Ausstellungsbesprechungen

Neue Alchemie - Kunst der Gegenwart nach Beuys, LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, bis 16. Januar 2011

Mit einigem Befremden geht man an die Münsteraner Ausstellung heran, was angesichts der schönen Präsentation enorm spannungsreicher Arbeiten von vorwiegend in den 1970er Jahren geborenen, internationalen Künstlerinnen und Künstlern schnell verfliegt. Neue Alchemie? Kunst nach Beuys? Man kann diese thematische und personale Klammer durchaus verstehen: Alchemie hat etwas Rätselhaftes, Beuys ist noch immer ein Name, den man ehrfuchtsvoll, aber auch mit einigem Reibungspotential nennen und vermarkten kann. Günther Baumann hat sich für uns die Ausstellung einmal genauer angeschaut.

Das Schöne an der Ausstellung ist, dass die Beiträger allesamt so überzeugend sind, dass sie das schwarze Mäntelchen der Magie, der Ars magna so wenig brauchen, wie sie ihren Auftritt auch ohne Übervater bravourös meistern. Mehr noch, die im Titel anklingenden Bezugsgrößen sind nun keine spektakulären Neubewertungen – vor einer halben Ewigkeit zeigte das Gemeentemuseum in Den Haag die tiefen Verwurzelungen der modernen Kunst in okkulte Systeme und »geistige« Welten, andere Ausstellungen folgten; und auch die Münchner Ausstellung zur Schar der Beuys-Nachfolger ist noch gut in Erinnerung. Freilich, etliche Jahre sind darüber hinweg gegangen, die Videokunst zeigte ganz neue Dimensionen auf, die Malerei hat in all ihren Möglichkeiten eine Renaissance erfahren, in jüngster Zeit feiert die Abstraktion ihre neuen (Um-)Triebe, Afrika, China, dann Indien machten mit eigenen Traditionen auf sich aufmerksam usw. Aber war Beuys je weg vom Fenster oder gar ganz in Vergessenheit geraten? Oder zweifelte man an den unterschwelligen Strömungen, die die Kunstlandschaft durchpulsen? Wie auch immer: Wir könnten den Titel dieser Ausstellung streichen, wir können ihn genauso gut als Schild am Entree zur Schau stehen lassen – entscheidend ist, was dahinter zu sehen ist, und das ist ein großes Erlebnis.

Das ist natürlich auch der Kuratorin Melanie Bono klar. Die studierte Soziologin und Kunsthistorikerin, stellvertretende Chefin am Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster, überschreitet gerne Grenzen innerhalb eines Genres (ihre Magisterarbeit befasste sich mit der Parallelentwicklung der sachlichen und avantgardistischen Fotografie) oder zwischen Institutionen (2006 arbeitete sie an einem interkulturellen EU-Projekt, das sich der länderübergreifenden Vernetzung annahm). Da mag die Melange von Alchemie, Gegenwartskunst und Beuys auch auf die Überschneidungen innerhalb einer durchgeistigten Mengenlehre abzielen, auch wenn die durchdachte Liaison im Verborgenen bleibt. Bono bekannte, dass manche(r) Beiträger(in) ihrer Schau den Bezug auf Beuys nie erwogen hätten, und zog sich auf die Position des Trendsetters zurück. Doch es ist mit ihrem Ansinnen auch nie ein Fehler, einmal mehr auf die selbst unsichtbaren Ströme der beuysschen Kunst zu setzen, die im Münsteraner Umfeld ohnehin lebendig genug sind, um daraus ein spannungsvolles Geflecht zu konstruieren.

Myriam Holmes mehrteiliges Objekt »schwindendeserinnern« kommt allemal ohne Vorbilder aus, selbst ohne kollegiale Verstärkung: Sie füllt mit ihren ausgelegten und ›zerknitterten‹ Metallplatten, denen große Glaskörper beigefügt sind und die mit säurehaltigen Flüssigkeiten ›beschrieben‹ wurden, ganz alleine aus. Diese atemberaubende Installation hat keinerlei Anknüpfungspunkte zu Beuys, und die Alchemie spielt nur insofern eine Rolle, als es um Veränderungen von Aggregatszustände geht, einmal als Verformung, dann in der Behandlung des Metalls und schließlich in der ideellen Formwerdung edler Materie, die sich im Glanz des Stahls und im roh behauenen, in romantischem Blau strahlendem Glas äußert. Lorenzo Pompa fügt scheinbare Spolien – tatsächlich handelt es sich vorwiegend um Gipsgüsse – zusammen und inszeniert assoziationsreiche Ruinenfelder. Er kommt der sozialen Plastik von Beuys schon recht nahe, aber genauso gut könnte man eine Verbindung zu dem grandiosen Konzeptprojekt des leider viel zu wenig beachteten Ettlinger Künstlers Voré herstellen, den möglicherweise auch Pompa nicht kennt – doch da liegt eben die Crux der Verbindungslehre, die aus dem Gedankensprung schon einen Trend macht. Pompa bespielt zusammen mit Karla Black und ihren lehmverschmierten, scheinbar massiven Papierarbeiten den Raum.

Mit reduzierten Arbeiten überzeugt Katinka Bock mit einem hinreißenden Keramikteppich, dessen kachelförmigen Scheiben wie gewellt ihre eigene geometrische Ordnung stören, jede einzeln gefüllt mit Wasser, das die Künstlerin gern in ihren Arbeiten integriert. Im selben Raum stellt Aleana Egan aus, deren Baustahlrahmen-Arbeit genauso gut mit Bocks Keramiken korrespondiert wie die Wandobjekte beider Künstlerinnen. Darüber hinaus sind Werke von Björn Braun zu sehen, der vorgefundene Materialien – seien es Objekte oder Fotografien – verarbeitet, ähnlich wie Lone Haugaard Madsen. Nina Canell geht mit ihrer Wasser-Elektronik-Installation ganz eigene Wege, um die Sinne der Betrachter für ihre Umwelt zu sensibilisieren. Des Weiteren sind schöne Acryl- und Ölarbeiten von Sergej Jensen, monströse Phantasiestücke von Matthew Ronay sowie irritierend-faszinierende Materialobjekte von Michael Stumpf zu sehen. Wie auch immer die Künstlerinnen und Künstler ihr Schaffen auf Joseph Beuys ausgerichtet haben: Er wäre vermutlich begeistert von dieser Auswahl an Positionen.

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