur Begrifflichkeit des Wortes zusammen und legt damit die Kulturgeschichte eines Wortes vor, die ein unverzichtbares Buch für die Barockforschung sein wird. Die Herleitung, die Bedeutung und die Interpretation des Terminus »Barock« im Lauf der Geschichte stellt er mit zahlreichen Quellen ausführlichst dar Besonders hervorzuheben ist dabei, dass die Quellen im Original wie in Übersetzung abgedruckt wurden. Ein Dienst am Leser, leidet doch die Forschung zur Etymologie des Begriffes im deutschsprachigen Raum oft an den mangelnden Sprachkenntnissen besonders an der Unkenntnis des portugiesischen.

Dabei ist die bekannteste Interpretation der Herkunft das portugiesische Wort »barroco«, das schiefrunde Perlen bezeichnet. Aber auch das portugiesische »rocha«, für Fels und Lehm ist als Wurzel des Epochenbegriffs nachvollziehbar. Anders als die Herleitung von der scholastischen Lehrmethode »barocco«, kann die Ableitung von der schiefrunden Perle auf vielerlei Weise überzeugen.

Neuwirth schafft mit seinem Text eine umfassende Bildfeldanalyse des Begriffs und zeigt auf, wie der Welthandel der Portugiesen, vor allem der mit Indien, woher die meisten schiefrunden Perlen stammen, diese zur begehrten Ware für die europäischen Fürsten werden ließ. Die Jesuiten, die zeitweise viele zwangskonvertierte Juden in ihre Reihen aufnahmen, waren in Indien wie Europa aktiv und verbreiteten das Wort. Ebenso wie die Juden, die in Amsterdam wieder ihren alten Glauben annehmen konnten und es dort bekannt machten. Nicht selten übrigens waren sie als Juweliere tätig.

Im 17. Jahrhundert wurde die Perle, beruhend auf antiken Mythen über ihre Entstehung, ein Symbol der absolutistischen Herrschaft, vor allem bei den Habsburgern. Dies bietet einen weiteren Ansatzpunkt für die weit verbreitete abwertende Konnotation des Begriffs »Barock« in politischen Diskussionen: Sprach man von Barock, richtete sich das gegen den Absolutismus, den Adel und die katholische Kirche.

Doch für die Kunstgeschichte bedeutsamer ist die Frage, wann denn nun »Barock« auf die Kunst angewendet wurde. Lange bestand der Irrtum in der Kunstgeschichte, dass er in der »Encyclopédie« Diderots, die ab 1751 erschien, zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Kunst erwähnt wird. Doch Neuwirth kann nachweisen, dass er darin gar nicht auftaucht, sondern erst in einem Folgeprojekt, der »Encyclopédie méthodique« von Charles Joseph Panckoucke, zum ersten Mal im künstlerischen Kontext benutzt wird. Überhaupt waren es die französischen Aufklärer, die dem Terminus entgegen der gelegentlichen und bei weitem nicht festgelegten Verwendung in Künstlerkreisen in früheren Jahrzehnten, eine festgelegte Bedeutung geben wollten. Von Beginn an mit einer abwertenden Konnotation versehen, galt das Barocke als eine bizarre Verwirrung des guten Geschmacks und Ausdruck der Verdorbenheit des Adels im Gegensatz zum demokratischen Ideal der Antike. Naheliegend, dass in diesem Zusammenhang auch die Ableitung des Wortes von dem italienischen Wort »varrucca« für Warze, aber auch (finanziellen) Wucher thematisiert wird, da hier besonders deutlich wird wie polemisch es eigentlich benutzt wurde. So kann Neuwirth anhand der Karte eines Schlaraffenlandes aus dem Jahr 1700 nachweisen, wie mit den Worten Barock und Wucher eine Kritik an den politischen Verhältnissen getätigt wurde.

Aber vor allem in Bezug auf die Kunst, hier wiederum in erster Linie auf die Architektur, wurde der Begriff abwertend verwendet. Der französische Aufklärer Quatrèmere de Quincy verurteilte Francesco Borromini unter anderem mit Verweis auf seine handwerkliche Ausbildung. Die Übertragung vom Kunsthandwerk in die Architektur, statt umgekehrt, wird bei ihm als Schreckensszenario dargestellt. Der Fall zeigt aber auch schlüssig, wie das Wort für die schiefrunde Perle auf die Architektur übertragen werden konnte.

Michelangelo, der mit der Bibliothekstreppe für San Lorenzo in Florenz als »Erfinder« des Barock gilt, und andere fertigten ihre Architekturmodelle teilweise in Ton an. Das war ein Argument für die pejorative Bedeutung des Wortes und erinnert zugleich an das portugiesische Wort für Felsen, die von Wasser geformt werden, und Lehm. So galten den Kritikern gerade die aus- und einschwingenden Wände vieler barocker Fassaden als Zeichen des dekadenten Verfalls.

Erst im 19. Jahrhundert kommt es zu einer Neubewertung des Barocks, wenn auch nur sehr langsam. 1855 erscheint Jacob Burckhardts »Cicerone«, ein weit verbreitetes Buch. Burckhardt übernimmt darin den pejorativen Sinn des Wortes »Barock«, hebt zu Attacken gegen Borromini und Bernini an. Zugleich aber legt er durch seine scharfen Beobachtungen der Spezifika und der Qualitäten ihrer Werke den Grundstein für eine Neubewertung des Barock. Er spricht ausdrücklich vom »Barockstyl«. In späteren Jahrzehnten wird er sich sehr viel positiver über diesen äußern.

Markus Neuwirth gelingt es in seinem Buch, die Entwicklung des Begriffs nachvollziehbar zu machen. Oftmals erschlägt er den Leser geradezu mit seinem ungemeinen Detailwissen. Randerscheinungen der Kulturgeschichte werden hervorgehoben, vor allem aber viele falsche Annahmen richtigstellt und vergessene Zusammenhänge wiederhergestellt. Neuwirth hat damit ein Standardwerk zur Etymologie des Wortes »Barock« vorgelegt, das unser Verständnis dieser Epoche, vor allem aber auch ihre Bewertung im Laufe der Jahrhunderte, erweitert.

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