Mittelrhein-Museum Koblenz: Flucht ins Paradies. Carlo Mense zwischen Rheinischem Expressionismus, Neuer Sachlichkeit und Rheinromantik. Bis 16. April 2023, danach ab 8. Mai im Siebengebirgsmuseum Königswinter

Fällt das Stichwort „Rheinischer Expressionismus“, drängt sich fast reflexartig der Name des herausragenden August Macke auf. Andere Künstler wie Helmuth Macke, Heinrich Campendonk, Heinrich Nauen, Paul Adolf Seehaus, Hans Thuar und Carlo Mense rangieren rezeptionsgeschichtlich bis heute in der zweiten Reihe. Letzteren dem Vergessen zu entreißen und dabei nicht nur seinen Beitrag zum Rheinischen Expressionismus in Erinnerung zu rufen, sondern auch sein – zum Teil problematisches – nachexpressionistisches Werk zu beleuchten, haben sich das Mittelrhein-Museum in Koblenz und das mit ihm kooperierende Siebengebirgsmuseum in Königswinter bei Bonn zur Aufgabe gemacht. In Koblenz ist die Ausstellung „Flucht ins Paradies. Carlo Mense (1886-1965): Zwischen Rheinischem Expressionismus und Neuer Sachlichkeit“ noch bis Mitte April zu sehen, anschließend wird sie in leicht modifizierter Form in Königswinter gezeigt. Rainer K. Wick hat die Ausstellung im Koblenzer „Forum Confluentes“ besucht.

Carlo Mense, Familienbildnis, 1918, Foto Stephan Kube
Carlo Mense, Familienbildnis, 1918, Foto Stephan Kube

Rheinischer Expressionismus

Carlo Mense wurde 1886 im westfälischen Rheine geboren und starb 1965 in Königswinter, gehört also zu jener Künstlergeneration, die der sogenannten Klassischen Moderne zugerechnet wird. Von 1906 bis 1908 studierte er an der Düsseldorfer Kunstakademie bei dem Historienmaler Peter Janssen, ging im Herbst 1908 auf Anraten August Mackes für ein halbes Jahr nach Berlin zu Lovis Corinth, damals einer der prominentesten deutschen Impressionisten, und wechselte im Frühjahr 1909 zu dem impressionistischen Landschaftsmaler Hans Olde an die Großherzoglich-Sächsische Kunstschule Weimar, die 1919 mit der Weimarer Kunstgewerbeschule zum Staatlichen Bauhaus Weimar fusioniert wurde. Aus dieser frühen Zeit ist in der Ausstellung das noch in toniger Farbigkeit gehaltene, eher konventionell gestaltete „Porträt Jakob Brünagel“, eines Jugendfreundes des Künstlers, zu sehen, auf dessen Rückseite Mense eine von Corinths sinnlichen Aktgemälden inspirierte ganzfigurige „Aktstudie“ (beide 1909) gemalt hat.

Carlo Mense, Porträt Jakob Brünagel, 1909 (Vorderseite), Aktstudie, um 1909 (Rückseite), Foto Rainer K. Wick
Carlo Mense, Porträt Jakob Brünagel, 1909 (Vorderseite), Aktstudie, um 1909 (Rückseite), Foto Rainer K. Wick

Schon bald machten sich im Schaffen des Künstlers Einflüsse des französischen Fauvismus bemerkbar, so in dem farbkräftigen, perspektivisch stark fluchtenden, vom Kölner Elternhaus aus gesehenen Ölbild „Waidmarkt“ (um 1910/11).

Carlo Mense, Waidmarkt, um 1910-11, Foto Rheinisches Bildarchiv
Carlo Mense, Waidmarkt, um 1910-11, Foto Rheinisches Bildarchiv

Im Jahr 1912 war Mense mit zwei Gemälden an der legendären Sonderbund-Ausstellung in Köln beteiligt und positionierte sich damit im Dunstkreis der damaligen internationalen Avantgarde. Hier kam es unter anderem zur Begegnung mit Originalen von Künstlern des Blauen Reiters sowie von Picasso und Braque, und neben den prägenden Einflüssen August Mackes griff Carlo Mense Anregungen des Kubismus, dann auch des Orphismus eines Robert Delaunay und des italienischen Futurismus auf. In der Komposition mit dem Behelfstitel „Landschaft mit Figuren und Stadt mit Kuppeltürmen“ (um 1913/15) gelang ihm die Synthese aus expressionistischer Farbigkeit und kubistischer Formzerlegung.

Carlo Mense, Ohne Titel (Landschaft mit Figuren und Stadt mit Kuppeltürmen), um 1913-15, Foto Rainer K. Wick
Carlo Mense, Ohne Titel (Landschaft mit Figuren und Stadt mit Kuppeltürmen), um 1913-15, Foto Rainer K. Wick

Während des Ersten Weltkriegs und gegen Kriegsende ist eine merkliche Beruhigung der expressiven Bildsprache des Künstlers zu verzeichnen, wie das Porträt von Menses Schwester Klara Nienhaus-Mense (1916/17) und die beiden Bildnisse der mit dem Künstler befreundeten Tänzerin Mathilde de Buhr („Dame mit Katze“, um 1918, und „Die Spinne“, um 1918/19) belegen, und in den 1920er Jahren vollzog sich dann in Menses künstlerischem Schaffen ein signifikanter Richtungswechsel.

Carlo Mense, Porträt Klara Nienhaus-Mense, 1916-17, Foto Rainer K. Wick
Carlo Mense, Porträt Klara Nienhaus-Mense, 1916-17, Foto Rainer K. Wick
Carlo Mense, Dame mit Katze (Bildnis Mathilde de Buhr), um 1918, Foto Rainer K. Wick
Carlo Mense, Dame mit Katze (Bildnis Mathilde de Buhr), um 1918, Foto Rainer K. Wick

Neue Sachlichkeit

Vorbei waren die „heroischen Jahre“ bildnerischer Experimente und oft kühner formaler Innovationen, angesagt war auch in Deutschland, was in Italien von der Zeitschrift „Valori Plastici“ unter dem Motto „ritorno all’ordine“ (Rückkehr zur Ordnung) als Abkehr von der Abstraktion und als Hinwendung zur Gegenständlichkeit propagiert wurde. Unter dem Einfluss Heinrich Maria Davringhausens und Georg Schrimpfs schloss sich der Künstler einer neuerlich um Gegenstandstreue bemühten Malerei an, was allerdings nicht gleichbedeutend mit der Kultivierung eines platten Naturalismus war. Dies zeigt etwa das Gemälde „Landschaft mit Hirtin“ von 1922. Im Vordergrund einer penibel gemalten, locker von Bäumen bestandenden abendlichen Landschaft erscheint hell ein halb sitzender, halb liegender weiblicher Akt, im Mittelgrund sind weidende Kühe zu sehen, im Hintergrund türmt sich eine düstere Bergkulisse auf. Diesem bukolischen Szenario ist zweifellos etwas Enigmatisches zu eigen, und insofern kann hier umstandslos der 1925 von Franz Roh geprägte Begriff „Magischer Realismus“ bemüht werden.

Carlo Mense, Landschaft mit Hirtin, 1922, Foto Rainer K. Wick
Carlo Mense, Landschaft mit Hirtin, 1922, Foto Rainer K. Wick

Ihren ersten publikumswirksamen Auftritt hatten die in den 1920er Jahren neuen Tendenzen einer realistischen Malerei in der großen, 1925 von Gustav Hartlaub in Mannheim organisierten Ausstellung „Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei nach dem Expressionismus“. Carlo Mense war mit mehr als zehn Arbeiten vertreten, und vermittelt durch den Künstlerkollegen Alexander Kanoldt erhielt er noch im selben Jahr eine Professur an der Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau. Neben Landschaften malte der Künstler in dieser Zeit in größerer Zahl neusachliche Porträts, Stillleben und Frauenakte. 1929 hatte Oskar Schlemmer nach fast zehnjähriger Lehrtätigkeit am Bauhaus diese bedeutendste und einflussreichste Reformkunstschule der Weimarer Republik verlassen und fand ein neues Wirkungsfeld an der Breslauer Akademie. Dort geriet der anpassungsfähige Mense schnell unter Schlemmers künstlerischen Einfluss, insbesondere, was die formalen Abstraktionen der menschlichen Figur anbelangt. Ein Beispiel dafür ist in der Ausstellung neben anderen Arbeiten die subtile Zeichnung „Badende“ aus dem Jahr 1930.

Carlo Mense, Badende, 1930, Foto Schlesisches Museum Görlitz
Carlo Mense, Badende, 1930, Foto Schlesisches Museum Görlitz

Nach der Schließung der Breslauer Akademie im Jahr 1932 und dem damit einhergehenden Verlust seiner Professur sah sich Mense existenziell auf den Status eines freischaffenden bildenden Künstlers zurückgeworfen. Immerhin vermochte die Verleihung des angesehenen „Rompreises“ und der damit verbundene Romaufenthalt vom Herbst 1933 bis zum Sommer 1934 den Künstler vorübergehend seiner finanziell prekären Lage zu entheben, wie Mense schon in der ersten Hälfte der 1920er Jahre häufig über längere Zeit in Italien verbracht hatte, vornehmlich in dem von Künstlern geschätzten und damals vom Tourismus noch weitgehend unberührten Fischerdorf Positano am Golf von Salerno, wo das Leben wesentlich preiswerter war als im krisengeschüttelten Deutschland. Italienische Landschaftsszenen und Ortsansichten – wie zum Beispiel das kleinformatige Temperabild der sich hoch auftürmenden Häuser Positanos – nehmen im Œuvre des Künstlers einen breiten Raum ein und zeugen von der Faszination, die das Sehnsuchtsland der Deutschen auch auf Mense ausübte. Von seinem Faible für Italien zeugt auch die Tatsache, dass er seinen Taufnamen Karl zu Carlo italienisierte.

Carlo Mense, Positano, um 1924, Foto Saša Fuis Photographie
Carlo Mense, Positano, um 1924, Foto Saša Fuis Photographie

Drittes Reich und Nachkriegszeit

Obwohl Mense im dritten Jahr der NS-Herrschaft das stilistisch von dem neusachlichen Maler Georg Schrimpf inspirierte Ölgemälde „Abend in der Campagna“ (um 1933/34) an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung verkaufen konnte und die Stadt Köln 1938 das Bild „Das Siebengebirge“ als Geschenk für Joseph Goebbels erwarb, fielen 1937 zahlreiche in öffentlichem Besitz befindliche Arbeiten des Künstlers der nationalsozialistischen „Säuberungs“-Kampagne „Entartete Kunst“ anheim. Mense, der sich stets als unpolitischer Künstler positioniert und – anders als die Künstler des sogenannten veristischen Flügels der Neuen Sachlichkeit – gesellschaftskritischer Inhalte enthalten hatte, konzentrierte sich nun auf eine unverfängliche Landschaftsmalerei, die mit der offiziellen Kunstideologie des „Dritten Reiches“ problemlos kompatibel war. Menses Credo: „Die Hauptsache, dass gute Bilder gemalt werden.“ Es entstanden altmeisterlich gemalte Rhein- und Eifellandschaften, die an die Bildtradition der sogenannten Rheinromantik anknüpften und jenseits der gesellschaftlichen Realitäten das arkadische Ideal eines beschaulichen Daseins einfacher Menschen im Einklang mit der unversehrten Natur zu beschwören suchten. Mögen schon Menses lange Italienaufenthalte als eine spezifische Form des Eskapismus gedeutet werden, so indizieren diese künstlerisch rückwärtsgewandten und oft geradezu trivialen Landschaftsbilder eine explizite „Flucht ins Paradies“ – so auch, wie schon oben erwähnt, der Titel der Ausstellung.

Carlo Mense, Blick auf das Siebengebirge, um 1936, Foto Rainer K. Wick
Carlo Mense, Blick auf das Siebengebirge, um 1936, Foto Rainer K. Wick

Nachdem Menses Kölner Atelier im Jahr 1944 durch einen alliierten Luftangriff zerstört worden war, zog sich der Maler nach Bad Honnef am Rhein zurück, wo er in unmittelbarer Nähe des Siebengebirges und des Drachenfelsens neben Landschaften und Porträts auch zahlreiche Repliken seiner Bilder aus den 1910er und 1920er Jahren schuf. Allerdings gelangen ihm nach 1945 nur noch selten überzeugende Bildlösungen, geschweige dann, dass er den Anschluss an die Nachkriegsavantgarde gesucht und gefunden hätte. Bilanziert man abschließend dieses stilistisch heterogene und von unterschiedlichsten Einflüssen geprägte Œuvre, so steht dem respektablen Frühwerk als „Rheinischer Expressionist“ und dem sich anschließenden Schaffen als „Neusachlicher“ ein eher durchschnittliches Spätwerk gegenüber, das Liebhabern der Rheinromantik zwar gefallen mag, kunstgeschichtlich aber ohne Relevanz ist.

Nachdem die im Koblenzer Mittelrhein-Museum großzügig inszenierte Ausstellung am 16.4.23 schließen wird, kann sie ab dem 8.5.23 am Fuße des Drachenfelsens im Siebengebirgsmuseum in Königswinter besucht werden. Es handelt sich um ein vor fast hundert Jahren gegründetes, heute in städtischem Besitz befindliches Heimatmuseum mit interessanten, die Region betreffenden Sammlungsbeständen, das in zentraler Lage in einem 1732 errichteten Barockbau mit repräsentativer Schauseite sowie einem modernen Erweiterungsbau aus den 1980er Jahren untergebracht ist. Im Kunstverlag Josef Fink ist zur Ausstellung ein Katalogbuch mit Beiträgen von Matthias von der Bank, Irene Haberland, Claudia Heitmann, Kerstin Keune, Sigrid Lange und Aylin Maggiarosa erschienen.

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns