Ausstellungsbesprechungen

Nibelungenlied und seine Welt

Kaum ein Mythos hat an den deutschen Befindlichkeiten so gezerrt wie der der Nibelungen. Die Mythenblüten haben dabei den zugrunde liegenden Text, einen der blutrünstigsten der Literaturgeschichte derart überwuchert, dass der Chefeinpeitscher der Nazis, Hermann Göring, 1943 die vor Stalingrad dahinsterbenden Soldaten damit auf den Untergang einschwören konnte; das Geschwätz der »Nibelungentreue« kam bereits während des Ersten Weltkriegs 1917 auf.

Wenn das Badische Landesmuseum nun das Lied – das nie wirklich eines war – in einer bewundernswerten Nüchternheit vorstellt und in einen sozialgeschichtlichen sowie einen kulturhistorischen Kontext einbettet, holt es einen literarischen Stoff auf den Boden zurück, der dem allgemeinen Bewusstsein außerhalb der universitären Hörsäle zu entgleiten drohte, der sich in der Ahnung des Burgundenschicksals (und liebe Weintrinker: nicht Burgunderschicksals) scheinbar längst erschöpft hat.

Anlass für die Ausstellung ist die älteste der drei großen Handschriften des Nibelungenlieds, die im Jahr 2001 in die Badische Landesbibliothek in Karlsruhe gekommen ist. Diese Handschrift C – die einzige, die der Nibelungen »liet« besingt (und nicht der Nibelungen »nôt«) – ist erstmals zusammen mit den Handschriften A (1275–1300, gefunden 1779; Bayerische Staatsbibliothek München) und B (1225–1275, gefunden 1768; Stiftsbibliothek St. Gallen) zu sehen – was wahrscheinlich so schnell nicht mehr geschehen wird. Ergänzt wird die Schau von etlichen der insgesamt 37 Textfragmente (zum Teil nur in fotografischer Reproduktion) sowie von allerhand Artefakten und lokalen Stationen, die die Welt des epochalen Textzeugen vorstellen: So wird der fiktive Text geografisch konkret nachvollziehbar. Dieses Musterbeispiel der Literaturvermittlung ist übrigens sehr gut geeignet, um Jugendliche sozusagen vor der Burg abzuholen und zu einem durchaus spannenden Text hinzuführen, dem die zumeist grotesken Videospiele kaum das Wasser reichen können.

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Nicht zuletzt bietet die Präsentation einen umfassenden Rundblick auf die Rezeptionsgeschichte, was im Hinblick auf das Nationalepos von elementarer Bedeutung ist: War das Nibelungenlied über das ganze Mittelalter gegenwärtig, verschwand es in der frühen Neuzeit in der Versenkung; erst 1755, als der Lindauer Arzt Jakob Hermann Obereit und der Schweizer Johann Jacob Bodmer in Österreich die Handschrift C wiederentdeckten, erwachte das Interesse vor dem Hintergrund nationaler Selbstfindung. Richard Wagners »Ring« markiert im 19. Jahrhundert den kulturellen Meilenstein, vor dem nicht nur die eingefleischten Liebhaber dahinschmelzen, sondern an dem sich auch so mancher Verächter die Zähne ausbeißt. Schließlich nutzten die Nazis das Nibelungenlied schamlos für ihre Zwecke und machten einen wertfreien, gar unbeschwerten Umgang mit dem Text nachhaltig unmöglich – freilich kein Einzelfall: das an sich harmlose Volkslied hat hier auch schwer gelitten. Ein Ausweg aus der nationalen Falle scheint mit Moritz Rinkes Wormser Aufführungsspektakel im Jahr 2002 eingeleitet worden zu sein, sicher auch zum Nutzen der Karlsruher Ausstellung, die Ende Februar eine Nibelungen-Nacht in Szene setzte mit einem Erzähltheater, mittelalterlicher Musik samt Ritterspielen, diversen Themenführungen sowie authentischer kulinarischer Verpflegung. Nebenbei bemerkt wird das Werk ursprünglich kaum am Stück vorgetragen worden sein: acht bis zehn Stunden hätte eine gewöhnliche Lesung gedauert, rezitiert oder gar gesungen wären es noch einige Stunden mehr gewesen. So dürfte heute, wo sich der Umgang mit dem Text offensichtlich von zeitbedingten Verkrampfungen löst, auch ein lebendigeres Agieren möglich zu werden.

Ein Verdienst der Ausstellung ist es, dass ihre Macher im wohldurchdachten Aufbau wie auch im fundierten Katalog das hochkomplexe Handlungs- und Themengefüge sortieren. Es kann ja nicht deutlich genug gesagt werden, dass wir bei allen vermuteten Zuständen einer Vorgängerdichtung und vieler Themenkreise aus der Völkerwanderungszeit einen überlieferten Text aus dem Hochmittelalter, verfasst um 1200, haben. Die Brünhildsage und die Burgundensage wurzeln wohl im 5. Jahrhundert, werden aber erst in späteren Stufen greifbar und schließlich als erster und zweiter Teil des Nibelungenlieds zusammengeführt. Hier setzt auch das Augenmerk des kunsthistorisch interessierten Besuchers an – keineswegs ist das Nibelungenlied ein germanischer Text (ein Grund mehr, ihn nicht in pseudonationaler Schreierei zu missbrauchen), sondern ein Produkt der Spätromanik im Übergang zur Gotik. Die höfische Kultur bis hin zum Jagdwesen, zur Schifffahrt und zur Kriegskultur wird ebenso beleuchtet wie auch die Gesellschaft der damaligen Zeit insgesamt (Gebrauchsgegenstände, Kleidung, Musikinstrumente u.a.). Motive aus dem Epos nehmen die Romantik und später die Vertreter des Fin de Siècle in ihrer Malerei wieder auf, wobei sich die Aussage ins Nationale bzw. Symbolische verlagert. Darüber hinaus wird der versierte Betrachter aus dem Schriftbild und dem Zustand des Pergaments – der ja von einer gedruckten Ausgabe nicht vermittelt werden kann – interessante Aufschlüsse über Herstellung und Benutzung der Handschriften beziehen.

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Ganz so euphorisch wie Bodmer, der das Nibelungenlied als eine »Art Ilias« lobte, »von norwegischen Sagen entsprungen und mit einheimischen Romanzen verwebt«, wird man aus heutiger Sicht nicht mehr urteilen. Dennoch gibt die hervorragende Ausstellung Anlass, sich mit einem der bedeutendsten Texte der deutschen Literatur zu befassen. 

 

Weitere Informationen

 

Öffnungszeiten
Dienstag–Sonntag 10–18 Uhr
Fr 10-21 Uhr

Eintrittspreise
Einzelkarte EURO 7,-- / 5,--
Familien EURO 14,--
Schulklassen EURO 2,- / 2,50 pro Person

Gruppenbuchung
Telefon: 0721/926-6520
E-Mail: service@landesmuseum.de

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