Ausstellungsbesprechungen

Miró – Die Farben der Poesie, Museum Frieder Burda, Baden-Baden, bis 14. November 2010

Mit Zeichen und Formen, die von einer stets lebendigen Kreativität zeugen, verwandelt Joan Miró diese Welt mit sichtbar einfachen Mitteln. Träume und die Poesie nehmen dabei eine herausragende Stellung ein. Einfühlsam hat sich Günter Baumann mit der Ausstellung und dem Katalog beschäftigt.

Der Fotograf Man Ray erkannte wohl sofort, dass man der unbändig farbigen und fabulierfreudigen Fantasie Joan Mirós kaum mit einem schlichten Porträt gerecht würde. Das muss nicht generell so gelten – betrachtet man etwa fotografische Bildnisse Pablo Picassos, dann steckt in seinem aufgeweckten Gesicht, ja in den Augen, aber auch in seinen Händen das ganze Werk. Der Katalog zu der eben zu Ende gegangenen Baden-Badener Ausstellung über »Miro – Die Farben der Poesie« bringt dem Leser zunächst in einer bebilderten Biografie die Person Mirós nahe, bevor er ins künstlerische Werk einführt. Es ist aufschlussreich, dass er grade neben Picasso aussieht wie der nette Nachbar, der sich freut, einen so berühmten Bekannten zu haben – wenn er nicht in Folge mit seinem Konterfei präsent wäre, man hätte das Gesicht des zweitwichtigsten spanischen Malers des vorigen Jahrhunderts nach wenigen Augenblicken vergessen (manche würden ihn allein aufgrund der physiognomischen Extravaganz Salvador Dalís noch an die zweite Stelle setzen). So erblättert man sich einen lieben Onkel-Typ, einmal mit Strickweste, einmal in Hosenträgern, meist freundlich lächelnd – und man staunt über die Lebensfülle, die die aufgelistete Vita bereithält. »Ich arbeite viel; sehr konzentriert –sehr auf das Handwerkliche bedacht und immer auf der Suche nach jener Idee der Reinheit und Perfektion der Mystiker», schreibt Miró im Jahr 1926, »denn hier bin ich für mich und kann ganz nach Belieben verfahren, ohne dass mich irgendjemand oder irgendetwas von außen bei der Arbeit stört«. Man ahnt mehr als dass man es weiß, dass da eine ungründige Seele spricht. Alexander Calder, der dem Spanier doch näher war als viele andere seiner Zeitgenossen, gestand nach einer Begegnung mit Miró: »Ich war ziemlich ratlos. Das schien mir keine Kunst zu sein«. Einmal mehr wird deutlich, dass man nicht immer die Kunst hinter dem Künstler resp. Autor suchen kann (man denke etwa an Kafka). Das Porträt war auch nicht seine Sache als Maler: »Ich habe keine Absicht, Porträts zu malen … Nein, ein Porträt sagt mir absolut nichts«. Seine Kunst liegt tiefer unter der Haut.

Man Ray fotografierte Miró um 1930, wobei er diesen seitlich von hinten aufnimmt und ihn so dirigiert, dass er zwar rückwärtsgewandt zum Betrachter blickt, aber das Bild deutlich vom Gesicht weg inszeniert, das heißt, dass er den Betrachterblick ablenkt, der auf eine rätselhaft sich verflechtende weiße Schnur vor schwarzem Hintergrund fällt: eine Raumzeichnung? Ein Strick? Ein umgedrehtes Strichmännchen? Erst in der Wahrnehmung des grandios komponierten Porträts bekommt Miròs Porträt Spannung. Ähnliches geschieht am Ende der 50-seitigen Biografie, die den sitzenden Maler ganz von hinten als Schattenfigur zeigt, weil eine Lichtquelle hinter dem Kopf jede Feindifferenzierung unmöglich macht. Der Fotograf der schönen Aufnahme ist hier nicht genannt, aber es ist bezeichnend, dass auch hier die Inszenierung über das bloße Bildnis triumphiert. Die Erkenntnis daraus ist kurz notiert: Das äußere Leben und die äußere Erscheinung von Joan Miró mag als Beiwerk nützlich sein, das Werk erschließt sich jedoch aus sich selbst heraus. Und da setzt das Verdienst des Museums Frieder Burda an, das einen Überblick über das Schaffen gewährt, der einen staunen macht, auch wenn man mit den Arbeiten des Künstlers vertraut ist. Rund 100 Werke sind hier im lichterfüllten Ambiente des Baden-Badener Museums versammelt, die auch seitenfüllend im Katalog ihren Niederschlag finden. Dabei fanden auch Arbeiten aus Familienbesitz Einzug, die bislang noch nicht öffentlich zu sehen waren. Mit einigen ausgesuchten Beispielen wird sowohl auf das gegenständlich-figurative Frühwerk als auch auf die Beschäftigung mit der Skulptur und der Keramik Bezug genommen. So kommt man auf einen farbreichen, gleichsam poetischen Reigen über sechs Jahrzehnte hinweg. Der Zustrom an Besuchern zeigte, dass die großen One-Man-VIP-Shows noch immer ein Garant für volle Häuser sind, nur dass man kaum Gelegenheit bekommt, Zwiesprache mit den Bildern zu nehmen, um den mystischen Kern, den Miró vor Augen hatte, auch innerlich zu spüren – es sei denn, es gelingt, sich vor dem programmatischen Gemälde »Malerei – Der Vogel« gedanklich mit dem seelenvollen Vögelchen auf und davon zu machen und die so ins Schwingen gekommene Seele zu bewahren, um die beim Erblättern der nur noch reproduzierten Bilder im Katalog aufs Neue zu wecken, Aug in Aug. So tröstet einen die hohe Bildqualität darüber hinweg, dass jede Ausstellung ein Ende hat. Und der Betrachter des Katalogs hat sogar die Chance, dass man den netten Herrn namens Joan Miró hinter oder neben sich zu spüren scheint, wie er bescheiden und mit einem Zug von Ironie lächelt und vielleicht dabei denkt: Schau tiefer hinein, und du wirst meine Poesie erkennen. Wo sie ihre Anknüpfungspunkte hat, kann man der mediterranen Farbpalette, aber auch einem weiteren, eher schlichten Foto aus dem Katalog entnehmen, das nicht innerhalb der Biografie zu finden ist, sondern im Einleitungstext des Kurators Jean-Louis Prat – es zeigt Miró sitzend im Garten des Ryoan-Ji-Tempels in Kyoto, in stiller Einkehr.

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