Ausstellungsbesprechungen

Muse und Modell, Frauen in Bildern der Hamburgischen Sezession

Die Reihe der Ausstellungen in Hamburg, die sich mit Kunst von Frauen und Frauenbildern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigt (siehe Anm.), wird nun im Museum für Kunst und Gewerbe mit der kleinen Kabinettschau „Muse und Modell“ fortgesetzt. Ein Thema mit langer Tradition: Das spannungsvolle Verhältnis zwischen Maler und Modell, zwischen Künstler und Muse war schon in der Antike bekannt – so berichtet Plinius, wie Apelles, der Hofmaler Alexanders des Großen, das Aktmodell Campaspe malte und sich dabei in sie verliebte – und wurde seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in etlichen Varianten immer wieder abgebildet.

Die Kunstgeschichte kennt viele berühmte Beispiele solcher Modell-Beziehungen wie Rembrandt und Saskia oder auch Raffael und Fornarina. In der Moderne hat sich wohl kein Maler dieses Sujets häufiger und passionierter angenommen als Picasso, der es vor allem in seinen Zeichnungen und Radierungen hundertfach variierte.

 

Der im Bild dargestellte Moment, der zugleich den (malenden) Künstler und sein Modell zeigt, kommt in dieser Schau zwar nicht vor, aber dafür wird das klassische Frauenmodell auf vielfältige Weise inszeniert, in dem sich natürlich auch solch ein facettenreiches Wechselspiel spiegeln konnte. Die Ausstellung beleuchtet konkret, welche Rolle die Frau als Muse und Modell für die Mitglieder der 1919 gegründeten, avantgardistischen Künstlervereinigung der Hamburgischen Sezession spielte, inwieweit sich Ideale von Schönheit und Form, aber auch die Frau selbst verändert haben. Waren ihre Modelle eher inspirierende Musen, gleichberechtigte Lebensgefährtinnen, Objekte der Begierde, die dem voyeuristischen Blick des Künstlers ausgesetzt waren, oder einfach Objekte der Kunst, mit denen die Maler Vollkommenheit anstrebten?

 

Die Exponate belegen eine große Spannbreite in der Darstellung der Frau und markieren den Wandel des Frauenbildes und damit des Verhältnisses von Maler und Modell in der Kunst des 20. Jahrhunderts: Die Zeit der akademischen Aktzeichnung mit bezahlten Modellen und der repräsentativen Darstellung gut situierter Gesellschaftsdamen war vorbei, stattdessen wurden Frauen nun zunehmend in ihrer Persönlichkeit und ihren vielfältigen Lebenswelten gezeigt. Die Sujets sind unter folgenden Oberthemen gruppiert: Mädchen, Mutter und Kind, Beschaulichkeit und Kontemplation, Extravaganz und Geselligkeit, Verführung und Koketterie, Ideale von Schönheit und Form, Individualität und Ausdruck, Kunstkörper und Puppe.

 

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Der Bruch mit bürgerlichen Konventionen und ein neu gewachsenes Interesse am menschlichen Körper führte nach dem Ersten Weltkrieg dazu, dass der klassische Frauenakt auch unter den Sezessionisten in den Mittelpunkt ihres künstlerischen Schaffens rückte. Er bot sich ihnen als Projektionsfläche für ihre Fantasien, Personifikationen für Tugenden oder Untugenden ebenso wie für neue künstlerische Lösungen und inhaltliche Aussagen.

 

Scheinbare Unvollendetheit, Reduzierungen, flüchtige Wiedergabe und Verfremdungen des Körpers wenden sich gegen tradierte Konventionen und zeigen die Frau zunehmend in ihren Freiheiten, die sie sich nach und nach eroberte – sei es als modisch gekleidete, emanzipierte Cafébesucherin wie auf den farbenfrohen Gemälden von Erich Hartmann, sei es als „Eingeschlafene Nutte“: eine verblüffend realistische Momentaufnahme tiefer Versunkenheit des Malers Karl Kluth von 1923. Eine schlafende Frau im freizügigen Trägerkleid sitzt erschöpft zusammengesunken, hell angestrahlt in einer dunklen Nische. Die Kappe ist verrutscht, die Augen geschlossen und der leuchtendrot geschminkte Mund unkontrolliert geöffnet. Das Bild bricht mit den bürgerlichen Konventionen und klassischen Bildtraditionen von begehrenswerter Weiblichkeit und künstlerischem Meisterwerk, sucht nach neuen künstlerischen Lösungen: Hier unterstreichen das Unfertige und der flüchtige Pinselstrich das Hinwegdämmern, die Verletzlichkeit der Frau, die nicht länger einem übergeordneten Schönheitsideal nachempfunden wird.

 

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Viele Neuschöpfungen kamen von den Künstlerinnen, die sich seit der klassischen Avantgarde in das etablierte und bisher männlich dominierte Terrain einmischten. Die Hamburgische Sezession (1919–1933) zählte vier weibliche Mitglieder – Gretchen Wohlwill, Alma del Banco, Dorothea Maetzel-Johannsen und Anita Rée –, von denen drei zu den Gründerinnen gehörten und die in den folgenden Jahren den Sezessionsstil entscheidend mitprägten. Sie verwischten die Grenzen vom kreativen Schöpfertum und inspirierender Muse und forcierten eine direkte und ehrliche Auseinandersetzung mit dem weiblichen Körper in der Kunst. Ein wunderbar ironisches Goya-Zitat ist etwa die „Vision des heiligen Antonius zu Padua“ von Anita Rée. Das Doppelgemälde zeigt einen lasziven Frauenakt in italienischer Landschaft, der vom Heiligen Antonius verbotenerweise angebetet wird, in Vorder- und in Rückenansicht. Beide Bilder werden hier erstmals öffentlich ausgestellt. Während das Modell selbstbewusst den Körper zur Schau stellt und provozierend Kontakt zum Betrachter aufnimmt, blickt der vom Dämon der Unkeuschheit besessene Mönch im Hintergrund auf den nackten Körper und verrenkt sich in Qualen der Begierde. Antia Rée schlüpft damit als Frau in die Rolle des malenden Voyeurs.

 

Die Ausstellung präsentiert über 50 Gemälde und Arbeiten auf Papier, die aus einer 400 Werke umfassenden Sammlung der Hamburger Sparkasse stammen und dem Museum seit 2002 als Dauerleihgabe zur Verfügung stehen. Zwölf weitere Leihgaben aus privatem und öffentlichem Besitz ergänzen die Schau. Über die schon genannten Künstler hinaus sind unter anderen Emil Maetzel, Alexandra Povòrina, Franz Nölken, Karl Ballmer, Rolf Nesch, Otto Tetjus Tügel, Otto, Fischer-Trachau, Arnold Fiedler und Fritz Kronenberg vertreten.

 

In einem Minikatalog sind alle Exponate abgedruckt. Zudem hat die Ausstellungsleiterin Annette Baumann, die die derzeitige Inhaberin des seit 2002 von der Haspa finanzierte Max-Sauerlandt-Volontariats ist, einen 20-seitigen Essay verfasst (mit vielen nützlichen Literaturhinweisen). Darin geht sie der „immer noch aktuellen Frage nach dem Verhältnis zwischen Bild und Natur, äußerlicher Modellierung und realer Existenz des Menschen in der Kunst, nach Echtheit und Täuschung, nach Körperverhüllung und Offenlegung seelischen Innenlebens, nach Vorstellungen von Weiblichkeit“ nach.

 

 

 

 

Öffnungszeiten
Di–So 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr, Silvester + Neujahr 12–18 Uhr
Mo + Heilig Abend geschlossen

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