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Max Beckmann. Apokalypse - Staatsgalerie Stuttgart

Stuttgart gehört zu den stillen Verehrern Max Beckmanns. Während man die Stadt in Sachen Kunst mit dem Namen Otto Dix verbindet – das Kunstmuseum ist eine der ersten Dix-"Adressen" – , ist weniger bekannt, dass die Staatsgalerie einen sehr ordentlichen Bestand an Beckmann-Gemälden und Graphiken (Lithographiefolgen zum "Neuen Testament", 1911; "Stadtnacht", 1921; "Berliner Reise", 1922) hat. Im vergangenen Jahr hat der Galerieverein ein Konvolut rund um die grandiose Lithographiefolge zur "Offenbarung des Johannes" (d. i. die "Apokalypse") erworben. Noch bis 8. März ist diese Ausstellung zu sehen, Günter Baumann war für PKG vor Ort.

Das Konvolut umfasst das einzigartige Urexemplar mit 27 kolorierten Probedrucken (mit 17 ganzseitigen Darstellungen und zehn Vignetten für die Textseiten), 27 nicht kolorierte Probedrucke, ein koloriertes und ein ungebundenes Schwarzweiß-Exemplar der gedruckten Fassung auch einen Bleigusssatz der verwendeten Schrifttype ("Legende"), eine Vorzugsausgabe (Philipp Reclam, Leipzig, 1989) sowie zahlreiche Dokumente zur "Apokalypse". Mit diesem großartigen Werk macht Stuttgart einmal mehr auf sich aufmerksam, wenn auch zu fürchten steht, dass – wie so viele Graphikausstellungen –diese Schau sich im Getöse der großen Kunstspektakel schwerlich Gehör verschaffen kann. Immerhin, der Ankauf in Zeiten knapper Kassen allein unterstreicht die Bedeutung der Arbeit, und vielleicht hat der 125. Geburtstag Max Beckmanns, den das Frankfurter Städel Mitte Februar mit einem Vortrag von Prof. Uwe Schneede zum Amsterdamer Exil des Malers beging, auch die Sinne für den außergewöhnlichen Expressionisten geschärft. Gerade im Amsterdamer Exil, wo auch die Stuttgarter Apokalypse in den Jahren 1941 und 1942 entstand, fand Beckmann eine Bildsprache, die die mythische Schwere seines bisherigen Werks um eine Varieté-nahe Leichtigkeit und eine trotzige Geste wider Vernichtung und Freiheitsberaubung bereicherte.

Die Vorzeichnungen zur "Apokalypse" – im Tagebuch spricht der Künstler lakonisch von seiner "Apo" oder der "Glypse" – sind verloren gegangen, weshalb das sogenannte Urexemplar des Probedrucks um so bedeutender ist. Schon seine Geschichte ist spektakulär: In einer Nacht- und Nebelaktion wurden die Zeichnungen aus den seit 1940 von den Nazis besetzten Niederlanden nach Frankfurt gebracht, wo sie auf Stein umgedruckt und wieder nach Amsterdam geschmuggelt wurden. Dort kolorierte Beckmann, der unter Arbeitsverbot stand, die Blätter, die erneut nach Frankfurt kamen, wo sie als Vorlage für die Farbfassungen der Drucke dienten – von Beckmann selbst stammen fünf Kolorierungen, insgesamt existiert eine halbwegs offizielle Auflage von 24 nummerierten Exemplaren, "halbwegs" deshalb, weil erst ab einer 25er-Auflage eine offizielle Genehmigung notwendig geworden wäre, die kaum erteilt worden wäre. Unter der Hand wurden neben diesem Privatdruck weitere nicht nummerierte Exemplare gedruckt. Bedenkt man, dass Max Beckmann das Urexemplar unter dem Lärm des Fliegeralarms kolorierte, ist es umso ergreifender, dass der Künstler in seiner Symbolsprache blieb und das von den Nazis verantwortete Grauen allenfalls im privatmythischen Raum umsetzte. Das Exemplar verblieb übrigens über 30 Jahre lang im Tresor der Gießerei, wechselte nach weiteren 30 Jahren im Privatbesitz 2002 den Eigentümer. Der Ankauf der Staatsgalerie ist alles in allem eine kleine Sensation.

Ein liebevoll gemachter Katalog, der die Entstehungsgeschichte des Zyklus detailreich schildert, die Schwarzweiß- und Farbfassung großzügig nebeneinander darstellt und wissenschaftlich präzise dokumentiert, rundet die kleine, aber wunderbar im neu eröffneten Trakt der Staatsgalerie platzierte und thematisch fesselnde Ausstellung ab. Mit der Publikation liegen insgesamt gute Ausgaben bereit, nachdem das Bijbels Museum in Amsterdam Beckmanns "Apokalypse" im letzten Jahr gezeigt hatte und bei Waanders eine schöne, niederländische Publikation erschien und nachdem Hatje Cantz 2007 einen Katalog über "Max Beckmanns Exil in Amsterdam" herausbrachte, der die lithographische Folge auch berücksichtigt. Dies mag ein kräftiges Indiz dafür sein, welche Bedeutung diesen Blättern zukommt.

Die Stuttgarter Schau zeichnet sich dadurch aus, dass sie die lithographische Folge aus dem biblischen Kontext löst und auch das Exil thematisch unberücksichtigt lässt – beides ist freilich unmittelbar präsent - , wodurch ein ästhetisches Wahrnehmungsfeld geöffnet wird, das die Betrachtung der Arbeiten zu einem atemberaubenden Erlebnis macht.
 


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Öffnungszeiten:
Di bis So: 10 bis 18 Uhr
Di und Do: 10 bis 20 Uhr

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