Buchrezensionen

Monika Jenni-Preihs: Gerhard Richter und die Geschichte Deutschlands, LIT Verlag 2013

In der jüngst im LIT Verlag erschienenen Publikation erläutert Monika Jenni-Preihs das Werk eines der bedeutendsten Maler der Gegenwart vor dem Hintergrund der Künstlerbiografie und im Kontext der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Eine wissenschaftlich fundierte und spannend zu lesende Untersuchung, findet Verena Paul.

Gerhard Richters Themen zirkulieren um die Geschichte Deutschlands und reflektieren sie. Dabei sei, wie der Herausgeber Johann Konrad Eberlein in seinem Vorwort treffend formuliert, den Deutschen »von der Geschichte der härteste Prüfstein aller Zeiten für jedes Denken und Empfinden mitgegeben. Auf ihm steht der Name Auschwitz. Die deutsche Geschichte durchdringt unausweichlich das Dasein der Mit- und Nachlebenden als ein Echo dieser alles Fassbare übersteigenden Katastrophe.« Durch drei Ideologien gegangen, hat Gerhard Richter eine ganz eigene Sicht auf die vermeintlich historische Wirklichkeit entwickelt.

Monika Jenni-Preihs spürt nun in zehn chronologisch aufeinander aufbauenden Kapiteln der Verzahnung von Zeitgeschichte, Künstlerbiografie und Werk Richters nach. Angefangen bei der »Kindheit und Jugend« Richters, über seine »Sozialisierung in der DDR« und »Die ersten Jahre im Westen« bis hin zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust, dem ›Deutschen Herbst‹ oder dem Terrorismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Jenni-Preihs entwickelt ein klares Ordnungssystem, das uns die Geschichte Deutschlands knapp und präzise in Erinnerung ruft, um daran anknüpfend die Marksteine der Richterschen Vita und das davon entscheidend geprägte künstlerische Schaffen darzulegen. Am Ende eines jeden Kapitels bündelt die Autorin dann ihr Ergebnisse noch einmal und hilft dem Leser damit, Informationen besser ›abzuspeichern‹ und nach der Lektüre wichtige Querverbindungen im Œuvre herstellen zu können.

Ein wunderbares Beispiel für die Verschmelzung von historischer Vergangenheit und persönlicher Erinnerungen mit der Zeitgeschichte Deutschlands bildet unter anderem das in der westlichen Eingangshalle des Deutschen Reichstagsgebäudes gehängte Werk ›Schwarz-Rot-Gold‹, das Jenni-Preihs einer eingehenden Analyse unterzieht. In überdimensionalem Hochformat legte Richter hier die Farben der deutschen Nationalflagge übereinander und verwies damit »auf die Entstehungsgeschichte sowohl als Nation als auch als demokratischer Staat.« Die Nationalfarben seien in dem Werk, wie die Autorin erläutert, »nicht nur ein Symbol für die nationale Einheit Deutschlands und die Gründung der ersten Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg, sondern auch für die Überwindung der nationalsozialistischen Herrschaft und der sozialistischen Diktatur.« Gleichzeitig nehme diese Arbeit kontinuierlich Gegenwart in sich auf, dazumal sich die markante Architektur sowie die Menschen beim Betreten des Gebäudes in deren glänzender Oberfläche spiegeln. Allerdings habe sich die kraftvolle Wechselwirkung nicht jedem Betrachter erschlossen, sodass das Werk zunächst scharf kritisiert wurde und eine Bundestagsabgeordnete es gar als »Scharlatanerie« abqualifizierte.

Dieser auf Oberflächlichkeit beruhenden Degradierung widerspricht Jenni-Preihs entschieden, denn ihre stringente Untersuchung führt den Beweis, dass Gerhard Richter ein hellwacher Beobachter seiner Zeit ist. Schließlich bezieht er in all seinen Werken – auch in den abstrakten Arbeiten – politisch Position, ohne jedoch seine Kunst der ideologischen Vereinnahmung oder Instrumentalisierung auszusetzen. »Als Deutscher, geprägt von zwei Diktaturen und unter dem Eindruck der westlichen Konsumwelt, war es das Verwischen von ›Sein und Schein‹, das ihn faszinierte«, schreibt sie und fährt fort: »Desillusioniert richtete er seinen Blick auf die Wirklichkeit, ohne Beschönigung, Dramatisierung oder Anklage.« Überzeugend legt die Autorin dar, dass sowohl die gegenständlichen Fotobilder aus der Frühphase des Schaffens als auch die später entstandenen ungegenständlichen Werke »die Trivialität des Lebens« eindringlich vermitteln. Insofern haben gelebtes Leben und deutsche Geschichte konstant ihre Spuren in den Bildern Gerhard Richters hinterlassen.

Fazit: Klare Struktur, präzise Sprache und fundierte Informationen machen die im LIT Verlag erschienene Publikation zu einer wichtigen Grundlage für zukünftige wissenschaftliche Untersuchungen des Werkes von Gerhard Richter. Einziges Manko ist der etwas mager ausfallende Bildteil, weshalb die Leser von der Autorin aufgefordert werden, die Homepage des Künstlers zu Rate zu ziehen. Da sich das Buch jedoch primär an Wissenschaftler/innen wendet und somit eine gute Kenntnis des Richterschen Œuvres vorausgesetzt werden darf beziehungsweise Internetrecherche keinen großen Mehraufwand bedeutet, soll dieser Kritikpunkt nicht allzu stark wiegen. Insgesamt ist Monika Jenni-Preihs mit »Gerhard Richter und die Geschichte Deutschlands« ein lesenswertes, horizonterweiterndes Buch gelungen, das ich mit dem Prädikat ›sehr gut‹ versehe und Ihnen gerne empfehlen möchte.

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