Ausstellungsbesprechungen

Matisse – Menschen, Masken, Modelle, in Stuttgart bis 11. Januar und in Hamburg ab 31. Januar 2009

Henri Matisse (1869–1954) sei süchtig gewesen nach neuen Gesichtern und an deren Entschlüsselung, so bemerkte Francoise Gillot, eine der Lebensgefährtinnen Pablo Picassos – eine Aussage, die etwas Gedrängtes hat:

Ungewöhnlich für einen Künstler, der mit dekorativen, zuweilen ornamentalen Formen figurativer Abstraktion in die Kunstgeschichte einging, weder vom Impressionismus noch vom Symbolismus nachhaltig berührt (man vergleiche dagegen etwa den zur Zeit in Karlsruhe präsentierten, fast gleichaltrigen Éduard Vuillard, der entschieden zwischen diesen beiden großen Strömungen der Zeit hervorging). Man möchte in diesem Kontext das Picasso-Wort umkehren, der meinte, er suche nicht, er finde. Für Matisse würde eher die Suche im Vordergrund stehen, um erst noch zu finden: vielleicht eine gültige Form, die Einswerdung von Sehendem und Gesehenem. Dazu könnte als Vermächtnis gewertet werden, was Matisse am Ende seines Lebens notierte, das Porträtieren verlange nach einer Identifikation mit dem Gegenüber. Eine schier unlösbare Aufgabe in dem Sinne: Ich finde nicht, ich suche…

Die Stuttgarter Staatsgalerie, die nun recht lange an ihrer eigenen Selbstfindung gearbeitet und sich nach außen hin mehr als rar gemacht hat, zeigt nun – im Anschluss an eine Schau über Zeichnungen und Gouaches découpées von Matisse vor 15 Jahren – eine Seite des französischen Wegbereiters der Moderne (neben, wenn nicht gegen Picasso), die bislang zu kurz kam: die des Porträtisten. Ob die Einstufung unter den segensreichen Lorbeerkranz der »Großen Landesausstellung« in einer solchen Detailstudie angemessen ist, zumal sie in Verbindung mit dem Hamburger Bucerius Kunst Forum entwickelt wurde, sei dahingestellt, doch die über 100 Arbeiten, vorwiegend Gemälde und Zeichnungen – daneben einige Porträtplastiken –, gehören zum besten, was im Stuttgarter Haus in den letzten Jahren gezeigt wurde. Und vielleicht überrascht der Meister selbst Kritiker aufs Angenehmste, die dem heute eher kalenderreif als »fauve« daherkommenden Stil eine atemberaubende Frische zugestehen müssen. Die Wildheit ist dahin, es lebe die dissonante Klassizität und die Lust am Bild.

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Sowohl in seinen Gemälden als in den Zeichnungen erweist sich Matisse letztlich als disziplinierter Künstler, der versucht, in wenigen Linien und skizzenhaften Zügen das Gesicht der Modelle und ihre Haltung hervorzuheben: Dass ihm dabei so manches Antlitz zur Maske zu entgleiten scheint, täuscht über die Tiefe hinweg, mit der er den wahren Gesichtszügen nachspürt. Die ungestüm aufeinander losgelassene Farbigkeit, die den bekannten Matisse ausmacht, wird sozusagen im persönlich empfundenen Porträt formal zurückgenommen. Nehmen wir Bilder wie das »Junge Mädchen im Garten« (1919) oder die »Pianistin und Damespielerin« (1924), so werden die Personen in aller nur angedeuteten Porträthaftigkeit zum Blickfang, dem sich die dissonanten Farbklänge zwischen Teppich und Gartenstück bzw. Tapete unterordnen. Unter den Zeichnungen – sofern sie nicht schon über die 30er Jahre hinweg auf die 1950er verweisen – sind sogar einige nahezu realistische Stücke, dass man zuweilen schon froh ist, wieder ein leicht dahingeworfenes Blatt zu sehen.

Die Konzentration auf ein Thema lässt auch zu, die ganze Vielfalt vor dem Betrachter auszubreiten: Irritierend schön sind die für Matisse düsteren Gemälde um 1914, aus denen eine existenzielle Hilflosigkeit spricht, die Matisse bis in die Form hinein – teilweise experimentell – weiterführt. Dazu gehören Sitzfiguren wie »grauer Akt mit Armband«, »Frau auf dem Hocker« und noch mehr »Mademoiselle Yvonne Landsberg« (mit einem Gesicht, das den maskenhaften Gesichtern von Picassos Desmoiselles ähnelt) oder »Kopf in Weiß und Rosa« (der schon konstruktivistische Elemente aufweist). Man darf davon ausgehen, dass die gesellschaftspolitische Situation hier ihre Spuren hinterlassen hat. Überhaupt ist als größter Gewinn dieser Schau die Begegnung mit einem Matisse, der am politischen Geschehen seiner Zeit teilnahm, der im persönlichen Umfeld seine Modelle suchte und so als kontaktsinniger Mensch erkennbar wird, der auch um das Motiv ringen musste – wie einige präsentierte Skizzenvariationen zeigen. Schließlich konnte oder wollte er sich auch nicht im inhaltlich relevanten Thema untreu werden, das heißt: In all diesen Werken bleibt freilich noch die eigenwillige Matisse-Welt deutlich, die gänzlich durchkomponiert ist. Ob die dezent verschleierte »Mademoiselle H. D.« (1927) oder die »Dame in Grün« (um 1909), der persönliche Zugang zum Porträt ist eben nicht mit Gefühlsausdruck zu verwechseln. Wenn er dann noch ganze Körperteile widersinnig verbirgt wie bei der »Italienerin« (1916) oder – wie im Titelmotiv der Ausstellung – die Perspektive im Verhältnis von Frauenbildnis und Kaffeetasse bewusst überstrapaziert, dann ist er wieder ganz bei sich. Doch erst der ungeahnte Umweg mit ganz neuen Facetten im Gesamtwerk lässt eine neue Sichtweise zu. Ina Conzen, die Kuratorin der Staatsgalerie Stuttgart, hat einen sehr spannenden Blickwinkel auf Henri Matisse gefunden, aus dem heraus man den Maler intensiver zu erleben lernt, als dies bisher möglich war.

Eine gute Idee war es, im ohnehin schon vorzüglichen Katalog die Vita der dargestellten Personen in einem kleinen Lexikon zusammenzufassen.

Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag 10–20 Uhr
Donnerstag 10–21 Uhr

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