Buchrezensionen

Neil MacGregor: Globale Sammlungen für globalisierte Städte, Matthes & Seitz 2015

Neil MacGregor, seines Zeichens noch Direktor des British Museums und Mitglied der Gründungsintendanz des Berliner Humboldtforums, ist spätestens seit »Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten« jedem ein Begriff. Das Buch ist aber auch Ausdruck seines Verständnisses von Museumssammlungen. In seinem Essay widmet er sich diesem Verständnis. Stefanie Handke ist seiner Argumentation gefolgt.

In der Reihe »Fröhliche Wissenschaft« veröffentlicht der verdienstvolle Verlag Matthes & Seitz Vorträge internationaler Wissenschaftler auf Deutsch, die sich mal mehr, mal weniger aktuellen Probleme widmen. Auch Neil McGregor reiht sich hier nun ein – mit einem Vortrag, den er 2012 im Alten Museum Berlin gehalten hat. Darin offenbart er sich als Weltbürger in der Weltstadt London und beleuchtet das Phänomen »globale Stadt« im Hinblick auf ihre Museen und die darin befindlichen Sammlungen.

Als Direktor des British Museum berichtet er dabei vor allem aus den Sammlungen seines Hauses und zieht zugleich eine Verbindung zum Ort seines Vortrags, dem Alten Museum Berlin. So sieht er in beiden Städten die Vorstellung beheimatet, dass man die Welt besser verstehen könne, wenn man sie in einem einzigen Gebäude unter brächte. Beide Städte, Berlin und London, sind heute Weltstädte, in denen Menschen aus unterschiedlichsten Teilen der Welt zusammentreffen – Parallelen zur antiken Stadt Babylon drängen sich MacGregor dabei unweigerlich auf. So verweist er denn auch auf die Vielsprachigkeit solcher Städte, aber auch auf ihren eigentlichen Ursprung, der im Handel liegt.

Babylon ist für MacGregor dann diejenige Stadt, die die große Frage in den Raum wirft, ob eine derart globale Stadt ihr unrühmliches Ende finden muss oder nicht vielmehr Chancen bietet. Das Beispiel Venedigs im 16. Jahrhundert dient im dabei zur Illustration, denn hier lebten »verschiedene Völker erfolgreich und gedeihlich« zusammen. Auf London bezogen, war das Swan Theatre solch ein internationaler Ort, an dem die Londoner eine globalisierte Stadt erleben konnten, denn Zeitgenossen beobachteten eine gewisse »Reisefaulheit«. Das Swan Theatre steht für MacGregor gleichsam für die ideale Kultureinrichtung als Ort, an dem der (aufgeklärte?) Bürger die Welt erkunden kann.

Das British Museum sollte ein solcher Ort sein; seine Grundidee war finanzielle, aber auch geistige Unabhängigkeit, sodass dank eines freien Eintritts jeder Wissbegierige hier seine Neugierde stillen, sich bilden und die Welt erkunden könne – ein gebautes Weltbürgertum. Hier findet sein Direktor denn auch wieder Verbindungslinien nach Berlin, mit seiner Idee der Weltkultur und dem inzwischen in Bau befindlichen Humboldtforum. Das geplante Forum steht ebenso wie das British Museum vor einer großen Aufgabe: Wie ist mit Fremdenfeindlichkeit umzugehen, wie mit unterschiedlichen Identitäten und Religionen? MacGregor erläutert dies anhand einiger Beispiel aus London. Hier finden sich z.B. die einzige erhaltene Vorzeichnung zu Michelangelos Sixtinischer Decke ebenso wie Arbeiten des jordanischen Kalligraphie-Künstlers Nassar Mansour quasi nebeneinander – beide thematisieren gleichermaßen die Schöpfung des Menschen und bieten so unterschiedliche Zugänge.

Weitere Beispiele aus der Arbeit des British Museums zeugen im Folgenden von den Chancen einer »globalen Sammlung« in einer »globalisierten Stadt«. So steht die Sammlung von James Stewart Charles Stuart, die dieser dem Britischen Museum vermachte, für Weltoffenheit und den Dialog zwischen den Kulturen. Stuart arbeitete im 19. Jahrhundert für die British East India Company und war von der Überlegenheit der indischen Kultur überzeugt. Entsprechende Zeugnisse sammelte er, zugleich entwickelte er sich aber zu einem Menschen, der nach MacGregors Beschreibung auch ins frühe 21. Jahrhundert passen würde. Objekte aus seiner Sammlung sind heute Referenz für in London lebende Hindus und informieren Nicht-Hindus zugleich über die Religion, aber auch über die indische Kultur. So bieten sie Identität, aber auch Information und werben für Toleranz.

Ähnliche interkulturelle Zusammenarbeit ist bei der Restaurierung von Objekten möglich, etwa bei der eines Sikh-Turbans, in deren Zuge eine enge Zusammenarbeit zwischen dem British Museum und der Sikh-Community in England entstand. Auch Umdeutungen sind aber möglich wie es bei einer vermeintlich nordamerikanischen Trommel geschah, bei der Nachforschungen ergaben, dass sie keinesfalls amerikanischen, sondern afrikanischen Ursprungs war. Sie kam durch den Sklavenhandel nach Amerika und wurde dann verkauft – so ist sie heute nicht nur Zeugnis afrikanischer Kultur, sondern erzählt auch die Geschichte des Sklavenhandels mit.

Diese und andere Beispiel führen zu der Frage wie im Museum, aber auch in der Stadt mit den unterschiedlichsten Religionen und ihren Traditionen sensibel umzugehen ist. Das British Museum habe dies mit einer Reihe »Trustees«, bedeutenden aus religiösen Gemeinschaften gelöst, die ihre Erfahrungen teilen und bei Fragen nach dem Umgang mit sensiblen Themen und Objekten beratend tätig werden und, etwa bei einer Aktion zum hinduistischen Durga Puja Fest, aktiv werden.

All diese positiven Anekdoten dienen Neil MacGregor zur Verdeutlichung einer zentralen Aufgabe des »globalen Museums«: ein harmonisches Zusammenleben zwischen den unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen und die Verständigung untereinander zu fördern. Die Verschriftlichung seines Vortrags ist ein Plädoyer genau hierfür. Es bleibt zu hoffen, dass er in der Gründungsintendanz des Humboldtforum diese Ideale umsetzen kann.

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