Buchrezensionen

Natalie Gutgesell: Dora Hitz. Fränkische Künstlerin, rumänische Hofmalerin, europäische Avantgardistin. Mitteldeutscher Verlag

Dora Hitz (1856–1924) gehörte als Protagonistin der Avantgarde zu den führenden Impressionistinnen Europas. Als erste Hofmalerin Rumäniens war sie eine enge Vertraute der Königin, in Berlin gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der Secession, zahlreiche Persönlichkeiten der Kunst, Literatur und Wirtschaft zählten zu ihrem Freundeskreis. Der Großteil ihrer Werke befindet sich heute in Privatbesitz. Ein Ausstellungekatalog bringt die Künstlerin einem breiten Publikum näher. Spunk Seipel zeigt sich begeistert.

Cover © Mitteldeutscher Verlag
Cover © Mitteldeutscher Verlag

 Seit wenigen Jahren bemühen sich vor Forscher*innen den lange verdrängten Anteil von Künstlerinnen in der Kunstgeschichte in den Mittelpunkt von Ausstellungen und Büchern zu rücken. Es gilt ein viel zu lange vergessenes und ignoriertes Kapitel der Kunstgeschichte wieder zu entdecken.
Vergangenes Jahr wurden so auch in der Alten Nationalgalerie in Berlin eine beachtliche Anzahl von Gemälden und Skulpturen aus dem Depot geholt – allesamt von Künstlerinnen, die dem breiten Publikum und auch vielen Fachleuten größtenteils unbekannt waren. Eines der bedeutendsten Gemälde dieser Ausstellung war die großformatige »Kirschernte« von Dora Hitz (1856–1924).
Vor allem in den letzten Jahren tauchen Werke der Malerin immer wieder in Ausstellungen und Aufsätzen auf, insbesondere wenn es um best–pracitce Beispiele für erfolgreiche Künstlerinnen des 19. und beginnenden 20. Jahrhundert geht. Jedoch: eine große monografische Ausstellung zu Dora Hitz, die es dem Publikum ermöglichen würde, die Bedeutung ihres Werkes näher kennenzulernen, gab es bislang keine.

Die Autorin Natalie Gutgesell hat nun eine ausführliche Biographie und einen Werkkatalog der Künstlerin vorgelegt, worin endlich die Leistung von Dora Hitz gewürdigt und ihre Arbeiten kunsthistorisch eingeordnet werden. So berichtet Gutgesell etwa von der Diskriminierung von Frauen in der Ausbildung aber auch von deren Erfolgen in Ausstellungen, Kunstzeitschriften und auf dem Kunstmarkt und zeigt so eine Generation auf, von der heute nur noch wenige Namen bekannt sind und noch weniger Bilder in den Museen regelmäßig zu sehen sind. Über einen feministischen Ansatz wird die Realität des Kunstbetriebes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfahrbar.

Dora Hitz wurde 1856 in Altdorf bei Nürnberg als Tochter eines Kunstlehrers geboren und wuchs ab ihrem sechsten Lebensjahr in Ansbach auf. Schon mit dreizehn Jahren zog sie allein nach München, um sich dort als Malerin ausbilden zu lassen. In der bayerischen Hauptstadt entdeckte die rumänische Königin Elisabeth zu Wied (1843–1916) – die aus Deutschland stammte und sich als Schriftstellerin Carmen Sylva nannte – das Talent der jungen Kunstschaffenden. In Folge wurde Dora Hitz zur Hofmalerin ernannt und fertigte nach Gedichten der Königin Gemälde für den Musiksaal in dem neu errichteten eklektizistischem Sommersitz der königlichen Familie in Sinaia in den Karpaten an. Diese Stellung bot der Künstlerin die finanzielle Grundlage für einen jahrelangem Aufenthalt in Paris in den 1880er Jahren, wo sie unter anderem bei Eugène Carrière ihre Studien fortsetzte. 1892 siedelte sie nach Berlin über, wo sie sich nicht nur selbst um die Ausbildung von Malerinnen der nächsten Generation kümmerte, sondern auch aktiv für die Ausstellungen der lokalen Avantgarde einsetzte. Als Mitglied der 'Vereinigung der XI', der Vorgängergruppe der Berliner Secession erhielt sie 1913 ein Stipendium für die Villa Romana in Florenz, das zur gleichen Zeit auch Max Beckmann verliehen wurde.
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges bekam die Malerin, wie so viele andere Künstlerinnen, finanzielle Schwierigkeiten und geriet in die soziale Isolation. 1924 starb Dora Hitz. Ihre Freundin Käthe Kollwitz schrieb die Trauerrede, die von der deutschen Malerin und Grafikerin Julie Wolfthorn verlesen wurde. 1925 richtete die Galerie Fritz Gurlitt noch eine Gedächtnisausstellung für Dora Hitz aus, dann begann das Vergessen.

Dora Hitz Biographie spiegelt das Leben vieler Künstlerinnen der damaligen Zeit wider, deren Ausbildung aufgrund staatlicher Vorgaben nur in privaten Schulen stattfinden konnte und die dennoch stets um die Anerkennung der Kunstwelt kämpfen mussten.
Der 106 Bilder umfassende Werkkatalog stellt die derzeit bekannten Arbeiten ausführlich vor, kontextualisiert sie und verfolgt anschaulich die Entwicklung der Malerin.
Impressionismus und Symbolismus zeigen sich dabei als ihre bevorzugten Stile, vielleicht weil Dora Hitz immer auf die Verkäuflichkeit ihrer Werke achten musste. Für radikale Experimente blieb da kein Platz. Dennoch galt sie immer als neugierige, offene Künstlerpersönlichkeit, die sich dem Neuen nie verschloss und im Gegensatz zu so vielen ihrer Zeitgenossen auch nicht im akademischen Stil verharrte.
Indem sie ausführlich das Werk von Hitz' Freunden, Lehrern und Zeitgenossen (die ebenfalls weitestgehend vergessen wurden) schildert, führt Natalie Gutgesell die Leser*innen auf Zeitreise: in die Künstlerzirkel nach Franken, München, Rumänien oder Paris.

Fazit: Diese Biographie ist ein wichtiger Beitrag zur europäischen Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dem Beginn des 20. Jahrhunderts, die einmal das Scheinwerferlicht auf die Künstlerinnen aus der zweiten Reihe richtet, die trotzdem einen wichtigen Bestandteil des Kosmos Kunstgeschichte bilden. Das Buch ist daher nicht nur Impulsgeber für eine Renaissance der Künstlerin Dora Hitz, sondern regt darüber hinaus zu zahlreichen weiteren künstlerischen Neuentdeckungen an.

Natalie Gutgesell: Dora Hitz. Fränkische Künstlerin, rumänische Hofmalerin, europäische Avantgardistin
480 S., geb., 220 × 270 mm, s/w– und Farbabb.
ISBN 978–3–96311–251–5

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