Ausstellungsbesprechungen

Neueinrichtung Sammlung Islamische Kunst, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Dauerausstellung

Schon Religion an sich ist heute nicht mehr en vogue, und nur gar der Islam… Für viele ist er einfach nur ein rotes Tuch. Darüber wird oft seine reiche Kultur vergessen. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe hat seine Islam-Abteilung gründlich überarbeitet und gestattet jetzt einen differenzierten Blick auf diese faszinierende Kultur. Stefan Diebitz hat die Ausstellung besucht.

Religionskritik ist heute mehr angesagt denn je, und keine Religion wird schärfer kritisiert als der Islam, der dank dem Islamischen Staat und den Taliban eher als eine kulturfeindliche Bewegung gilt. Wir alle durften schon im Video verschleierte Terroristen bewundern, die im Namen Allahs Museen schleiften oder jahrtausendealte Artefakte wie Buddha-Statuen oder mesopotamische Plastiken mit brachialer Gewalt zerstörten. Unter diesen Umständen gehört es auch unter Gebildeten geradezu zum guten Ton, den Islam als eine Ideologie von Vandalen entschieden abzulehnen und ihn auf Terror und Ehrenmorde, Ikonoklasmus und Kopftuch zu reduzieren. Aber tatsächlich hat er über viele Jahrhunderte auf allen Gebieten wunderbare Kunst hervorgebracht und der abendländischen Kultur entscheidende Anregungen vermittelt. Vielleicht wird er das ja auch in der Zukunft leisten?

Unter diesen Umständen kann eine größere und veränderte Präsentation der islamischen Kultur nur begrüßt werden, auch wenn diese bei weitem nicht so umfassend ist, dass sie einer so vielfältigen Kultur wirklich gerecht wird. Das direkt neben dem Hauptbahnhof gelegene Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe hat seine Islam-Ausstellung gründlich überarbeitet und versucht nun in fünf kleinen Sälen und zusätzlich noch auf einem Flur einerseits die Vielfalt der islamischen Kultur zu demonstrieren, andererseits deren Verwurzelung in der Geschichte Vorderasiens sowie ihre Bedeutung für das Europa der Gegenwart darzustellen. Was für ein Programm!

Islamische Kultur heißt in dieser Präsentation zunächst die Kultur eines Raumes, der im westlichen Nordafrika beginnt und in Indien endet, womit weite Bereiche ausgeschlossen bleiben. Das wunderbare Samarkand als ein weit ausstrahlendes Zentrum der Wissenschaft und Architektur zum Beispiel wird an keiner Stelle erwähnt. Aber auch so ist die Vielfalt groß genug und kann manches Vorurteil in Frage stellen.

Der erste Raum ist ganz dem Essgeschirr und anderen Objekten aus Porzellan gewidmet, von denen eine beeindruckende Vielzahl teils sehr alter Objekte (bis zurück ins 8. Jahrhundert!) im Halbkreis aufgestellt sind. Schon hier zeigen sich immer wieder altorientalische Einflüsse, aber man kann auch die Bedeutung Chinas beobachten. Beim Porzellan ist das vielleicht nicht besonders überraschend, aber es gilt auch für die Bedeutung der Kalligrafie, die natürlich für die Prachtausgaben des Korans, aber ebenso für die Poesie bedeutend ist. Das Museum kann hier unter anderem ein Gedicht im »Nastaliq-Duktus« des persischen Dichters Bidel (1644 – 1721), aber auch eine unerhört kostbare Handschrift des Koran aus dem Istanbul des 17. Jahrhunderts vorweisen, der sich allein zwei andere Exemplare an die Seite stellen lassen, die sich beide in der Türkei befinden. Als ich vor dem wunderbaren Buch stand, fiel mir eine Bemerkung Oswald Spenglers ein. »Ein Koran in kufischer Schrift«, schreibt er im »Untergang des Abendlandes«, »wirkt auf jeder Seite wie ein Wandteppich.«

Nichts zeigt wohl mehr als die Bedeutung der Schrift den Kontrast zwischen den beiden Kulturen, dem Abend- und dem Morgenland. Im arabischen Raum steht die Kalligrafie für die ästhetische Erfahrung überhaupt, und bei uns wird ernsthaft überlegt, ob man Kindern auch weiterhin eine kursive Schrift beibringen sollte. Vielleicht sollte man, bevor man sich gegen das mühsame Erlernen der Handschrift ausspricht, sich einmal die Schriften Arabiens anschauen – wie etwa jenen alten Koran.

Man steht fassungslos vor den mit äußerster Sorgfalt gemalten Ornamenten des mächtigen Buches und kann dabei lernen, dass in dieser Kultur dem Produktionsprozess, also der sich oft geradezu unendlich lange hinziehenden Handwerksarbeit, ein Eigenwert zukommt, der jenen des Metallwertes weit übersteigt. Auch, ja gerade bei Teppichen und anderen Gebrauchsgütern ist diese Hochschätzung der Handarbeit immer wieder zu beobachten. Als ich davon und der vergleichsweise geringen Bedeutung des Goldes hörte, fiel mir The Great Mosque in London ein, deren Kuppel aus schierem Gold man schon von weitem im Sonnenlicht funkeln sieht, wenn man durch den Regent’s Park spaziert: wäre das also ein islamisches Gotteshaus, dessen Erbauer den eigentlichen Sinn des Islam bereits nicht mehr kannten? Oder hat der metallische Glanz nur wie die Arabeske auch den Sinn, das Bauwerk zu entkörpern?

Eines der beliebtesten Vorurteile betrifft das angebliche Bilderverbot des Islam. Und es ist natürlich wahr, dass die Vorherrschaft des Abstrakten und rein Ornamentalen sofort ins Auge springt. Aber trotzdem gibt es ein solches Bilderverbot gar nicht, sondern allein die Darstellung Gottes ist tatsächlich untersagt. So finden sich keine Darstellungen von Menschen in religiösen Räumen, aber sonst sehr wohl – besonders in Persien, von wo man in Hamburg einige schöne Miniaturen bewundern kann.

Zu den Glanzstücken der Ausstellung gehört ein großartiger roter Tierteppich aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, der als Kuriosum zwei Inventarnummern besitzt. Lange Zeit besaß das Museum nämlich nur die eine Hälfte, bis dann die zweite Hälfte aus der Schweiz dazu erworben werden konnte. Dieser Teppich zeigt eine Reihe von Tieren, so etwa den Sprung eines Löwen auf den Rücken einer Gazelle. Die Hochschätzung des Handwerklichen im Islam lässt sich natürlich besonders gut an einem solchen Objekt nachvollziehen, aber zusätzlich dazu kann man hier einen weiteren wesentlichen Aspekt demonstrieren. Denn viele Muster werden am Rand des Teppichs einfach abgeschnitten – ein merkwürdiges Faktum, wenn man bedenkt, dass die Arabesken keinesfalls spontan entstanden sind, sondern höchst sorgfältig über einen langen Zeitraum geplant waren.

Aber es ist das Wesen oder vielleicht sogar der Sinn der Arabeske, dass sie unendlich fortsetzbar ist – Vollendung nämlich kennt diese Welt für einen Moslem nicht, vielmehr ist diese allein in der Transzendenz zu erreichen. Bei Fliesen lässt sich der nämliche Vorgang beobachten: auch ihr Muster ist unendlich fortsetzbar. Spengler hat in dem Motiv der Entkörperung das eigentliche Zentrum der von ihm »magisch« genannten, also der arabischen Kunst gesehen, als er über die Arabeske schrieb: »Sie ist, antiplastisch bis zum äußersten, dem Bilde wie dem körperhaften gleich feindlich, das eigentlich magische Motiv. Selbst unkörperlich, entkörpert sie den Gegenstand, den sie in endloser Fülle überzieht.« In Hamburg finden sich einige Objekte, die diese Eigenart der islamischen Kunst veranschaulichen können.

Die Fliesen sollen mit der Verkleidung der Mauern den Eindruck ihrer Schwere aufheben; das ist natürlich ein Vorgang, der unmöglich innerhalb eines Museums demonstriert werden kann, sondern den man allein vor Ort – also zum Beispiel vor und in den berühmten Madrasen von Samarkand – erleben kann. Auch der sonst sehr schöne Fliesenbogen, welcher in Hamburg die Stirnwand des fünften Raumes schmückt, kann ein solches ästhetisches Erlebnis nicht wirklich herbeiführen, so wenig wie der kleine steinerne Brunnen – so etwas muss man vor Ort erleben, wenn man auf einen Innenhof tritt, in dessen Mitte ein solcher Brunnen rauscht. Das sind Augenblicke, in denen man sich islamische Architektur auf hohem Niveau auch in Deutschland wünscht, nicht allein Moscheen in Hinterhöfen.

Allerdings ist es nicht schwer zu sehen, dass viele Eigenarten der islamischen Architektur dem trockenen und heißen Klima geschuldet sind und deshalb hier niemals zur Wirkung kämen; die verschwiegenen Innenhöfe (»Patios«) findet man heute auch in Spanien oder in Südamerika, nicht selten mit wunderbaren Brunnen, aber dergleichen brauchen wir hier nicht: bei uns ist es schlicht nicht heiß genug, und wir haben ja auch ein anderes Verhältnis zum öffentlichen Raum.

In seinem wunderbaren Buch »Florenz und Bagdad«, in dem er die Eigenart der arabischen Kultur mit jener Europas kontrastiert, geht Hans Belting auf einen Effekt ein, den man ebenso nur vor Ort erleben kann, auf die Ästhetik der Schatten und die ganz andere Funktion von Fenstern und Türen. »Nur in der arabischen Kultur war es möglich, ein so körperloses und geometrisches Sehen zu entwerfen, das zu allen antiken Vorstellungen in einem vollständigen Kontrast stand.« Aber auch dieser Aspekt lässt sich unmöglich in einem Museum demonstrieren.

Selbstverständlich kann in fünf Sälen der ungeheure Reichtum der islamischen Kultur überhaupt nicht abgedeckt werden. Wie wäre es, wenn man auf einem entsprechenden Raum die christliche Kultur präsentieren wollte – von Hardcore-Protestanten Nordamerikas bis zu den orthodoxen Kirchen des europäischen Ostens? So bleibt nur, gegen einige besonders hartnäckige Vorurteile anzukämpfen und die Schönheiten wenigstens anzudeuten. Das gelingt eigentlich ganz gut, und die Ausstellung gibt in allen ihren Teilen zu denken.

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