Rezensionen

Meilenstein: Fast 50 Jahre Julian Schnabel. Neue TASCHEN-Publikation. Mehr als ein Coffee Table Book.

Der deutsche Kunsthistoriker Sebastian C. Strenger traf den US-Künstler mehrmals in seinem Leben. Über viele Jahre hat er sich mit dem Künstler auseinandergesetzt. Portal Kunstgeschichte bat ihn, sich einmal die neue TASCHEN-Publikation Julian Schnabel anzuschauen, um das Besondere und die weniger bekannten Seiten des Künstlers für unsere Leser*innen darin zu finden. Eine künstlerische Zeitreise begann.

Cover © Taschen Verlag
Cover © Taschen Verlag

Nachdem Andy Warhol im Januar 1985 in seinem Tagebuch  einen Besuch im Loft von Julian Schnabel in der Park Avenue South beschrieb - einem seiner stärksten Rivalen in der Kunstwelt yu dieser Zeit - erklärte er dort Bryan Ferry und weiteren Künstlerkolleg*innen seine eigenen Kunstwerke und dies fortan buchstäblich jedem, den die Bedeutung seiner Werke interessierte. Drei Jahrzehnte später hatte er die Adresse gewechselt und Schnabels Haus besuchte ich mit einer Gruppe von Journalisten und Fotografen, als er wieder vor seinen Werken in seinem weitläufigen Domizil im West Village, im sogenannten Palazzo Chupi vor Kunstinteressierten dozierte, in einem rosafarbenen italienischen Herrenhaus, dass er selbst entworfen hatte und welches auf einen Backsteinstall aus dem frühen 20. Jahrhundert aufgesetzt worden war. Ein 12-stöckiger Palazzo voll mit Kunst und Design wurde es und seine darin lebende Künstlerpersönlichkeit umgab sich dort Seite an Seite mit seinen lauten und frechen neoexpressionistischen Gemälden der späten 1970er und frühen 80er Jahre bis zu seiner aktuellen Kunst heutiger Tage. Schnabels eigener Kosmos ist nun auf 574 Seiten gebannt und in Zusammenarbeit mit dem Künstler wirkt die vorgelegte Publikation wie der erste Wurf eines umfangreichen Werkkatalogs, in dem sich das Bemühen des Künstlers um Nachhaltigkeit auf akribische Weise in 11 Kapiteln wiederfindet. Ein großes Erlebnis, dass gewichtig auf mehr als acht Kilo Papier daher kommt und eine Lücke im bisherigen Programm des Taschen-Verlags, aber auch in der Künstler-Bibliografie schließt. Die unlimitierte Monografie zeigt die gesamte Palette von Schnabels Schaffen und ist kapitelweise durchsetzt mit Texten seiner Freunde sowie von Kurator*innen und Kunsthistoriker*innen.  

Blick ins Buch © Taschen Verlag
Blick ins Buch © Taschen Verlag

Und so erfährt man durch Laurie Anderson und ihrem intimen Porträt des Künstlers über das Jetzt und "Alte Zeiten". Sie blickt dabei in seine Seele und nennt des Künstlers "Gründe zu leben", aber klärt auch mit ihm: "Welche Farbe hat der Hinmmel?" Während  Éric de Chassey sich überwiegend dem Frühwerk seiner Gemälden der 1970er bis 80er Jahre widmet.Den Leser*innen erwartet hier ganz großes Kino auf nahezu 200 Seiten mit zahlreichen hochwertigen ganz- bis doppelseitigen Abbildungen. Zum Werk ergänzend liefert Bonnie Clearwater mit "Ein Baum, gefangen in der Ecke eines Zimmers" einen Text zu seinen Skulpturen und dem Einfluss von unter anderem Balzac, Beuys, Francesco Clemente und Cy Twombly. Seine installativen Räume wie Tomb for Joseph Beuys von 1986 kommen hier ebenso zur Sprache, wie auch seine Außenskulpturen wie Ahab von 2001 und Assemblagen wie aufgebrachte skulpturale Elemente auf Malerei auf Leinwand wie bei Gate Painting von 1988. Seine großartigen performativen Werke aus den überwiegend Neunzigern sind hier ebenso präsent, wie auch die Reihe seiner japanischen Werke. Seinem Open-Air-Studio in Montauk (2006) mit seinen Werken Hat full of Rain begegnet man schliesslich nach der Durchsicht der Hälfte des Bandes wie den Leser ab Seite 342 seine berühmten autobiographischen Portraits von Jesus bis Albert Oehlen erwartet. Die Zeit nach Millennium präsentiert dieses bisher umfangreichste Buch des Künstlers mit seinen Selbstportraits vor der Leinwand, aber auch seiner Serie Large Girl with No Eyes (2001). Das erzählerische Werk seiner Malerei endet hier mit einem Werkblock von mehrheitlich Van Gogh Selbstportraits die beim Künstler 2019 ihre Adaption gefunden haben, bevor sich das Kapitel mit einem pathetischen Selbstportrait von Christus (2019) schliesst und der Index von 1951 bis 2018 die Biographie Schnabels auf 12 Seiten mit vielen dokumentarischen Fotos auffächert. Es folgen eine Auflistung von Ausstellungen ab 1976 bis heute, ebenso wie eine ausführliche Bibliografie und Liste von Werken mit Detailangaben, aus denen hervorgeht, dass die Abbildungen seiner Werke in dieser von Buchgestalter Hans Werner Holzwarth und Schnabels Partnerin Louise Kugelberg herausgegebenen Publikation den Zeitraum von 1973 bis ins Jahr 2000 - also nahezu 50 Jahre - abdeckt. Eine Publikation wie ein Meilenstein. 

Blick ins Buch © Taschen Verlag
Blick ins Buch © Taschen Verlag

Die Publikation wurde hier in einer Version gleich dreisprachig vorgelegt: Englisch, Französisch, Deutsch. Hat man die Lektüre geschafft, liefert sich ein klares Bild dieser kunsthistorisch bedeutenden Künstlerpersönlichkeit. "Schnabels Werke sind Empfänger für eine Poesie die sowohl persönlich und universell ist. In diesem Fall führt das absichtliche Malen des Unbekannten zu einer getreueren Darstellung der Erfahrung, als es jeder Versuch einer realistischen Darstellung der physischen Welt je könnte", so Max Hollein, Direktor des Metropolitan Museums of Art New York und Mit-Autor dieses Werkes über den Künstler Julian Schnabel in seinen Ausführungen über das ortsspezifische Arbeiten des Künstlers. Ergänzend finden sich zudem Texte von Donatien Grau über den Palazzo Chupi sowie vom Schriftsteller Daniel Kehlmann über das filmische Werk des nach eigenem Verständnis auch Film-Regisseurs Schnabel.

Blick ins Buch © Taschen Verlag
Blick ins Buch © Taschen Verlag
Blick ins Buch © Taschen Verlag
Blick ins Buch © Taschen Verlag

Als ich Julian zuletzt im Alter von über 70 Jahren in der Galerie Hetzler wieder traf, hatte er den Pyjama, mit dem er uns in New York bei meinem ersten Zusammentreffen empfangen hatte eingetauscht gegen Textiles, wie es überall im Kiez von Berlin-Charlottenburg getragen wird. Er ruhte in sich. Und ich wusste, sein Spätwerk war angebrochen, aber es würde nicht minder interessant werden.

Julian Schnabel
Taschen Verlag
Ausgabe: Mehrsprachig (Deutsch, Englisch, Französisch)Verfügbarkeit: Auf Lager
Hardcover, 25 x 33.4 cm, 3.69 kg, 572 Seiten

Blick ins Buch © Taschen Verlag
Blick ins Buch © Taschen Verlag

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns