Rezensionen

Michael Imhof: Pferde in der Kunst von der Antike bis zum 20. Jahrhundert. Michael Imhof Verlag

Der Verfasser dieses Prachtbandes, der Kunsthistoriker Michael Imhof, ist auch sein eigener Verleger. Sehr bald nach Studium und Promotion, exakt seit September 1996, brachte er in großer Zahl und mit wachsendem Erfolg jene Bücher auf den Markt, die er sonst vermisst hätte, - sei es ein Stadtführer von Kassel oder ein kleiner Cicerone über die Keimzelle seines längst sehr renommierten Verlagshauses, den alten Petersberg oberhalb von Fulda, oder über die Juden in der benachbarten Rhön. Schon in der Wahl der Themen spürt man, dass hier jemand mit Herzblut schreibt und verlegt. Das Thema »Pferd« war ihm bereits 2010 eine Veröffentlichung wert, aber dieses Buch führt es nun in einer Opulenz aus, welche das Herz nicht nur der Kunstinteressierten, sondern auch der nicht eben rar gesäten Pferdenarren höher schlagen lässt. Das wünscht sich zumindest unser Rezensent Walter Kayser, auch wenn er mit der kleinteiligen, additiven Reihung und mangelnden interpretatorischen Konzeption gelegentlich seine Probleme hatte.

Cover © Michael Imhof Verlag
Cover © Michael Imhof Verlag

Menschen und Pferde scheinen füreinander geschaffen zu sein. Zusammen haben sie die Welt erobert. Das hört sich zunächst etwas großspurig und verwaschen an, denn natürlich bieten Hunde und Katzen schon länger und zumindest ebenso eifrig gegen gesicherten Lebensunterhalt unseren Vorfahren bereitwillig unschätzbare Dienste an. Vergegenwärtigt man sich aber nur einen Moment lang, wie vielseitig Pferde als Transportmittel und Lastenträger, als Kraftpakete in Land- und Forstwirtschaft, als Kriegsinstrument oder auch nur als Fleisch- und Lederlieferant gebraucht wurden, dann sind auch die gut 5000 Jahre dieser besonderen Beziehung kein Pappenstiel. - Pferde wurden wohl erstmals von den Nomadenvölkern der eurasischen Steppen domestiziert. Der große Alexanderzug bis zum Indus ist ohne Pferde ebensowenig vorstellbar wie in umgekehrter Richtung die Mongolenstürme unter Dschingis Khan im 13. Jahrhundert. Die sich in ungeheurer Schnelle ausbreitende neue Religion des Isalm – nicht denkbar ohne das Pferd. Die Überlegenheit der Spanier in Südameriker gründet sich zu einem Großteil auf dieses Tier; und die große nordamerikanische »westwards-movement« weißer Siedler verdankt sich entscheidend dem Viehtrieb auf dem Rücken der Pferde. Das alles änderte sich erst entscheidend in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die »PS« von Maschinen sich unaufhaltsam durchsetzten. Pferde gelten heute in erster Linie als Lebenspartner in der Freizeit. Sie sind nicht mehr als Nutztiere gefragt, sondern als sensible, elegante, schnelle, sportliche Freunde. »Alles Glück der Erde liegt [mittlerweile für unendlich viele Menschen] auf dem Rücken der Pferde«, und »Pferdeflüsterer« und »Therapeut:innen« versprechen allerorten sagenhafte Erfolge, wenn man sich nur den scheuen, aber einfühlsamen Reaktionen der schönen Vierbeiner anzuvertrauen bereit ist.

Zum Erfolg dieses Bandes dürften vor allem die 826 vorzüglichen Abbildungen beitragen, welche, was die Fläche jeder aufgeschlagenen Seite angeht, mindestens so viel Raum einnehmen wie der Text. Dass dem Verfasser/Verleger das Thema ganz persönlich viel bedeutet, er selbst wohl auch auf eine eigene Privatsammlung zurückgreifen kann, kann man erahnen. Zumindest zeichnete er schon vor Jahren als Kurator für zwei Ausstellungen verantwortlich: »Pferde – Kunst von der Antike bis heute« im Städtischen Museum Überlingen im Jahr 2009 sowie für eine erweiterte Schau in der »Kunststation Kleinsassen« am Fuße der Milseburg in der Rhön, die vom 30.5.2010–20.2.2011 zu sehen war.
Herausgekommen ist bei der nun publizierten Wiederaufnahme des Themas die meines Wissens umfangreichste Monographie zu diesem ikonographischen Komplex. Wenn Pferdedarstellungen bislang, so vermutet Michael Imhof, als Forschungsgegenstand weitgehend übergangen worden sind, so müsse man das wohl auf zwei Umstände zurückführen: Zum einen sei dieses Genre als tendenziell unterschätzte Kunst leider allzuoft in den Depots der Museen verschwunden; und zum andern befänden sich die meisten dieser Bilder in Privatsammlungen und seien somit ohnehin dem Blick der Öffentlichkeit entzogen. Umso erstaunlicher ist es, wie genau Imhof im Auge behält, wann welches Gemälde bei welcher Auktion auf dem Markt erschien oder in wie vielen Varianten es hier und da auftauchte. Das sind ungewöhnliche Insiderkenntnisse, wie sie nur von einem Liebhaber mit unstillbarer Leidenschaft zu erwarten sind. Dennoch, das Buch wendet sich nicht an die Expert:innen und greift auch in keine Forschungskontroverse ein; es verweist lediglich auf die einschlägigen Publikationen der letzten Jahre. Es bietet, was eine motivgeschichtliche Monographie eben bieten kann: einen Querschnitt durch die Stilepochen unter einem besonderen Aspekt, genauer: nicht mehr und nicht weniger als eine Übersicht zur Entwicklung der Pferdedarstellungen sowohl in der Malerei wie in der Skulptur.
Dass dabei der Schwerpunkt auf der europäischen Kunstgeschichte liegt, ist legitim.

© Michael Imhof
© Michael Imhof

Insbesondere die Frühphase der besonderen Tier-Mensch-Beziehung greift notwendigerweise auch auf die Frühen Hochkulturen des Zwei-Strom-Landes, Ägyptens und Chinas zurück. In den ältesten Darstellungen, den Höhlenmalereien Nordspaniens und Südfrankreichs, ist das Wildpferd noch als das Beutetier zu sehen, welches vor der Jagd magisch gebannt werden sollte, denn immerhin deckten die getöteten Pferde noch 15 % des Fleischbedarfs ab. Erst während der neolithischen Revolution gelang es dann allmählich, das mythisch verehrte Tier zu zähmen und zu züchten. Die Faszination an Pferden speist sich offensichtlich daraus, dass diese auf einzigartige Weise geballte Kraft mit Eleganz, überschäumendes Temperament und rasante Schnelligkeit verbinden. Das zeigen bereits eindrücklich die Streitwagendarstellungen des Vorderen Orients oder, sicherlich ein Höhepunkt der Weltkunst überhaupt, die Parthenonfriese sowie der vor nicht einmal hundert Jahren aus dem Meer gefischte »Jockey vom Kap Artemision« aus dem frühen Hellenismus. Aufgerissene Augäpfel, die geblähten Nüstern und die im glänzenden Fell hervortretenden Adern zeugen von der feinfühligen und feurigen Anteilnahme der Tiere an den menschlichen Hochfesten und sportlichen Wettkämpfen. Obgleich das Mittelalter mit der im Louvre aufbewahrten Statuette Karls des Großen und nicht minder berühmten Beispielen wie dem Bamberger oder Magdeburger Reiter den Faden nie ganz abreißen lässt, greift doch erst die Renaissance das antike Thema des (freistehenden) Reiterstandbilds als anspornende Herausforderung erneut auf. Höhepunkte sind da nach einem guten Jahrtausend der »Gattamelata« Donatellos vor San Antonio in Padua oder Verrochios »Condottiere Colleoni« vor San Giovanni e Paolo in Venedig. Unerreichter Referenzpunkt bleibt sicherlich das zur Gänze vergoldete Bronzestandbild des Mark Aurel, eine mit über 4 Metern Höhe paradigmatische Herrscherdarstellung, die bekanntlich nur deshalb nicht zu Glocken oder Kanonen eingeschmolzen wurde, weil man in ihr lange Zeit irrtümlich den ersten christlichen Kaiser Konstantin zu erblicken meinte.

Michael Imhof nimmt sich die Freiheit, zu Inkunabeln wie dem »Gattamelata« oder dem Mark Aurel auf dem Kapitol wie irgendein durchschnittlicher Reiseführer nur eine Handvoll gängiger Punkte aufzuzählen. Und so geht es weiter. Markante Hauptwerke, die jedem Kunsthistoriker auf Anhieb in den Sinn kämen, werden mit ein paar Randbemerkungen abgespeist. Die Beispiele hierfür sind zahlreich: die einzigartigen Pferde auf dem Dach von San Marco, welche die Venezianer 1204 auf dem von ihnen zu einem Raubzug umfunktionierten 2. Kreuzzug in Konstantinopel raubten. Oder Andreas Schlüters »Großer Kurfürst« in Berlin, Giradons »Ludwig XIV.« oder Jaques-Louis Davids großformatiges Portrait Napoleons, wie er als Konsul im Begriff ist, in der Nachfolge eines Hannibal den Großen St. Bernhard und damit die Weltmacht im Sturm zu nehmen.

Aber muss solche gelegentliche Schmallippigkeit ein sträfliches Versäumnis sein? - Keinesfalls, das Buch will eben das Augenmerk auf die Werke lenken, die sonst sträflich unerwähnt bleiben.
Deshalb führt der Verfasser eine Vielzahl von Pferdemalern auf, die Epoche für Epoche hervortraten und häufig einen bestimmten Nationalstil mitprägten. Dass der Schwerpunkt dabei eindeutig auf dem 19. Jahrhundert liegt (etwa 150 Seiten, mithin fast die Hälfte des Buches, werden diesem eingeräumt), hängt sicherlich mit dem Kunstmarkt und der Nachfrage einer bestimmten Käuferschicht zusammen. Pferde zu reiten, ein »Ritter«, Kürassier, Dragoner, Ulan zu sein und der »Kavallerie« anzugehören, das war eben jahrhundertelang das Privileg der stolzen »Kavaliere« und »Chevaliers«.

Eine Spezialisierung auf das Sujet Pferd beginnt mit der arbeitsteiligen Auffächerung der Malerei in Holland während des 17. Jahrhunderts. Hier sind Namen wie Paulus Potter oder Philips Wouwerman zu nennen. Insbesondere Letzterer, von dem noch immer mehr als 600 Werke auf uns gekommen sind, wird von Michael Imhof ausführlich gewürdigt. Denn während für uns Heutige kanonische Bildthemen wie die wandfüllenden Reiterportraits eines Rubens, van Dycks oder Velázquez als typische Herrschaftszeichen des Absolutismus – sagen wir es vorsichtig - vielleicht ebensowenig anzusprechen mögen wie Schlachten- oder Jagdbilder mit verendenden Pferdeleibern, so ist das bei Wouwerman nicht so. Dazu ist der Einbruch seines Realismus nach wie vor allzu packend. In abwechslungsreicher Weise stellt er seine Pferde in Landschaftsszenerien, vor atmosphärisch äußerst differenziert gemalte Himmel oder in immer wieder abgewandelte Stallinterieure. Zudem zeigt er die Tiere nicht mehr steif und statuarisch, sondern in Bewegung oder ganz ungeniert und derb bei ihrer Notdurft, was breite Käuferschichten, hinter vorgehaltener Hand feixend, durchaus goutieren mochten. Vielleicht folgt der Verfasser in der breiteren Darstellung von Schlachtenbildern, Parforcejagden oder Stichen zur Reitausbildung mit all den Pessaden und Levaden (und wie die verschiedenen Wendungen und Figuren auch heißen mögen), auch seinen persönlichen Vorlieben; vermutlich ist es aber so, dass unsere heutige Wahrnehmung einfach anders gesteuert wird als die passionierter (aristokratischer) Reiter früherer Jahrhunderte. Das wachsende Interesse an Rennen ab dem 17. Jahrhundert, welches insbesondere die englische Wettleidenschaft mit der Pferdeliebe zu verbinden wusste, bringt beispielsweise einschlägige Kunsttalente hervor, allen voran der Meister der »Sporting Art«, George Stubbs. Unter den einschlägigen Künstlern in Deutschland und der Schweiz stechen etwas später Wilhelm von Kobell oder Albrecht Adam hervor. Geschickt wird von ihnen das Pferdebild mit der Erinnerung an berühmte militärische Auseinandersetzungen in den Napoleonischen Kriegen verknüpft, eine gelungene Mischung aus dem Standesportrait jenes Herrenreiter-Milieus mit der exakten Wiedergabe stimmungsvoll topographischer Begebenheiten.

© Michael Imhof
© Michael Imhof

Überhaupt ist das 19. Jahrhundert eine Zeit, in der sich eine reichhaltige Produktion immer neuen Herausforderungen stellt. So kommt das Interesse an extremen Gangarten wie dem gestreckten Galopp und komplizierten Bewegungen auf, schließlich an den augenfälligen Emotionen der Vierbeiner. Das zeigt sich insbesondere beim früh verstorbenen Romantiker Théodore Géricault. Dieser führt den Betrachter:innen, ausgehend von der Rubensschen Liebe zur dynamisch-dramatischen Situation und Komposition, Themen wie ungestümes Temperament, unterdrückte Wildheit, Schmerz, Alter und Tod eindringlich als allgemein kreatürliche Regungen vor Augen. Und wie bei Rubens paart sich der Vitalismus oft mit einer Vorliebe zum Exotismus, insbesondere mit dem Klischeebild vom Orient. Zum Inbegriff dieser romantischen Verklärung wird der bunte orientalische Kampfreiter auf seinem wilden Araberhengst oder die blutige Auseinandersetzung auf Leben und Tod zwischen Pferd und Löwe. Klassizistisch geglättet war demgegenüber die Liebe der englischen Lords. Sie wollten ihre Reittiere, am besten zusammen mit ihren Lieblingshunden, in einer speziellen Ahnengalerie verewigt sehen. So konnten sie die Flure ihrer weitläufigen Landhäuser ausstaffieren.

Das alles wird mitunter derart kleinteilig und bildreich abgehandelt, dass man sich als Leser:in fragt, wie die Ungleichgewichtigkeit und schnelle additive Reihung zu rechtfertigen sind. Auf ein Kapitel »Pferde der Cowboys und Indianer« folgt beispielsweise unmittelbar auf der nächsten Seite eines über »Militärpferde«, dann »Zirkuspferde«, »Pferdemärkte« und »Reitpferde«, als sei nicht schon auf Hunderten von Seiten zuvor von Reitpferden die Rede gewesen. Gut, das Buch will einen Überblick geben – nicht mehr und nicht weniger. Doch im äußerst knapp gehaltenen Kapitel über das 20. Jahrhundert finden schließlich die akademischen und impressionistischen Epigonen merkwürdigerweise eine weitaus größere Beachtung als jene Avantgardisten, die sich programmatisch unter dem »Blauen Reiter« versammelten und mit denen die Abhandlung unverständlich abrupt endet. Statt des in der Summe beträchtlichen »Namedroppings« hätte man sich also mehr Tiefe in der Betrachtung gewünscht, sei es durch das Beleuchten gesellschaftlicher Veränderungsprozesse, durch exemplarische Analysen oder auch durch das Heranziehen von Vergleichsbildern.

Titel: ‎Pferde in der Kunst von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
Autor: Michael Imhof
Verlag: Michael Imhof Verlag, Petersberg bei Fulda, 2022
Gebundene Ausgabe: ‎400 Seiten
ISBN-10: ‎3731912163
ISBN-13: ‎978–3731912163
Abmessungen: ‎25.6 x 3.5 x 30.5 cm

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