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Norbert Schneider: Die antiklassische Kunst. Malerei des Manierismus in Italien, LIT 2012

Keine andere Epoche der Kunstgeschichte war seit jeher so umstritten wie der Manierismus. Abgeurteilt, als Orgie künstlerischer Entgleisungen verdammt, zur Übergangsphase reduziert, für überwunden erklärt und aufs Neue wiederentdeckt, haben sich Generationen von Kunsthistorikern mit dem Phänomen beschäftigt. Ulrike Schuster hat Norbert Schneiders aktuelle Aufbereitung des Themas gelesen.

Der emeritierte Professor für Kunstgeschichte an der Universität von Karlsruhe verfolgte mit seiner Publikation die Absicht, ein praktisches, handliches Studienbuch für Studierende und Lehrende des Faches Kunstgeschichte vorzulegen, das sich ebenso an Angehörige anderer Disziplinen und interessierte Laien wendet. Kurz: ein kompaktes, hilfreiches Überblickswerk im Taschenbuchformat, und als solches wird es sich auch bewähren.

Im Einführungsteil widmet sich Schneider in einer kurzen, aber sehr anschaulichen Darstellung der „Geschichte der Kunstgeschichte“ zum Begriff Manierismus. Die maniera bezeichnete ursprünglich die individuelle Handschrift eines Künstlers, dessen Gabe zum Innovativen im 16. Jahrhundert eine stark nachgefragte Eigenschaft war. Doch bereits in der zweiten Jahrhunderthälfte erhob sich teilweise recht harsche Kritik an den allzu kühnen Kompositionen und übersteigerten Bildschöpfungen. Oft machte seitdem das Wort vom Verfall der großen Renaissancekunst die Runde. Die negative Konnotation hielt bis ans Ende des 19. Jahrhundert an, und bis heute steht der Ausdruck „manieriert“ als Synonym für Gekünsteltes, Überladenes, Gespreiztes etc.

Die kritischen Würdigungen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts standen bezeichnenderweise häufig im Banne der zeitgenössischen Strömungen: man erklärte die Manieristen zu den Vorläufern des Expressionismus, des Surrealismus, der Postmoderne oder sah ihre Werke als Spiegel einer allgemein-menschlichen, existenziellen Befindlichkeit.

Schneiders Darstellung folgt hingegen weitgehend der Auffassung, die sich seit den 1960er Jahren durchgesetzt hatte: die maniera sei als höfisches Ideal zu betrachten, das vor allem an den großen Fürstenhöfen der italienischen Stadtstaaten gepflegt wurde. Im Bereich der Sakralkunst habe sich zudem der Einfluss der Gegenreformation im Ringen um neue Bildprogramme spürbar gemacht.

Der Hauptteil des Buches beschäftigt sich mit einem Abriss der großen italienischen Kunstzentren des Cinquecento. Die systematische Darstellung macht vor allem deutlich, dass dem lokalen Umfeld ebenso ein prägnanter Einfluss auf die zeitgenössische Kunstproduktion zugerechnet werden muss wie den Kunstschaffenden selbst. Nach einer Einführung in geschichtliche und politische Entwicklungen der jeweiligen Stadt oder Region, die natürlich stets unter Einfluss der regierenden Fürstengeschlechtern stand, wendet er sich den prägendsten Künstlerpersönlichkeiten – heimischen wie vorübergehend ansässigen – zu und unterzieht einige ihrer Hauptwerke einer ausführlicheren Bildanalyse.

Erfreulicherweise konzentriert sich die Reise durch die Kunstlandschaften nicht nur auf die großen Zentren und Highlights, sondern macht auch an weniger bekannten Orten Halt, die dennoch ihre lokale Bedeutung behaupten dürfen. Und neben den großen Namen, an denen im Rahmen einer Einführung in die Malerei des Manierismus natürlich kein Weg vorbeiführt, kommen Protagonisten aus der sogenannten zweiten und dritten Generation zur Sprache, die nach der offiziellen Kunstgeschichtsschreibung lange unter dem Verdikt des Epigonentums standen.

Damit wird der Blick frei für die große Varietät der Stilformen im italienischen Cinquecento, wo in Wahrheit zur selben Zeit ausreichend Raum für eine Spät- oder Nachrenaissance in klassischen, wohlproportionierten Formen war, und wo Künstlerpersönlichkeiten wie Tintoretto mühelos das Changieren zwischen „klassischer“ und „antiklassischer“ Manier beherrschten.

Mit der Eingrenzung des Forschungsfeldes auf die italienische Malerei können freilich zwei wesentliche Charakteristika der Perionde nur am Rande gestreift werden: der Siegeszug des Manierismus als „Internationaler Stil“ sowie das der Epoche innewohnende Streben nach dem Gesamtkunstwerk in Architektur, Malerei, Plastik und Kunsthandwerk. Und so sieht sich Schneider gegen Ende seiner Darstellung veranlasst, die Aufmerksamkeit dennoch auf zwei bedeutende Protagonisten außerhalb des Kunstraums Italiens zu richten:

Rosso Fiorentino ist zwar bereits mit seiner Florentier Phase vertreten, aber sein spätes Hauptwerk ist unbestreitbar die Ausstattung der Grande Galerie in Fontainebleau, wo er ein komplexes Programm aus Malerei, plastischem Dekor und Skulptur entwarf. Schließlich aber wäre ein Überblick über die Epoche in jedem Falle unvollständig, würde man Giuseppe Arcimboldo übergehen – der in Italien möglicherweise ein unbedeutender Künstler unter vielen geblieben wäre, hätte ihn nicht der Ruf nach Prag ereilt, wo er mit seinen wunderbaren, bizarren Porträts nachgerade zum Markenzeichen des Manierismus avancierte.

Die Redaktion und das Layout des Buches stellen allerdings kein großes Ruhmesblatt dar. Die Schwarz-Weiß-Abbildungen sind zumeist von eher mittelmäßiger Qualität und oft nur sehr kleinformatig, was ein Nachvollziehen der detaillierten Bildbeschreibungen mühsam gestaltet. Der Text selbst hätte ein aufmerksameres Lektorat verdient, denn selbst die beigelegten Errata konnten nicht alle Druckfehler tilgen. Das unfreiwillige Gendering der italienischen Ordensgeistlichen in »Frau Bartolommeo« und »Frau Gregorio« zeigt mehr als deutlich, dass man hier nicht am falschen Platz sparen sollte. Doch solche Eindrücke sollen nicht das gesamte Werk überschatten.

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