Porträts

Nora Endlicher. Ein Künstlerporträt

In der Klasse für Malerei, die Erwin Gross, der derzeitige Rektor der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe leitet, ist Nora Endlicher (*1980 in Gingen) eine der wenigen Schülerinnen mit interdisziplinärem Studiengang: Nebenbei studiert sie an der Universität Karlsruhe Germanistik - aus ihrer Sicht bedeutet dies, in zwei Welten zugleich zu leben.

Dass die junge Künstlerin vielseitig ist, wird nicht nur hierdurch, sondern auch aus ihrem Lebenslauf ersichtlich: Nach dem Abitur engagierte sie sich in einem Umweltprojekt in Kalifornien, anschließend arbeitete sie zwei Monate auf einer Farm in Neuseeland. Währenddessen bereitete sie sich mit der Erstellung einer Mappe auf das strenge Auswahlverfahren der Akademie vor.

Nora Endlicher hat Jugendgruppen geleitet und bei Theater- und Tanzprojekten mitgewirkt. Diese sehr unterschiedlichen Aktivitäten lassen sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Ihnen liegt Idealismus zugrunde, die Sehnsucht nach Veränderung der Zustände und natürlich auch die Suche nach einer Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen. Nora Endlicher hat sich die Malerei als Medium erwählt und setzt in ihr eine Vielzahl von Ideen um: Es entstehen Experimente mit Licht, indem sie Spiegel bemalt oder Löcher in die Leinwand schneidet, die sie anschließend mit Transparentpapier und Zeitungsausschnitten überklebt.

In einem Monat entstand ihr neuestes und erstes großformatiges Werk: Auf 150 cm x 150 cm Leinwand wurde mit Acrylfarbe die Grundstruktur festgelegt, mit Tinte und Tusche arbeitete sie Details aus, und mit viel Wasser, das wiederholt auf die auf dem Boden liegende Leinwand geschüttet wurde, erzeugte sie zusätzliche, zufällige Effekte. „Am Anfang steht immer eine Idee, dann passiert alles unwillkürlich“, erläutet Nora Endlicher. „Es ist für mich selbst spannend zu beobachten, wie die Bildidee wächst und sich verändert, wie neue Elemente Einzug halten.“ So wurde hier ein nicht definiertes Autoteil am unteren Bildrand rechts angeordnet, um der Komposition Stabilität zu verleihen. Als Bildidee liegt ein Satz zugrunde: „und der Regen spült unsere Schuld von der Straße, dass wir tanzen können.“ Er füllt das Bildviertel unten links und der Betrachter, auf die Aufnahme von schriftlichen Informationen getrimmt, nimmt ihn zuerst wahr.

Die Malerei wirkt wie eine Illustration des Satzes, da wir als Bildelemente eine Straße im Regen vorfinden und am rechten Bildrand eine tanzende Frau. Im Bildmittelpunkt, auf der vom unteren Bildrand nach oben auslaufenden Straße, befindet sich die skizzierte Rückenansicht einer Person in weiter Ferne. Im Bildviertel oben links ist eine von Wolken verhangene Sonne zu sehen – Licht und Wasser sind Thema und Elemente dieses Bildes. Auch junge Frauen finden sich immer wieder in diesen Werken, die Nora Endlicher im Nachhinein oft an ihre Zwillingsschwester erinnern, zu der sie eine enge Bindung hat.

Die Werke entstehen aufgrund einer Idee, jedoch ohne umfassendes oder fixes Konzept. Die Künstlerin durchbricht im Bild die konventionell geschlossene Raumstruktur, indem sie etwa ein Lichtspiel mit Fenster inszeniert, hinter dessen Glasscheibe Fische schwimmen, sodass die Assoziation mit einem Aquarium nahe liegt. Auch hier wird das Thema Licht und Wasser wieder aufgegriffen – und es bleibt viel Raum für Assoziationen.

Im Augenblick befindet sich Nora Endlicher zu einem Studienaufenthalt in Peru.

Dieses Porträt entstand im Rahmen der von Dr. Kirsten Claudia Voigt geleiteten Übung "Akademie, Atelier, Ausstellung - eine Schreibwerkstatt" im SS 2004 am Institut für Kunstgeschichte der Universität Karlsruhe.

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