Buchrezensionen

Myssok, Johannes: Antonio Canova. Die Erneuerung der klassischen Mythen in der Kunst um 1800, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2007.

Nachdem Antonio Canova in der Forschung lange Zeit eine stiefmütterliche Behandlung erfahren hat, wächst gerade in den vergangenen Jahren das Interesse an diesem bedeutenden Bildhauer des Klassizismus.

Johannes Myssok hat sich nun in seiner Publikation, die aus dem Manuskript seiner Habilitationsschrift hervorgegangen ist, zur Aufgabe gemacht, den Gründen für Canovas Ruhm nachzuspüren. Dabei schien es ihm vor allem wichtig, die geistige Welt Canovas zu rekonstruieren, nach der Entstehung seiner Themen zu fragen und die weit verzweigten Verbindungen des Bildhauers zu bedeutenden Schriftstellern, Künstlern und Archäologen der Zeit nachzuzeichnen. Denn, so Myssok in seinem Vorwort, »ursächlich für seinen [Canovas] Rang als kulturelle Leitfigur seiner Epoche waren weniger die beiden Papstgrabmäler, die zwar seinen internationalen Ruhm begründeten, als vielmehr seine Figuren und Gruppen mythologischer Thematik.« Dadurch wird auch die besondere Leidenschaft Canovas für die Antike erkennbar, wie sie uns zuvor allenfalls in den einfühlsamen Beschreibungen Winckelmanns begegnet.

Bei der Gliederung der Publikation ist Myssok chronologisch verfahren, wobei das Gewicht vorrangig auf die Werke der achtziger und neunziger Jahre gelegt wurde, da sich in den späteren skulpturalen Arbeiten bereits ein gewandeltes, »konventionelleres« Mythenverständnis Canovas artikuliert.

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Schon das Inhaltsverzeichnis zeugt von einer klaren, übersichtlichen Struktur, die dem Leser vor Beginn der Lektüre einen roten Faden in die Hand gibt. Im ersten Kapitel, das sich mit dem Frühwerk Canovas auseinandersetzt, wird der Leser nicht unmittelbar mit den Werken konfrontiert, sondern erst einmal mit dem Verständnis von Mythologie im 18. Jahrhundert vertraut gemacht. Dabei zeigt Myssok, dass die antiken Mythen in diesem Jahrhundert in beinahe allen Lebensbereichen präsent waren, primär aber in der Kunst. Und so waren es unter anderem Künstler, die Studien zur Mythologie verfassten und folglich einen wichtigen Dialog mit anderen Disziplinen entwickelten. Prägnant und plausibel entwickelt der Autor in seiner Einleitung die Hintergrundinformationen, die zum Verständnis der folgenden Arbeiten Antonio Canovas erforderlich sind.

Die ersten Werke, die Myssok zum Gegenstand seiner Untersuchung heranzieht, sind die beiden Monumentalskulpturen »Orpheus« und »Eurydike«. Da diese Arbeiten Canovas noch dem Genre der Gartenskulptur zuzuordnen sind, beleuchtet der Autor das Verhältnis dieses Genres zu mythologischen Themen und unterstreicht gleichzeitig, wie offen der Umgang in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts generell mit mythologischen Themen war. Und es ist jener freie Umgang, der sich schließlich in den Skulpturen Canovas gespiegelt findet. Neben »Orpheus« und »Eurydike« hat sich Myssok zudem mit den Frühwerken »Dädalus und Ikarus« sowie »Theseus als Sieger über den Minotaurus« beschäftigt, wobei literarische Bezüge genauso wie Vergleiche zu anderen künstlerischen Auseinandersetzungen mit dieser Thematik eine wichtige Rolle spielen.

Im Fokus des zweiten Kapitels steht wohl eine der populärsten Skulpturen Canovas: »Amor und Psyche«. Hier erschließt sich dem Leser die enge Verwobenheit der mythologischen Arbeiten Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre, denn während der Entstehungszeit dieser Gruppe von 1787 bis 1793 hat Canova parallel an anderen Werken gearbeitet, neue Entwürfe gefertigt und wieder zerstört. Myssok beschreitet auch hier das weite Feld literarischer und künstlerischer Beziehungen, hinterfragt zudem das Liebeskonzept des 18. Jahrhunderts und gelangt auf der Basis seiner Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass Canovas Gruppe sich nicht »objektiv« der Antike annähert, sondern in ihrer Auseinandersetzung damit eher »modern« zu nennen sei, »denn die Skulptur stellt die Szenerie zugleich als überzeitlichen Moment und als persönliches Empfinden dar.« Neben der »Amor und Psyche-Gruppe« integriert der Autor noch die dem Themenkreis zugehörigen Werke, wie »Venus bekränzt Adonis«, »Adonis nimmt Abschied von Venus«, »Psyche« und »Amor und Psyche« (mit Schmetterling).

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Während im dritten Kapitel die Reliefs Gegenstand einer ebenfalls intensiven Untersuchung sind – hier begegnet uns etwa Canovas Auseinandersetzung mit dem Tanz – bilden im vierten Kapitel die Skulpturen des »genere forte« das Zentrum des Interesses. Mitte der neunziger Jahre war Canova besonders für seine graziösen, »femininen« und »amourösen« Themen populär, wobei die »maskuline« Seite der Mythologie wenig mit seinem Namen in Verbindung gebracht wurde. Doch es gab das »genere forte« in seinem Schaffen, wie Myssok anhand von Werken wie der »Herkules und Lichas-Gruppe«, »Perseus« oder »Napoleon als Mars Pacificator« demonstriert.

Im folgenden Kapitel dann setzt sich der Autor mit einem bislang in der Forschung kaum oder noch gar nicht erschlossenen Komplex innerhalb des Werks von Antonio Canova auseinander: Die Pausanias-Lektüre. Im Gegensatz zum starren Lektürekanon der Schulen, welcher die lateinische und griechische Sprache vermitteln sollte, las Canova mehr nach dem »Lustprinzip«, wie Myssok es nennt. In der Auseinandersetzung mit Pausanias galt Canovas Interesse mehr der Historie, und zwar der Geschichte der Frühen Völker Griechenlands, als dem Mythos selbst. Welche Werke aber gingen aus der Beschäftigung mit diesem Schriftsteller hervor? Als einzige großplastische Werke entstanden die beiden Faustkämpfer »Creugas« und »Damoxenos«. Und gerade durch die antike Reisebeschreibung von Pausanias wird Canovas Vielschichtigkeit seiner Antikenrezeption deutlich. Denn Pausanias, so der Autor, »reizte den Bildhauer gleichermaßen als Gewährsmann für die reale Existenz antiker Künstler und für die Themen antiker Monumente wie auch als Referenz für die antike Mythologie und die Heroengeschichten.« Im Vergleich zur Dichtung Homers schien Canova hier der größere Wahrheitsgehalt bezüglich früherer Epochen gegeben zu sein.

Im sechsten Kapitel gibt Myssok dem Leser schließlich noch einen Einblick in die »kristiliche Mythologie«, wie Karl Ludwig Fernow – ein Kritiker Canovas – es angesichts der »Heiligen Maria Magdalena« formulierte. Ansätze für ein frühromantisches Werk sind in dieser Skulptur Canovas bereits angelegt, was der Autor erneut mit Hilfe einer umfangreichen und überaus erhellenden Kontextualisierung zu begründen weiß.

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Das vorletzte Kapitel widmet sich »der wachsenden Verdrängung inhaltlicher Perspektiven aus Canovas Werk, die zunehmend durch Fragen der formalen Konzeption abgelöst werden«, so Johannes Myssok. Auch wenn die mythologischen Sujets bis zu den letzten Werke Canovas prägend sind, »ist doch eine immer stärkere Aushöhlung ihrer thematischen Begründung zu verzeichnen.« Zwar sind die mythologischen Anleihen in der »Paolina Bonaparte Borghese als Venus Victrix« noch vorhanden, doch distanziert sich dieses Werk von vorangegangenen mythologischen Arbeiten durch die nun in den Vordergrund tretenden biographischen Referenzen.

Wie aber erklärt der Autor diese allmähliche Distanzierung Canovas von der Darstellung »rein« mythologischer Themen? Johannes Myssok sieht darin eine Bewegung hin zur »modernen« Skulptur und deren Konzentration auf formale Probleme. In seiner Zusammenfassung betont er aber, dass der innovative Duktus der Arbeiten – besonders der Werke der achtziger und neunziger Jahre – »in ihrer komplexen Verbindung zeitgenössischer Themen und philosophischer Probleme mit einer antikennahen Form mythologischer Gestalt« lag. Canova wusste in mythologischer Hülle »moderne Inhalte mit dem Formenapparat der Antike« zu vereinen. Und dies hat uns der Autor in einer wunderbaren Publikation näher gebracht.

Johannes Myssok leistet mit dieser Arbeit – und das pünktlich zum 250. Geburtstag des Bildhauers – einen fundamental wichtigen Beitrag zur Canova-Forschung. Ob in Händen von Studenten, Wissenschaftlern oder einem fachfremden, aber interessierten Publikum, diese Publikation ist Gold wert. Alleine der umfangreiche Dokumentenanhang mit Briefen von und an Antonio Canova eröffnet dem Leser die Möglichkeit, in das Wirken und Denken dieses Bildhauers einzutauchen, wobei die Briefe ausschließlich in italienischer Sprache abgedruckt wurden.

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Neben dem in einfühlsamer Sprache geschriebenen, wohl strukturierten Text des Autors, weiß dieses Buch besonders durch die Vielzahl an Abbildungen zu überzeugen, die in hervorragender Druckqualität wiedergegeben sind. Gerade bei Skulpturen ist es überaus wichtig, dass es nicht nur einen, sondern verschiedene Blickwinkel auf das Werk gibt, um seinem Charakter besser nachspüren zu können. Neben den Detailaufnahmen wurden daher häufig Aufnahmen aus unterschiedlichen Perspektiven präsentiert, um so der Mehransichtigkeit – etwa bei der Gruppe »Venus bekränzt Adonis« – gerecht werden zu können.

Fazit: Bei Johannes Myssoks Publikation »Antonio Canova. Die Erneuerung der klassischen Mythen in der Kunst um 1800« kann sich der Leser auf eine spannende, informative und genussreiche Lektüre freuen!

 

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