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Neuroästhetik. Kunst-Gehirn-Wissenschaft. Hrsg. von Martin Dresler, Seemann Verlag Leipzig 2009

Die Neuroästhetik ist eine sehr junge Wissenschaft, die in den letzten Jahren immer mehr Anhänger gefunden hat. Ihre Aufgabe besteht darin, unterschiedliche Felder miteinander zu verknüpfen, um zu neuen Ergebnissen zu gelangen. Es geht dabei um die Neurowissenschaft, die Kunst und die Philosophie.

Einer der berühmtesten deutschen Hirnforscher, Wolf Singer, spricht im Vorwort vom Unterschied zwischen den Herangehensweisen von Wissenschaft und Kunst in ihren Versuchen, die Welt zu ergründen und davon, dass eine Verbindung dieser Disziplinen zu dem primär nicht Zugänglichen führen kann. Die Neuroästhetik spaltet die Welt der Wissenschaft – viele Kunsthistoriker argwöhnen, dass die Hirnforschung der Kunst ihre metaphysische Wirkung abspricht und sie als ein reines Werkzeug zur Beeinflussung des menschlichen Bewusstseins darstellt. Diese Befürchtung ist nicht unberechtigt, wenn man zum Beispiel in einem Beitrag liest, dass Leonardo da Vincis Bilder auf wahrnehmungspsychologische Tricks hin untersucht wurden. Anhand von Abbildungen wird dem Leser erklärt, wie genau das Portrait der Mona Lisa auf den Betrachter wirkt und welche Stimuli dabei angeregt werden. Dass die berühmten Künstler schon immer Manipulatoren unserer Wahrnehmung waren, ist keine Neuheit. Die Wissenschaftler, die sich mit den Vorgängen im Gehirn beschäftigen, weisen darauf hin, dass Künstler wie Picasso und Cézanne diese Vorgänge bereits in ihren Werken zu imitieren wussten. In seinem Essay beschreibt Erhard Oeser Cézannes Herangehensweise und seine Abstraktionen „als in ihm unbekannter Übereinstimmung mit der neurobiologischen Analyse des Sehvorganges erreichte Ergebnisse.“ Die Art, wie er die Welt in seine eigenen Formen und Farben übersetzte, war nicht nur für die nachfolgenden Künstlergenerationen ausschlaggebend. Die innere Vision, das innere Sehen als Herstellen einer konstanten Ordnung, ist der eigentliche Gegenstand der Neuroästhetik, was sich vor allem an der modernen Kunst zeigen lässt. Sind die Künstler also nur Illusionisten und ihre Werke reine Stimuli für unsere neuronalen Vorgänge? Oder sind Picasso und Co. Vorreiter einer bahnbrechenden Wissenschaft gewesen, ohne es selbst zu ahnen? Über diese Fragen kann man sich mit dem vorliegenden Band Klarheit verschaffen. Das Buch umfasst 14 Essays von verschiedenen Wissenschaftlern, die sich alle auf unterschiedliche Weise mit Neuroästhetik auseinandersetzen. Wie zum Beispiel Manfred Spitzer, der mithilfe der Hirnforschung versucht, sich den ewigen Fragen der Philosophie anzunähern: Der Reihe nach untersucht Spitzer die Begriffe aus Platons Ideenlehre – das Gute, Wahre und Schöne –  und schafft neue Anregungen für Diskussionen.
Für Liebhaber der „Sience Art“ bietet das Buch Beiträge zu Gefriertrocknungsmikroskopie und Fraktalkunst, letztere kreiert mithilfe digitaler Programme Kunstwerke, die aus mathematisch-geometrischen Formen bestehen. Das Buch macht deutlich, wie interessant Kunst als Untersuchungsgegenstand für die Naturwissenschaft sein kann und wie viele unerwartete Ansätze aus diesen Betrachtungen entstehen können. 

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