Ausstellungsbesprechungen

Michael Franke - Dionysos und Apollon, Akademisches Kunstmuseum Bonn, bis Januar 2012

Spannend geht es wieder im Akademischen Kunstmuseum Bonn zu. Dionysos und Apollon - ein kunstästhetischer und -philosophischer Diskurs wird von dem Maler Michael Franke verbildlicht. Rainer K. Wick berichtet über dieses anspruchsvolle Unterfangen.

Wer angenommen hatte, ein Museum mit Abgüssen antiker Skulpturen sei eine „tote Angelegenheit“, wird sich überrascht die Augen reiben, wenn er derzeit das zum Archäologischen Institut der Universität Bonn gehörende Akademische Kunstmuseum betritt. Denn mit der aktuellen Ausstellung »Dionysos und Apollon«, die mittel- und großformatige Bilder des Malers Michael Franke zeigt, ist dem Bonner Traditionsinstitut gleichsam der Sprung über den eigenen Schatten gelungen. Hatte das Akademische Kunstmuseum am Hofgarten seinem Selbstverständnis gemäß bislang regelmäßig mit archäologischen Sonderausstellungen brilliert (zuletzt »TonArt« über die antike Töpferkunst), so galt es hausintern zunächst als gewagt, in den „heiligen Hallen“ eines der antiken Kunst geweihten „Musentempels“ nicht nur Gegenwartskunst zu präsentieren, sondern „Flachware“, wie Wilfred Geominy, Kustos des Museums, bei einem Besuch der Ausstellung augenzwinkernd hervorhebt.

Der Bonner Künstler Michael Franke hat nun eigens für diesen Ausstellungsort mehr als dreißig neue, raumbezogene Gemälde geschaffen, die thematisch auf zwei zentrale griechische Gottheiten, nämlich Dionysos und Apollon, Bezug nehmen. Seit Friedrich Nietzsche in seiner 1872 erschienenen Abhandlung »Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik« das Begriffspaar „apollinisch – dionysisch“ populär gemacht hat, denkt man reflexartig an eine Polarität, an zwei gegensätzliche Eigenschaften oder Daseinsformen, nämlich die der Ordnung, des Maßes und des „Klassischen“ einerseits und der Rauschhaftigkeit, der Ekstase und des „Expressionistischen“ andererseits. Tatsächlich spricht Nietzsche aber von einer »Duplicität« dieser beiden Zustände oder Befindlichkeiten im Sinne einer gegenseitigen Notwendigkeit und nicht von einer – fälschlich vielfach unterstellten – Dialektik. Ohne dies an dieser Stelle vertiefend diskutieren zu können, ist doch interessant, dass sich in der griechischen Kunst die zunächst sehr verschiedenen Erscheinungsbilder und Darstellungsformen der beiden Götter in der Epoche des Hellenismus zunehmend angleichen. Das Bonner Museum zeigt als Glanzstück seiner Sammlung in der Schinkel-Rotunde einen nackten Marmortorso, der sowohl Apollon als auch Dionysos repräsentieren könnte. Da die Attribute fehlen, ist eine eindeutige Zuschreibung nicht möglich. Wilfred Geominy bemerkt dazu in dem die Ausstellung begleitenden Katalogbuch, dass »Apollon und Dionysos […] nunmehr eine Sprache« sprechen.

So weit geht Michael Franke in seinen Bildern nicht. Obwohl allen Gemälden ein spezifischer, einheitlicher, gleichsam durchgängiger handschriftlicher Duktus zueigen ist, ordnet der Künstler den beiden Gottheiten doch durchaus unterschiedliche formale und farbliche Merkmale zu. Jene Bilder, die sich auf die vielfältigen Erscheinungsweisen des Dionysos beziehen, betonen das Erdgebundene, Chthonische, Höhlenhafte, bleiben im Formalen eher amorph und in der Farbe tendenziell gedämpft – ausgenommen nur jene Bilder, in denen kräftige Rottöne dominieren, die das Ekstatische nächtlicher Kultfeiern und sexueller Exzesse signalisieren. Apollon schreibt der Künstler dagegen das tektonisch strukturgebende Motiv der Säule zu, das als Symbol der aufbauenden, ordnungsstiftenden Kräfte verstanden werden kann. Doch begnügen sich selbst diese Architekturen formal mit Andeutungen, erscheinen als Abkürzungen, als ruinöse Abbreviaturen klassischer Bauten, entfalten ihre Präsenz, indem sie sich konturlos aus der Farbmasse herausentwickeln. Die Farben sind heller, zum Teil auch kühler als in der Dionysos-Serie, und natürlich spielt das Licht als eine diffus strahlende Energie in diesen dem Lichtgott Apollon gewidmeten Arbeiten eine entscheidende Rolle. Gerade was das wie durch einen Dunstschleier gelblich gefilterte, numinose Licht anbelangt, erinnern manche dieser Bilder von Ferne an die atmosphärischen Kompositionen Claude Lorrains aus dem 17. Jahrhundert mit ihren von der Antike inspirierten Architekturen.

Michael Frankes Malerei ist non-figurativ, aber nicht ungegenständlich, obwohl manche seiner Bilder auf den ersten Blick die Gegenstandslosigkeit streifen. Eher lassen sie sich in dem Sinne als „abstrakt“ bezeichnen, als es dem Maler darum geht, alles Unwesentliche „abzuziehen“ und sich auf das ihm Wesentliche zu konzentrieren. Dabei sind seine malerischen Mittel eher traditionell, und es überrascht nicht zu erfahren, dass er sich intensiv mit klassischen Malereitraktaten wie Cennino Cenninis »Libro dell’arte« oder Leon Battista Albertis »Della Pittura« auseinander gesetzt hat.

Sein Werdegang als Künstler ist eher atypisch. 1957 in Bonn geboren, kam er mit neun Jahren nach Brüssel, begann zu malen, nahm Kontakt mit Malern der flämischen Künstlerkolonie Sint-Martens-Latem (bei Gent) auf, studierte nach dem Abitur Nationalökonomie und Kunstgeschichte und ist – obwohl er keine Akademie besucht hat – seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgreich als freischaffender Künstler mit Ateliers in Italien, Frankreich, den Niederlanden und seit 2008 in der Nähe von Bonn tätig. So hatte er, um nur einige Stationen zu erwähnen, Einzelausstellungen an so prominenten Orten wie dem Palazzo dei Diamanti in Ferrara, dem Museum Ludwig in Saarlouis, dem Staatlichen Russischen Museum in St. Petersburg, dem Museo Nazionale in der römischen Engelsburg und beim Europäischen Parlament in Brüssel. Ungewöhnlich gebildet und mit profunden Kenntnissen der antiken Mythologie, hält Franke es keineswegs mit Goethes berühmtem Diktum »Bilde, Künstler! Rede nicht!«; vielmehr versteht er es, eloquent seine Kunst zu kommentieren und ihre mythologischen Hintergründe, die sich nicht immer umstandslos von selbst erklären, darzustellen. Doch auch ohne den Künstlerkommentar ist der Besuch der Ausstellung im Bonner Akademischen Kunstmuseum ein besonderes Erlebnis. Denn hier kommt es zu einem facettenreichen Dialog zwischen den bedeutendsten Abgüssen griechischer Skulptur – Göttern und Göttinnen, Kuroi und Koren, Tempelreliefs und Grabplastiken – die sich in neutralem Weiß präsentieren, und den dazu kontrastierenden farbigen Werken Michael Frankes, die den antiken Mythos auf eine ganz persönliche, subjektive Weise künstlerisch neu deuten.

Das Bonner Akademische Kunstmuseum besitzt neben griechischen und römischen Originalen eine der größten Abgusssammlungen Deutschlands. Seit langem leidet es unter notorischer Unterfinanzierung. Obwohl es den Auftakt zur so genannten Bonner Museumsmeile markiert, führt es eher ein bedauerliches Aschenputteldasein, ist, wie Museologen sagen, ein „Cinderella-Museum“. Inzwischen droht ihm noch Schlimmeres, nachdem die Stadt Bonn angekündigt hat, im nächsten Jahr den bisherigen Zuschuss in Höhe von (nur) 12.000 Euro zu streichen. Das würde bedeuten, dass das jetzt schon nur zu eingeschränkten Öffnungszeiten zugängliche Museum über kein Aufsichtspersonal verfügen würde und schließen müsste – eine verheerende Konsequenz für Bonn, das sich im In- und Ausland gerne als Kulturstadt von Rang feiern lässt.

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