Ausstellungsbesprechungen

Martin Assig. Tausend Gründe

»Enkaustik ist wie gefrorene Zeit« (M. Assig). Nur wenige Künstler machen sich heute die Maltechnik der Enkaustik zu nutze. Nachdem im alten Ägypten auf diese Weise noch Mumienporträts geschaffen und hierdurch der Tod zu überlisten gesucht wurde, nachdem im antiken Griechenland, wie auch in Rom die Wachsmaltechnik die Blüte der damaligen Malerei bedeutete, finden sich die wachsgebundenen Farbpigmente heute kaum noch.

Um so interessanter zeigt sich daher das aktuelle Ausstellungsprogramm des Stadtmuseums Jena, präsentiert es doch mit Martin Assig einen Künstler, der sich dieser Technik bedient, ja sogar gänzlich verschrieben hat. Es ist der »Hautcharakter« des Wachses und seine Plastizität, welche den Künstler reizt und seinem Bildprogramm am dienlichsten scheint. Die Farbhaut, so Assig, entspricht der menschlichen Haut, wo diese den Körper umschließt, begrenzt jene den Bildraum; wo diese sich durch ihre Durchlässigkeit auszeichnet, ist es die Durchsichtigkeit, welche für jene prägnant ist. Das Bild soll auf diese Weise zu einem körperlichen Gegenüber werden - ein Gegenüber und doch mehr ein Selbst.

Der Selbstbezug zeigt sich auf inhaltlicher Ebene. Dargestellt sind oft Fragmente von Menschen – insbesondere von Frauenkörpern: Ihnen fehlen mal die Arme, oft haben sie keinen Kopf, Beine erinnern eher an Stümpfe, Hände sind zumeist gänzlich verstümmelt. Doch sind es keine Invaliden, nichts Verkrüppeltes was hier gezeigt werden soll, vielmehr ist es die Wahrnehmung des eigenen Körpers. »Es ist«, so Assig, »die Entsprechung der eigenen Erfahrung. Ich nehme mich – außer ich sehe in den Spiegel – ohne Kopf wahr.« Erst durch Gefühl und Vorstellung wird der sich selbst betrachtende Mensch vollständig. Falsche Proportionen der Gliedmaßen, wie zu kurze Arme und deplatzierte Gelenke, sind ebenso als ein Ausdruck der inneren Gefühlswelt zu verstehen und zeigen den sich mit sich kritisch auseinandersetzenden, oftmals scheiternden Menschen.

 


Der Dualismus von Außen und Innen durchzieht dabei das Werk des Künstlers wie ein roter Faden. Schon der formale Bildaufbau seiner von ihm als »Tafelbilder« bezeichneten Malerei zeigt sich zweiteilig als ein doppeltes Zitat der kirchlichen Tafelmalerei. Während diese jedoch das Bildprogramm durch Bibelzitate oder Anweisungen zur religiösen Praxis zu ergänzen suchte, treffen bei Assig zwei sich vollkommen fremde Welten auf einander. Es scheint fast, als ob der alte Dualismus zwischen Körper und Geist den Grundtenor seiner Malerei angebe. Die Körper als Gefäße der Seele, ähnlich der Architektur als Gefäß des Menschen, sind von tradierten Symbolen und Zeichen, von Strukturen und Ornamenten umgeben. Sie scheinen sich in den Zellstrukturen, Wasserwirbeln oder organischen Grundformen der Natur bisweilen aufzulösen, beharren aber als ein dem Naturalismus Entgegengesetztes, als ein von ihm getrennter Widerpart. Der einzige Bezug zur Außenwelt vermag der dargestellte Mensch über Linien herzustellen. Es sind nur dünne Seidenfäden, welche vom Körper ausgehend sich in der  Struktur des Außen verlieren (Doppelwunder, 2007).

In dem für die Ausstellung titelgebenden Bild (Tausend Gründe, 2007) ist die Silhouette einer Frau dargestellt. Die schwarze Figur bekommt allerdings durch das sie umlaufende weiße Linien- und Punktband eine gewisse Tiefe, im Gegensatz zum Hintergrund, welcher in dunklem Blau gehalten und von schwarzen Linen durchzogen einen Sternhimmel anzudeuten scheint. Die weißen Sterne nehmen das Motiv der Punkte vom enganliegenden, fast hautartigen Anzug der Frauengestalt wieder auf.

Der Körper selbst wird nur in einem Ausschnitt gezeigt, die Beine sind oberhalb der Knie abgeschnitten, der Kopf, welcher in diesem Bild überhaupt einmal auftaucht, ragt zur Hälfte aus dem Bild. Obgleich er jedoch nicht vollständig zu sehen ist, stellt er doch das Zentrum des Bildes dar. In völligem Weiß gehalten und mit von ihm ausgehenden hüftlangen weißen Haaren deutet der geisterhafte Kopf auf eine reinere, höhere, eine geistige Ebene. Auffallend sind die von allen Teilen des Körpers ausgehenden Linien, welche mit einem Punkt Körperteile zu bezeichnen scheinen und daher an eine populärwissenschaftliche Abbildung aus einem Anatomiebuch erinnern. Der Bezug von Innen nach Außen und umgekehrt wird hierin fühlbar. 

Die häufig der christlichen Kunst entlehnten Ornamente und ebenso das Motiv der Hand, welche oft den einzigen Bildgegenstand darstellt (Himmel, 2007), zeigen das Suchende, das Wollende und stehen als richtungsweisendes Element oft für Handlungen selbst. Damit verkörpern diese zum einen das Eingreifen des Selbst in die Welt, zum anderen den offenen Streit des Körpers mit dem Geist. Dabei bleibt das Suchen ein vergebliches, die Hand, wie auch die Figuren, wirken hilflos und ausgeliefert. Der Dualismus kann nicht und soll vielleicht auch nicht überwunden werden, es verbleiben zwei getrennte Welten. Martin Assig will auf der einen Seite die naturalistische Darstellung seiner Akte brechen und setzt selbige gleichzeitig dem Naturalismus aus. Die dualistische Problematik rufen genau jene Art von Ungenauigkeit der Wahrnehmung und Gedanken hervor, von welcher Assig meint ihr »eine treffende bildliche Entsprechung« schaffen zu müssen.

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