Ausstellungsbesprechungen

Markus Raetz – Zeichnungen, Kunstmuseum Basel, bis 17. Februar 2013

Motive wie Elvis oder Marilyn, Pin-ups oder Selbstporträts spielen in seinem Œuvre nur eine sekundäre Rolle. Markus Raetz interessiert, wie ein Bild entsteht. Dabei setzt sich der Schweizer Künstler oft humorvoll mit Wahrnehmungsprozessen auseinander. Günter Baumann ließ sich von den magischen Augenspielereien verblüffen, die noch bis Sonntag in Basel zu sehen sind.

Es mag rund 30 Jahre her sein, als eine spektakuläre Skulpturenschau in den Grünanlagen von Basel Furore machte. Von bleibendem Eindruck war eine plastische Raumzeichnung des Berner Künstlers Markus Raetz. Aus balkenförmigen Einzelteilen aufgebaut, mutete sie im unmittelbaren Augenschein wie ein abstraktes Ensemble auf der Wiese an. Aus einiger Entfernung – und einem bestimmten Blickwinkel – gab sich jedoch ein Gesicht zu erkennen, das im Gehirn des Betrachters zu einem stimmigen Bild zusammengebaut wurde.

Die retrospektive Baseler Ausstellung greift diese Arbeit in Modellen und Fotografien auch wieder auf. Interessant ist hier der Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung. Damals sah man das Werk – freilich im Kontext einer Skulpturenausstellung – als Plastik an, dessen Witz in der Augentäuschung lag. In unsrer Gegenwart, die die Zeichnung durch große Ausstellungen und durch wichtige Einzelpositionen in denselben Rang wie die anderen Kunstgattungen gehoben hat, erkennt man in der Plastik ganz klar die Raumzeichnung. So ist es auch einleuchtend, dass die Werkschau des mittlerweile hoch angesehenen Künstlers mit rund 200 Zeichnungen, Aquarellen, Sofortbildfotos sowie unzähligen Skizzenbüchern und einem Trickfilm lapidar mit »Zeichnungen« überschrieben ist.

Nach wie vor spielt Raetz den Betrachtern einen Streich, zwingt sie Dinge zu sehen, die nicht da sind. Fulminant hat er beispielsweise Ulmenzweige auf eine Holzleiste zu einer Aktdarstellung mit dem Titel »Eva« drapiert. Fotografien von in den Sand gefurchten Aktsilhouetten präsentieren uns Zeichnungen, die bereits das Zeitliche gesegnet haben, kaum dass man sie bemerkt hat. Nun würde freilich ein falscher Eindruck entstehen, wenn man Raetz’ Werk unter der Aktkunst subsumieren würde. Sein Œuvre umfasst geschätzte 30.000 Zeichnungen, die als tiefsinnige Beiträge zur Wahrnehmungsästhetik »gelesen« werden können oder auch als fantasiestrotzende Humoresken.

Der 1941 geborene Documenta-Teilnehmer von 1968 und 1972 gehört zu den wichtigsten Schweizer Künstlern der Gegenwart, doch dürfte sich diese Erkenntnis aufgrund der verzögerten Akzeptanz der Zeichnung in der Öffentlichkeit erst in den letzten Jahren gefestigt haben. Die Werkschau wird das ihre dazu tun: Selten wird man bisher die Gelegenheit gehabt haben, in dieser Fülle an Exponaten das ganzheitliche, auf das Gesamtkunstwerk gemünzte Schaffen von Raetz zur Kenntnis zu nehmen. Wie bedeutend das ist, macht der Prozesscharakter deutlich: Markus Raetz umkreist sein Konzept in verschiedenen Medien, setzt sie miteinander in Beziehung und fahndet nach den Urgründen der Zeichnung, wenn nicht der Kunst: Wie wird ein Bild sichtbar und wie wird es über diesen Erkenntnissprung zum Kunstwerk. Leicht macht er es sich nicht dabei, versteht aber den Betrachter mitzunehmen durch Witz – im Doppelsinn von Witzigkeit und Gewitztheit.

Zeichnung entfaltet sich in Raetz’ Werk als Plastik, Rastermalerei, Rauminstallation, Spurensuche usw. Sinnfällig ist die Beschäftigung mit der Möbiusschleife, die auch den wissenschaftlich engagierten Erkenntnistheoretiker in Raetz erkennen lässt – die scheinbar banalen Motive sind keineswegs rein spielerisch zu verstehen, gehört doch das Spiel zum Wesen des Menschen schlechthin. Dem widersprechen auch weder die eindeutig karikierenden Züge mancher Arbeiten noch die collagierten Experiment-Miniaturen. Für die Baseler Ausstellung hat Raetz selbst die Regie übernommen, was den persönlichen Touch der Schau noch unterstreicht, die einen wunderbaren Einblick in den Schaffensprozess des Künstlers erlaubt.

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