Ausstellungsbesprechungen

Min Oh. Wie die Dinge eigentlich sprechen. Und singen, Kunsthalle Erfurt, bis 4. September 2011

Die koreanische Video-Künstlerin Min Oh ist eine großartige Geschichtenerzählerin. In Erfurt wird ihr Werk nun erstmalig dem deutschen Publikum präsentiert. Rowena Fuß hat sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.

Es ist eine kleine, aber feine Schau, die in der Erfurter Kunsthalle zu sehen ist. Nachdem man die parallel laufende Ausstellung »Kyungwoo Chun: Thousands« durchschritten hat, gelangt der Besucher auf der zweiten Ebene zu Min Ohs Arbeiten und wird von »Mutter« begrüßt. In diesem Einkanalvideo ist ein blondes kleines Mädchen in einem zu- und abnehmenden Tellerwirbel zu sehen. Spannung entsteht durch den Widerspruch zwischen der kindlich-naiven Mimik und den rabiaten Bewegungen der Teller.

Min Oh erzählt von alltäglichen Dingen und ihren gewöhnlichen wie ungewöhnlichen Bedeutungen. So wird in »Eine Morduntersuchung in New Haven am 25. September 2007« der Tod eines Spatzes eingehend untersucht. Die Seiten ihres Berichts beinhalten neben einer Tatortskizze Anhaltspunkte wie einen Zweig, eine Zigarette oder einen Kassenbon, zudem Zeugen und Verdächtige wie ein Eichhörnchen, eine Mauer und die Künstlerin selbst. Diese erinnert an ein neugieriges Kind, dass den Tod seines Haustieres aufklären möchte, ähnlich dem jungen Hautprotagonisten in Mark Haddons Roman »The curious Incident of the Dog in the Night-Time«, der den plötzlichen Tod des geliebten Nachbarhundes aufklärt.

Absurd bis komisch wird es in den Videos »Duellanten« und »Banane«. Im ersten sind zwei kämpfende Männer zu sehen. Doch bevor das Duell richtig losgeht, wird die Szene eingefroren. Min Oh zoomt heraus und macht das Geschehen zu einem Standfoto, das sie in zwei ungleiche Hälften reißt. Der rechte Duellant ist damit vom Kampfschauplatz getilgt. Als der linke Kämpfer darüber in Lachen ausbricht, wird er ebenfalls durch eine Stecknadel ausgeschaltet.

Das zweite Video thematisiert die Schmerzen einer Banane, die zuerst geschält, dann klein geschnitten, in eine Schüssel gelegt und zerdrückt wird. Anschließend wird das Mus mit Milch aufgegossen und in unterschiedlich große Kannen gefüllt. Während dieser Vorgänge vernimmt man die vermeintlichen Schmerzenslaute der Banane, die jedoch auch als Lustschreie interpretiert werden können. Demzufolge wäre das Malträtieren der Frucht ein Symbol für den Angriff auf das männliche Genital und die Behauptung des Weiblichen. Was hier also letztlich mit Begeisterung zerstört wird, ist ein patriarchalisches Rollenverständnis. Denn in Südkorea entscheiden nach wie vor die Älteren, insbesondere der Vater, über die Zukunft der Kinder.

In zwei weiteren Videos wird überholtes Schubladendenken mit neuen Bedeutungen versehen. In »Mathematik« werden Zahlen auf ungewöhnliche Weise addiert. Aus den Schubfächern zweier Aktenschränke springen dazu verschiedene Karteikarten heraus. So ergibt die Summe aus eins und drei auf der einen Karte Freitag auf der zweiten. Die an sich harmlosen Zahlen werden in Verbindung mit dem Wochentag zu einem Symbol für Unglück gemacht. Die Differenz aus „earth“ und „genius“ ergibt dagegen „better world“.

»Affenhintern ist Rot« zeigt ein assoziatives Wortspiel. Dazu erscheint eine Spielkarte, die immer wieder von Min gewendet wird und deren Motiv zum Ausgangspunkt für das nächste Bild wird. Los geht es, wie der Titel bereits andeutet, mit einem Affen, der einen roten Hintern besitzt. Weiter geht es mit der Farbe Rot, die zu einem Apfel führt, der im nächsten Schritt köstlich ist. Gefolgt wird „köstlich“ von einer Banane, die lang ist usw. Irgendwann gelangt sie schließlich zu Beziehungen, die Nähe oder Distanz beinhalten.

Schließlich wird der Besucher-Betrachter in »Ein Dialog« mit in das Geschehen einbezogen: Durch Luftballons mit den Aufdrucken „yes“ und „no“ konnten die Zuschauer während der Ausstellungseröffnung in das Geschehen der Performance eingreifen — ähnlich einem analogen Computerspiel.

Fazit: Wie Alice im Wunderland führt Min Oh den Betrachter durch eine eigene Welt voller sonderbarer Dinge. Die kindliche Neugier und Unbefangenheit, mit der die Künstlerin dabei vorgeht, fordern den Besucher dazu auf, auch seine Sicht auf nahezu Alltägliches zu überdenken. Ich kann die Ausstellung daher nur jedem empfehlen!

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