Ausstellungsbesprechungen

Niki de Saint Phalle – Spiel mit mir, Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall, verlängert bis 23. Oktober 2011

Die große Überblicksausstellung betont die Vielseitigkeit der Künstlerin Niki de Saint Phalle, die mit ihren Gemälden, Assemblagen, Schießbildern, Skulpturen und fantastischen Architekturprojekten weltweit Anerkennung erhalten hat. Günter Baumann war in Schwäbisch Hall und hat sich die Ausstellung angesehen.

Selbst für Dauerbesucher der Kunsthalle in Schwäbisch Hall ist der Vorhof, auf dem die Ausstellungsmacher im Dienste des Unternehmers und Kunstsammlers Günther Würth traditionsgemäß – wenn es sich denn einrichten lässt – mit wahrer skulpturaler Größe aufwarten, zur Zeit ein besonderes Erlebnis: Übermächtig und betretbar macht sich dort ein kunterbuntes Krokodilswesen breit, das die Künstlerin Niki de Saint Phalle (1930–2002) geschaffen hat; dieser »Nikigator« entstand wie die Türsteher-Löwen für ein Arche-Noah-Projekt in Jerusalem und fasst zusammen, was man gemeinhin mit Niki verbindet: eine unbändige Einbildungskraft, Farbenpracht und Kommunikationsfreude. Unberührt geht man nicht an dem Drachen vorbei (oder gar durch ihn hindurch), wohl eher mit wohligem Schauer als mit furchtsamem Stirnrunzeln – bei aller Gespensterhaftigkeit, traumatischen Verarbeitungen und all den provozierenden Aktionen (wie den Schießbildern) waren es weniger Angst und Schrecken, die die Künstlerin verbreiten wollte als die lautstarke Verkündung einer Macht fernab politischer Unterdrückung: der Macht der Phantasie, die wiederum manchem Potentaten, ja auch manch konservativem Geist immer schon ein Dorn im Auge war. Darüber hinaus wurde und wird der eine oder andere männliche Zeitgenosse vor der überwältigenden Weiblichkeit im Werk Niki de Saint Phalles sicher rasch ganz kleinlaut. Übrigens auch vor der antiweiblichen Potenz, die in der Schusswaffe kulminiert: »1961 schoß ich auf Papa, alle Männer, kleine Männer, große Männer, bedeutende Männer, dicke Männer, … auf mich selbst, auf Männer«. Die Ziele waren selbstredend fiktiv.

Die bei Paris geborene und in Kalifornien gestorbene Gesamtkunstwerkerin füllt das Würth-Museum mit gut und gern 170 Arbeiten. – Diese garantieren für eine fulminante Überblicksschau mit Gemälden, Plastiken, Grafiken, Bildbriefen und Assemblagen. Es ist ein Verdienst der Kunsthalle, dass nicht nur Werke aus dem Würthschen Fundus zu sehen sind, sondern dass Leihgeber aus den USA und aus Europa dazu beigetragen haben, diese durchweg hochwertige, nahezu lückenlose Übersicht zu präsentieren. Die Popularität von Niki de Saint Phalle reicht wahrscheinlich an die von Picasso heran, zumindest sind ihre berühmtesten Geschöpfe, die drallen, lebensfrohen Nanas, kaum aus dem Gedächtnis zu bekommen. Man muss sich nur vorstellen, dass der Niki/Tinguely-Brunnen vor dem Centre Pompidou einer der geeignetsten Treffpunkte in der Millionenmetropole ist – welches Kunstwerk sonst hat eine solch herausgehobene Funktion? So gesehen kann eine Niki-Retrospektive nicht wirklich Neuland betreten. Doch ist ihr Schaffen mit der puren Lust am Leben freilich nicht charakterisiert. Sowohl ihre kämpferischen Interventionen seit den 1960er Jahren als auch die segensreiche, wenn auch nicht immer harmonische Zusammenarbeit mit Jean Tinguely sind Fundgruben künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten. Die Vita selbst weist Wunden und Traumata (Missbrauch, Psychiatrie usw.) auf, die in den kunstvollen Grotesken wieder auftauchen. Oft drängen sich Märchenbilder auf, die das Böse im Unterbewusstsein bezwingen. Als Betrachter wird man den Eindruck nicht los, als sehe man sich Gegenentwürfen zum Werk einer Frida Kahlo gegenüber – beiden Künstlerinnen ist gemein, dass sie ihr Leben in die Waagschale der Kunst warfen: Kahlo ging daran zugrunde (was an ihrer physischen Fragilität lag), Niki befreite sich; erstere verlief sich – um im Bild des Märchens zu bleiben – im bösen Zauber, letztere wachte erlöst als Prinzessin auf. Die Befreiung zeigte sich letztlich auch im Wandel von der Malerei, die sich parallel zum freien Expressionismus der Gruppe Cobra u.a. mit Psychosen auseinandersetzte, über Aktionen, die die eigene Persönlichkeit und das eigene Geschlecht zum Thema machten, bis hin zu den Plastiken, die sich über das Individuelle souverän erhoben. Ein bewundernswerter Gang von der Psychose zum tiefsinnig-spielerischen Humor. Dass die Ausstellung in Schwäbisch Hall dem frühen Werk eine besondere Note verleiht, schmälert das Gesamtbild nicht, im Gegenteil: Die Geistesgegenwart des reifen und Spätwerks ist mächtig genug, Entdeckungsreisen sind inmitten der Arbeiten aus den 1950er Jahren noch durchaus möglich.

Es muss eine Freude gewesen sein, die Ausstellung vor Ort zu realisieren, wird man doch ständig kreativ beansprucht, d.h., Niki de Saint Phalle lädt dazu ein, ihr Werk im Rahmen der konservatorischen Sorgfaltspflichten tatsächlich zu be-greifen, wenn man nicht sogar angeregt wird, selbst in ihrem Sinne kreativ zu werden: »Spiel mit mir« ist nicht nur eine Floskel oder der Titel eines konkreten Werks. Darüber hinaus taucht man ein in eine Welt des Tarot oder in fremde, etwa indianische Lebenswelten. Was die Welt der Frau angeht, hat Niki de Saint Phalle – einziges renommiertes weibliches »Mitglied« der Nouveaux Réalistes – in der Nachfolge von Paula Modersohn-Becker Tür und Tor geöffnet; spätestens vor ihrem Werk hat sich das vermeintliche Monopol der Männer auf die Kunst erledigt.

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