Das vorliegende Buch gibt Antwort auf eine Reihe von Fragen, die sich jeder Kunstinteressierte schon einmal gestellt hat: Was geschieht eigentlich in jenen High-Tech-Laboratorien, die uns immer wieder in den Dokumentarfilmen präsentiert werden? Wie gehen die Experten vor, wenn sie die Echtheit eines Artefakts überprüfen wollen? Ulrike Schuster hat sich die Antworten bereits abgeholt.
Die Erläuterungen kommen von berufener Seite: Horst Czichos ist emeritierter Leiter der deutschen Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Oliver Hahn leitet die dortige Arbeitsgruppe für Kunst- und Kulturgutanalyse. Gemeinsam werden sie im Klappentext als High-Tech-Detektive vorgestellt, was in diesem Fall jedoch nicht zu hoch gegriffen ist. Und es ist auch nicht der erste Streich, denn es handelt sich bei dieser Ausgabe um die überarbeitete und aktualisierte Neuauflage der (beinahe) gleichnamigen Publikation von Horst Czichos aus dem Jahr 2002.
Die Lektüre selbst erweist sich als wohltuend sachlich, präzise und fernab von marktschreierischen Superlativen. Das Hauptaufgabengebiet der Spezialisten der BAM besteht in der Analyse von Materialien und Herstellungstechniken von historischen Objekten. Die Frage nach Authentizität oder Fälschung eines Artefakts stellt in diesem Zusammenhang nur ein Teilgebiet der Forschungsarbeit dar. In erster Linie geht es den Experten darum, durch exakte Untersuchungen der materiellen Beschaffenheit von Kunstwerken Aufschlüsse über notwendige Konservierungs- beziehungsweise Restaurierungsmaßnahmen zu erhalten.
Das erste Kapitel ist einer Reihe von historischen Fertigungstechniken gewidmet. Man erfährt viel Wissenswertes über antiken Bronzeguss, Damaszener Stahl und die Zusammensetzung von Pigmenten, sowie einen ersten Hinweis in Bezug auf mögliche Fälschungen: Oftmals können bereits das Herstellungsverfahren und die Verwendung der Materialien Auskunft über die Entstehungszeit eines Kunstwerks geben.
Der zweite Abschnitt vertieft sich in der Materialforschung und zeigt ein kleines Spektrum der faszinierenden Erkenntnisse, die sich den Forschern in ihrer täglichen Arbeit bieten. Bei der Erforschung der berühmten Himmelsscheibe von Nebra konnte man feststellen, dass dieses bedeutende Fundstück aus der Bronzezeit in drei zeitlich distanzierten Arbeitsschritten gefertigt wurde. Im Falle der Schriftrollen vom Toten Meer soll eine Analyse der Tinten erweisen, ob die Schriften vor Ort entstanden oder fallweise auch aus anderen Landesteilen stammen. Die Silberstiftzeichnungen von Albrecht Dürer wurden auf die Zusammensetzung der verwendeten Stifte hin untersucht. Aus den wechselnden Anteilen von Silber, Kupfer und Zink lassen sich Werkgruppen ermitteln – und möglicherweise sogar private Einblicke in Dürers Biographie gewinnen.
Die folgenden beiden Kapitel setzen sich mit Fragen der Wiederherstellung und der Konservierung von Kulturgütern auseinander. Die Autoren demonstrieren, wie sie per Computertomografie den Schädel eines Neandertalers zusammensetzen und den verlorenen Kopfschmuck der ägyptischen Königin Teje rekonstruieren. Aber die BAM ist auch maßgeblich in die Restaurierung von Architekturdenkmälern involviert. Ihre Materialanalysen bildeten die Basis zur Wiederherstellung des Deutschen Doms am Gendarmenmarkt, des Charlottenburger und des Brandenburger Tors, des Alten Museums und vieler weiterer bedeutender Bauten in und rund um Berlin.
Gleichzeitig berichten die Autoren darüber, wie falsche Konservierungsmaßnahmen fatale Folgen nach sich ziehen. So am Beispiel der dramatischen Korrosionen an barocken Emailpretiosen: Dieses Phänomen ist noch sehr jung, doch sind seit den letzten 20 Jahren Sammlungen in aller Welt davon betroffen. Als Ursache konnte nunmehr ein schädliches Mikroklima innerhalb der Vitrinen ausgeforscht werden.
Im letzten Abschnitt schließlich setzen sich Hahn und Czichos, wie im Titel versprochen, mit der Frage von etwaigen Fälschungen auseinander. Dabei halten sie jedoch fest, dass materialtechnische Analysen zwar den Nachweis der Falsifikation erbringen können, nämlich dann, wenn der Fälscher auf Materialen zurückgegriffen hat, die erst nach dem Entstehungsdatum des vermeintlichen Originals Verwendung fanden.
Umgekehrt ist es aber nicht möglich, die Verifikation eines Artefakts vorzunehmen, wenn die Materialien dem zeitgenössischen Gebrauch entsprechen. So ist es vergleichsweise einfach, den vermeintlichen Rembrandt aufgrund der verwendeten Grün-Pigmente als Werk des 19. Jahrhunderts zu identifizieren. Wie aber ist die Arbeit eines Rembrandt-Schülers einzustufen, wo möglicherweise der Meister selbst noch korrigierend Hand anlegte? Bei solchen Fragestellungen reicht die materialwissenschaftliche Methodik allein nicht aus – wir hören es mit Erleichterung, denn so dürfe der kritische Blick des Kunsthistorikers auch in Zukunft nicht gänzlich obsolet sein.
Fazit: Es muss nicht immer Fälschung sein. Die mit zahlreichen Abbildungen aus der Praxis der beiden Kunstdetektive ausgestattete Publikation liest sich auf jeder Etappe spannend und vermittelt tiefe Einblicke. Sie fördert das Verständnis für den richtigen Umgang mit Kunst- und Kulturgütern – und öffnet damit hoffentlich bei vielen Leserinnen und Lesern den Blick für die Besonderheiten und die Authentizität unseres kulturellen Erbes.