Ausstellungsbesprechungen

Martin Noël - Schichtwechsel, Städtisches Kunstmuseum Spendhaus in Reutlingen, bis 30. September 2012

2010 bereitete Martin Noël seine Ausstellung in Remagen vor, als er erkrankte und schließlich starb. 2011 konnte dann schließlich nur noch eine Gedächtnisausstellung eröffnet werden. Günter Baumann über einen Künstler, dessen Werk unvollendet, aber trotzdem sehenswert ist.

Johann Wolfgang Goethe sagte über den frühen Tod Mozarts sinngemäß, seine Zeit sei gekommen, weil er ein vollendetes Werk hinterlassen habe. So edel dies gedacht war, so zynisch muss es einem vorkommen, wenn ein Mensch viel zu früh stirbt. Und auf keinen Fall ist es ein Trost für die Nachwelt. Der Künstler Martin Noël wird kaum irgendwo in einem Atemzug mit Mozart genannt werden, doch kann man seinem Werk eine zauberhafte Leichtigkeit und zugleich eine melancholische Gedankentiefe attestieren, die man eher bei Mozart als etwa bei Bach verorten würde. Auf jeden Fall zog Noël im Hochdruck – insbesondere im Linol- und Holzschnitt – alle Register, um zielsicher zum Protagonisten der Renaissance dieses Druckverfahrens in den 1980er Jahre zu werden. Er wurde älter als Mozart, aber mit der ganzen Tragik des lapidaren Satzes: Martin Noël (1956–2010) starb, 54-jährig, zu früh. Wer würde seinem bewundernswert souveränen, technisch nahezu vollkommenen Schaffen unterstellen können, es sei vollendet gewesen? (und was hätte auch noch Mozart alles schaffen können!)

Konzipiert wurde die Ausstellung im Arp-Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen im Jahr 2010, also noch zu Lebzeiten Noëls, der somit noch aktiv an deren Entstehungsprozess beteiligt war. Als die Ausstellung dann 2011 gezeigt wurde, hatte sie sich zur Gedächtnisschau gewandelt. So ist auch ihre Fortsetzung in Reutlingen eine Gedächtnisausstellung geworden, was dem Städtischen Kunstmuseum zur Ehre gereicht: Das Spendhaus, spezialisiert auf das Hochdruckverfahren, hat sich bereits früh mit dem Werk Noëls beschäftigt – so ist es vielleicht ein kleiner Trost, dass hier über drei Stockwerke hinweg das Schaffen eines faszinierenden Künstlers ausgebreitet ist. Hinreißend und biographisch bewegend ist die Bildserie »John«, die in den späten 1990er Jahren entstand und im Grenzbereich zwischen Druckgrafik und Malerei angesiedelt ist. Noël übertrug Erinnerungsspuren aus den Verletzungen der Zivilisation – wie Risse in Straßenboden oder in Hauswänden – in abstrakte Chiffren. Er verwertete die Druckstöcke als Malgrund und öffnete sich in den letzten Arbeiten ganz der freien, lichterfüllt-luftigen Malerei, mit der er gegen seine Krankheit ankämpfte. Am Ende konnte Noël nur noch linkshändig malen. Er kam ohne viele Worte über seine Kunst aus, die in der technischen Brillanz – selbst bei der Holzbearbeitung mit skulpturalem Gespür – und in der farbigen Zartheit für sich sprach. Aber er brauchte die Musik, die ihn inspirierte. Es entstanden zahlreiche CD-Cover, die in Reutlingen auch gezeigt werden, aber das ganze Werk ist durchdrungen von einer transparenten – man ist auch versucht zu sagen transzendenten – Musikalität, die Klänge regelrecht sichtbar macht, bis hin zu den Zeichnungen, die die kalligrafischen Elemente der Linolschnitte und Holzdrucke auf das Papier ausweiteten.

Angelegt ist die Ausstellung chronologisch, das Museum empfiehlt den Weg von oben nach unten, der die Entwicklung nachvollzieht. Doch das ist ganz und gar nicht zwingend: Es bereitet ein pures Vergnügen sich ungerichtet dem Werk hinzugeben, hier und da zu verweilen – manchem Betrachter werden sich so die Relikte der erinnerten Notate, die Noël in Fotografien und Skizzenbüchern gesammelt hat, mit eigenen Erfahrungen und Gedächtnisfragmenten verbinden. Außerdem ist es – auch hier unabhängig vom biografischen Werdegang – ein Vergnügen, die handwerkliche und technische Vielfalt und Experimentierfreude zu entdecken. Denn der Künstler suchte bei allem Abstraktionswillen immer einen Weg zu einer Form, die mal mehr, mal weniger Gestalt oder gar Motivnähe annahm. Die Fülle der Farbigkeit kulminiert in den vergoldeten »Hölzern«, die dem Werk postum ein würdiges Denkmal setzen. Nicht minder bedenkenswert sind allerdings auch Noëls Erkundungen der (Nicht-)Farbe Weiß, das in vielen Nuancen unterschwellig lebt. So darf man davon ausgehen, dass dieses Werk über den Tod des Künstlers Bestand hat.

Eine CD mit Stücken von Nils Landgren und Michael Wollny liegt dem Katalog bei, die den vieldeutigen Titel »Schichtwechsel«, den Noël selbst noch bestimmt hat, auch in andere Dimensionen hebt.

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