Kataloge

Mensch, Bernhard und Pachnicke, Peter (Hrsg.): Gartenträume. Plakatkunst von Mucha bis Staeck, Sammlung Peter Drecker, Oberhausen 2006.

Wenn Ernst Growald bereits im Jahr 1904 erkennt, dass gute Plakate nicht gelesen werden, sondern gesehen werden müssen, dann hebt er einen ganz zentralen, überzeitlichen Aspekt dieses Mediums hervor: eine dynamische, das Auge fesselnde und zum Nachdenken animierende Bildsprache.

Das vorliegende Katalogwerk hat sich nun auf 128 Seiten zur Aufgabe gemacht, dem Bild von der Natur innerhalb der Plakatgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts anhand zahlreicher Beispiele nachzuspüren.

In zwei informativen Essays von Peter Pachnicke und René Grohnet erfährt der Leser, welche Blumen und Pflanzen zu einer bestimmten Zeit die Menschen faszinierten und welchen kunst- und kulturgeschichtlichen Wandel das Plakat im Allgemeinen vollzog. Es wird auf die Vorläufer, wie Flugblatt oder Anschlagzettel, die sich weiterentwickelnden technischen Voraussetzungen für die Plakatherstellung und auf die ungemeine Wirkung von Plakaten hingewiesen, die als Werbemaßnahme für die – im Zuge der Industrialisierung – massenhaft hergestellten Produkte die Menschen zum Kaufen anregen sollten.

Dann aber kam es – und hier beginnt die chronologische Einführung des Leser in die Wirkungsgeschichte des Mediums Plakat – mit dem Ersten Weltkrieg zu einer wesentlichen Zäsur und die Bevölkerung war erstmals, wie es Grohnert formuliert, einer »Plakat-Propagandaschlacht ausgesetzt.« Nun fielen nicht nur auf den Schlachtfeldern die moralischen Grenzen, sondern auch in der Bildsprache der Plakate, die brutal den Betrachter traf und ihn zu emotionalisieren suchte.

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In den zwanziger Jahren wurde das Plakat nicht mehr als einheitliches Medium verstanden und es konnte sich eine Gleichzeitigkeit ganz unterschiedlicher Stile entwickeln. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde das Plakat dann zu einem Teil innerhalb anderer Medien, wie Film, Radio oder Zeitung. Als in den 50er Jahren dann das Fernsehen die heimischen Wohnzimmer eroberte und damit ein neuer wirkungsvoller Werbeträger gefunden war, schien er papierne Werbeträger als veraltetes Medium seinem Ende nahe zu sein. Doch bereits in den 70er Jahren erlebte das Plakat eine Renaissance: es wurde zum Ausdrucksträger eines neuen Lebensgefühls, wobei Musik ein zentraler Bereich darstellte.

Laut Grohnert hat sich das Plakat konstant weiterentwickelt: es kam und kommt eben nur darauf an, dass »ein Plakat durch Thema und Gestaltung in der Lage ist, eine bestimmte Konstellation gesellschaftlicher Realität in plakativer Übersetzung zu reflektieren«, da es nur auf diesem Wege »eine besondere Art der Aufmerksamkeit entfalten, also Wirkung erzielen« kann. Auf diese Weise avanciert das Plakat zu einem, wie Grohnert es so pointiert erfasst, »einzigartigem Träger visuellen Gedächtnisses der Zeit, aus der es stammt« – zu einem papiernen Zeitzeugen.

»Das schönste Naturschauspiel wird niemals den Anblick einer Plakatwand aufwiegen!« – so das Fazit Siegfried Kracauers. Bis in die 1920er Jahre wurde primär die exotische Pflanzenwelt bewundert und auf den Plakaten in einer markanten Formen- und Farbsprache in Szene gesetzt. Dominierte bis dahin die Faszination der Schöpferkraft der Natur, so wird die Blume in der Werbung zusehends »zum illusionären Teil des angepriesenen Produkts« [Pachnicke]. Aber nicht nur in der Werbung artikuliert sich der Wandel des floralen Ornaments, sondern auch in Ausstellungsankündigungen, so dass dem Plakat im Zuge der Gartenstadtbewegung Anfang des 19. Jahrhunderts der Aufstieg zu einem wichtigen Medium des Werbens für ein »Zurückholen« der Natur in das städtische Leben gelang.

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Parallel zu dieser Garten- und Parkstadtbewegung wurde, wie Pachnicke erklärt, »auf den Plakaten der Fremdenverkehrsvereine, Eisenbahngesellschaften, Schifffahrtsgesellschaften und Automobilhersteller die Eroberung der freien Natur propagiert.« Der besondere Blick, den diese Plakate dem Betrachter etwa aus dem Fenster der Eisenbahn oder dem offenen Sportwagen ermöglichen, suggeriert die Intensität des Naturerlebens mittels moderner Verkehrsmittel. Jene Plakate erzählen »in anrührender Naivität von der Illusion, sich mittels der neuen technischen Verkehrsverbindungen die einst unerreichbar in der Ferne liegende Natur zu erobern.« [Pachnicke]

»Parks und Gärten sind große, begehbare Träume« – dieser Satz bringt das Anliegen des Kataloges auf den Punkt, weil das Plakat durchweg das geeignetste Medium war, diesen Träumen Gestalt zu geben, denn schließlich erreichte es durch seine Bildsprache die Menschen in großer Zahl. Auf der Zeitachse sich der Gegenwart nähernd, wird deutlich, dass die Märchengärten und Parkstädte »Gartenträume« waren und sind, da in der Realität »die Seelenlosigkeit der Städte und die Zerstörung der Natur immer bedrohlicher« [Pachnicke] wurde.

Abschließend widmet sich Pachnicke den Projekten in der postindustriellen Gesellschaft, die sich nicht mehr auf das Stadtgrün eingrenzen lassen, sondern versuchen, die von der Industrie hinterlassene denaturierte Landschaft zu revitalisieren – »Gartengestaltung wird zur Landschaftstransformation.« Die exotischen Blumen der Jahrhundertwende sind »gewöhnlichen« Wiesenblumen, dem Grün, das den Wegrand säumt oder den Pflanzen, die auf Industriebrachen sich ihren neuen Lebensraum erkämpft haben, gewichen.

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Neben der kulturellen Bedeutung wird in beiden Essays immer wieder auf die künstlerisch bedeutsame Ausgestaltung des Mediums verwiesen. Wenn bereits Ende des 19. Jahrhunderts Jean-Louis Sponsel dem Plakat »in seiner neuen Form« die Fähigkeit zuschrieb, der vielleicht »mächtigste Agent in der Erziehung des Volkes zum Kunstempfinden und zum Kunstbedürfnis« zu sein, dann nimmt es nicht wunder, wenn die Straße zur »galerie en plein air« erklärt wird und Künstler wie Henri Toulouse-Lautrec oder Pierre Bonnard als neue Vertreter der Plakatkunst gefeiert werden.

Sind die Plakate im 19. Jahrhundert noch weitgehend in ihrer Bildsprache einem malerischen Duktus verpflichtet, so verwandeln sie sich in der Zeit des Jugendstils in ein spektakulär organisches Ornament, dessen dynamische Ondulationen vom Rhythmus der Natur dominiert waren. In der Zeit des Art Déco und der Neuen Sachlichkeit verselbständigt sich das Plakat dann und entdeckt seine ganz eigenen Ausdrucksmittel: große, koloristisch wirksam ausgestaltete Flächen, einprägsame Linienführung und einfache Schriftzüge verschmelzen seitdem in den Meisterwerken der Plakatkunst zu spannungsgeladenen Bildorganismen von monumentaler suggestiver Kraft.

Überzeugend präsentiert sich das Katalogwerk neben den spannend zu lesenden, wohl strukturierten, umfangreichen Essays und den zahlreich eingestreuten Zitaten und kleineren Beiträgen von »Zeitzeugen« vor allem durch die 90 ganzseitigen, farbigen Abbildungen, die in hervorragender Druckqualität neben dem künstlerischen auch den kulturhistorischen Wert transportieren. Und so sei Bernhard Mensch zuzustimmen, wenn er in seinem Vorwort behauptet, dass das »visionäre Potenzial […] dieses Buch zu einem kostbaren Baustein nicht nur in der Plakatgeschichte [macht], sondern ebenso sehr in dem stets neu definierenden Verhältnis der Menschen zu Natur, Gartenkultur, Landschaft, Wildnis einerseits und Technik, Verkehr und Städtebau andererseits.« Es ist eine wundervolle Publikation entstanden, die dem Plakat aus verschiedenen Perspektiven einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert in der Gesellschaft beimisst und damit ein Medium würdigt, das viele Generation geprägt hat und immer noch prägt!

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