Ausstellungsbesprechungen

Move. Kunst und Tanz seit den 60ern, Haus der Kunst in München, bis 8. Mai 2011

In einer Zeit, in der Formate und Medien sich auflösen und Gattungsgrenzen fließend werden, gewinnt auch das Wechselspiel zwischen Tanz und bildender Kunst neue Aktualität. Dementsprechend nehmen immer wieder Ausstellungen die gemeinsamen Nenner wie das Performative, die Musik oder auch die Problematik der Reinszenierung in den Blick. Neu ins Spiel gebracht wird damit aber auch die Positionierung des Publikums. Dieser Aspekt steht im Zentrum der Münchner Ausstellung. Eine Rezension von Barbara U. Schmidt.

Den Auftakt macht Pablo Bronsteins »Magnificent Triumphal Arch in Pompeian Colours« (2010), dessen tortenähnliches Dekor höfisch-barocke Eleganz ironisch zur Schau stellt. Als Bühne für ein Tanzsolo dominiert er den Eingangsraum und verweist das Publikum während der Aufführung in die Rolle der Zuschauenden. Den Kontrapunkt dazu bildet die aus 50 hölzernen Klappstühlen bestehende Arbeit »Walk the Chair« (2010) von Maria Ribot. Der Titel beinhaltet die spielerische und im Museum eher ungewöhnliche Aufforderung, die Stühle innerhalb der Ausstellung mitzunehmen, zu benutzen oder die aufgemalten Zitate zu Bewegung, Betrachtung und partizipativer Kunst zu lesen. Nur eine Tafel mit den Werkangaben an der Wand verweist noch auf die ursprüngliche Platzierung, die Stühle selbst trudeln längst gemeinsam mit dem Publikum durch alle Räume. Damit wird direkt zu Beginn ein breites Spektrum künstlerischer Ansätze eröffnet, das von strenger Choreographie bis zu einem hohen Maß an Offenheit und Mitgestaltung reicht.

Ebenso vielfältig sind die Inhalte und Erfahrungen, die damit einhergehen. Mit Beiträgen u.a. von Simone Forti, Franz Erhard Walter und Dan Graham werden die handlungsorientierten Strategien der frühen Konzeptkunst vorgestellt. Fortis Objekte aus den 1960er Jahren wie Seile und Schlingen wurden eher nach dem Zufallsprinzip von TänzerInnen aufgeführt; in der Ausstellung stehen sie auch für das Publikum zur Erprobung bereit. Walters Stoff-Objekte aus demselben Zeitraum wirken ebenso einfach, sollen aber vom Publikum nach sehr präzisen Angaben genutzt werden, um spezifische Situationen und Interaktionen zu evozieren. Dan Graham bietet den BesucherInnen »Two Viewing Rooms« (1975), die durch eine Einweg-Spiegelscheibe getrennt sind. Eine Videokamera ist auf die durchsichtige Seite der Scheibe gerichtet, um aufzunehmen, was im Nebenraum passiert. Dort werden ihre Aufzeichnungen wiederum live projiziert. Dem Publikum bleibt überlassen, sich in dem abgedunkelten Raum gemeinsam mit der Kamera die Rolle des Zuschauers zu begeben oder im hell erleuchteten Nebenraum als performend und zugleich sich selbst beobachtend zu agieren. Eine Offenheit, die auch Verunsicherung und Hinterfragung des eigenen Standpunktes bedeutet.

Die Eindimensionalität des Zuschauens wird auch von den gezeigten Videoarbeiten unterlaufen. Das Setting zu Mike Kellys Video »Adaptation: Test Room Containing Multiple Stimuli Known to Elicit Curiosity and Manipulatory Responses« (1999/2010) ist originalgetreu und begehbar neben der Videoprojektion aufgebaut. Isaac Julien inszeniert in dem mehrkanaligen, geloopten Film »Vagabondia« (2000) die Choreographie des Tänzers Javier de Frutos so irritierend und gleichermaßen suggestiv, dass sich die übliche Distanz des Betrachtens aufhebt. Und Christian Jankowski zeigt in »Rooftop Routine« (2008) die ansteckenden Energie und Leichtigkeit das Hula-Hoop-Training von jungen Frauen über den unwirtlichen Dächern von New Yorks Chinatown. Für die AusstellungsbesucherInnen stehen Hula-Hoop-Reifen zur Verfügung, so dass sie sich sofort der Aktion anschließen können. Im Gegensatz zu dieser spielerischen Erfahrung, vermitteln Arbeiten von Bruce Nauman, Franz West, Lygia Clark oder die Performance von Tino Sehgal Erfahrungen von Beklemmung, Zwanghaftigkeit und Gewalt.

Versammelt werden mit anderen Worten unter dem Thema »Move« die unterschiedlichsten künstlerischen Ansätze, Körpererfahrungen und Reflexionsangebote. Es handelt sich dabei sowohl um partizipative Installationen und Live-Aufführungen als auch um Reinszenierungen durch TänzerInnen oder das Publikum.

Die Anforderungen an die BesucherInnen, sich selbst zu orientieren sind damit sehr groß. Eine Riege an TänzerInnen und TanzpädagogInnen stehen bereit, um das Interagieren mit den Arbeiten anzuregen. Es gibt auch kurze Werkbeschreibungen zu den Arbeiten, aber die oft notwendige Genauigkeit, mit der sie ausgeführt und unterschieden werden müssen, bleibt auf der Strecke. Dadurch wird die Ausstellung eher genutzt wie ein Vergnügungspark, so dass auch der Lärm und die herrschende Unruhe eine konzentrierte Annäherung unmöglichen machen. Das an Monitoren in den Nebenräumen präsentierte Videoarchiv mit Dokumentationen von Tanzaufführungen, Performances und Happenings der letzten 50 Jahre bietet mit beliebigen Kategorien wie »Dinge choreographieren«, »Den Körper verwandeln«, »Die Zeit verwandeln« ebenfalls keine weitere Strukturierung oder Argumentation. So wird das Publikum erstens überfordert, zweitens auf das bloße Mitmachen beschränkt und drittens nicht im Sinne der Arbeiten herausgefordert.

Weitere Informationen

»Move« wurde von Stephanie Rosenthal für die Hayward Gallery in London kuratiert. Im Anschluss wird die Ausstellung in der K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf gezeigt. (16. Juli – 25. September 2011).

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