Ausstellungsbesprechungen

Nützliche Natur – Die Landwirtschaft im Blick der Kunst, Kunstmuseum Hohenkarpfen, bis 17. Juli 2011

Seit Jahrtausenden macht sich der Mensch die Natur nutzbar, indem er sie kultiviert und bewirtschaftet. Welche ästhetischen Motive und Formen Künstler seit Jahrhunderten diesem Thema abgewinnen und wie sie ihm in ihren Bildern Ausdruck verleihen (wie etwa in romantischen Idyllen im 19. Jahrhundert oder in kritischen Dokumentationen im ausgehenden 20. Jahrhundert) präsentiert die Ausstellung exemplarisch anhand ausgewählter Beispiele vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Günter Baumann hat sich die Schau für PKG angesehen.

Eines der letzten Tabus innerhalb der Kunstgeschichte nach 1945 scheint gebrochen zu sein: Das ländliche oder gar bäuerliche Leben fand motivgeschichtlich kaum mehr statt, was angesichts des Blut-und-Boden-Wahns in Zeiten des Nationalsozialismus nicht verwundert. Darüber hinaus schwankte der Fokus nach dem Ende der Diktatur nicht nur zur absolut unverdächtigen abstrakten Kunst hin, sondern der Markt konzentrierte sich auf die Städte, die sich im Laufe der Zeit immer deutlicher vom Land distanzierten. Zwar kehrte die Landschaft als Thema der Kunst alsbald wieder zurück, und auch die Natur fand als Gegenentwurf zum stressbeladenen städtischen Leben ein stetig wachsendes Interesse, doch die bäuerliche Natur, die Landwirtschaft, blieb eine terra incognita.

Mit einer famosen Überblicksschau holt sich das Museum Hohenkarpfen dieses unbekannte oder besser gesagt: vergessene Stück Land ins Museum zurück. Freilich betreten sie nicht gänzlich Neuland – in Landgasthöfen prangten immer rechte »Bauernschinken« mit eggenden Landwirten oder schwerfällig übers Feld stapfenden Kühen; in verschiedenen Auktionshäusern fanden immer auch ländliche Motive neben der klassischen Moderne ihre Abnehmer. Und einige regionale Museen leisteten in der Tat Pionierarbeit, brachten beachtliche Künstler zutage, die irgendwann einmal über den Zeitgeist gestolpert waren. Anton Braith oder Christian Mali etwa gehörten dazu, deren Idyll sich im Schatten des deutschen Impressionismus entwickelte, und die das Lob des Landlebens mit bravem, aber technisch brillantem Pinselstrich anstimmten, während Christian Landenberger sich in seiner Freiluftmalerei bisweilen sogar ganz französisch gibt. Die zwei Maler gehören zur Schau »Nützliche Natur«, die in dem oberschwäbischen Kunstmuseum bei Hausen ob Verena – poetischer kann sich ein Ort kaum empfehlen wie mit einem solch schönen Namen – im Landkreis Tuttlingen gastiert.

Hat man sich auf das Thema erst einmal eingestimmt, folgen die Entdeckungen Schlag auf Schlag: Theodor Schüz obenan, der ein fabelhaftes Licht über seine Bauernhoflandschaften legt, Albert Kappis, der die Segnungen der Technik im landwirtschaftlichen Betrieb thematisiert, oder der hinlänglich bekannte Heinrich von Zügel, mit dem wir uns daran erinnern, dass der Spätrealismus sich doch gar nicht so weit aus unserem Bewusstsein schlich, wie es den Anschein hatte. Natürlich kommt die Ausstellung nicht an traditionellen Genrebildern, vorwiegend aus dem 19. Jahrhundert vorbei, die zweifellos auch die dumpfen Schollen-Verehrer erfreuten, und die 1930er Jahre sind am extremsten durch Hans Dieter repräsentiert. Aber was hier sonst aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts versammelt ist, macht Lust auf mehr Naturbewusstsein: die neue Sachlichkeit ist vertreten durch Paul Kälberer und Rudolf Schlichter, der moderne Realismus findet in Leopold Graf von Kalckreuth einen beeindruckenden Vertreter, expressive Töne senden Alfred Wais, Erich Heckel, Karl Caspar und Jakob Bräckle aus – letzterer wendet sich nach 1945 in einer faszinierenden Konsequenz mehr und mehr einer abstrahierten Malweise zu, die den Bogen bis in die Gegenwart spannt. Die Moderne ist ohnehin grandios besetzt, ein Zeichen, dass es höchste Zeit war, das Thema des ländlichen Genres von dem Mief zu befreien, den es nicht verdient hat.

Otto Dix, dessen Spätwerk oft belächelt worden ist, zeigt sich hier ganz neu, findet seinen Platz neben HAP Grieshaber genauso wie neben Erwin Henning, die in der Region schon besser verankert sind. Werner Rohland widmet sich dem Thema im Stil der Art brut, während Robert Häuser zeigt, was fotografisch in dem Thema steckt – die Bandbreite könnte nicht vielfältiger sein. Schließlich bringen erstrangige Gegenwartskünstler die »nützliche Natur« an die Tagesordnung des Kunstschaffens, wie beispielsweise Peter Weydemann, dessen Linolschnitte aus der »Ländlichen Folge« zum besten gehört, was die Schau zu bieten hat – , Ralph Fleck, Gabriela Gerber mit Lukas Bardill oder, last not least, Daniel Bräg mit seinen Naturobjekten.

Selten wurde die Auseinandersetzung mit der Agrarkultur so vielfältig präsentiert wie in dem zwar entlegenen, aber unbedingt sehenswerten, da auch denkmalgeschützten Ökonomiebetrieb innerhalb eines altwürttembergischen Meierhofs am Rande des Hohenkarpfen.

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