Ausstellungsbesprechungen

Otto Steinert & Bernd Lieven, Fotosynthesen 2008

Die vor vier Jahren begonnene Ausstellungsreihe „Fotosynthesen“ findet auch in diesem Jahr in der Studiogalerie des Saarlandmuseums ihre Fortführung. Das Thema? Industrie und Landschaft. Die Fotografen? Otto Steinert (1915-1978), der Vater der subjektiven Fotografie und Bernd Lieven (geb. 1962), Meisterschüler von Professor Karl Marx.

Das Anliegen dieser – und das sei vorweggenommen – hervorragenden Präsentation ist das Aufzeigen der Verbindungslinie zwischen zwei auf den ersten Blick recht verschieden anmutenden fotografischen Positionen.

Auch wenn die Werke mit bisweilen unterschiedlichen Inhalten gefüllt sind, so kann nicht geleugnet werden, dass die künstlerische Annäherung an das Sujet „Industrie und Landschaft“ zu einer interessanten, vor allem aber fruchtbaren Wechselbeziehung führt.

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Bernd Lieven, Bug I, 2000, 90 x 130 cm, Öl auf Photoleinen © VG Bild-Kunst, Bonn 2008

Der Weg in die Studiogalerie führt den Besucher über Treppen hinab in eine fensterlose, puristisch gestaltete Architektur, die sich als Ort der Stille und Kontemplation präsentiert: weiße Wände, neun Vierkantpfeiler, die eine klare, geometrische Struktur des Raumes vornehmen sowie das kühle Licht, das dem Betrachter die 32 Arbeiten Steinerts und Lievens auf den ersten Blick entrückt, bisweilen sogar unwirklich erscheinen lässt. In dieser Atmosphäre nun kann der Betrachter die in die ästhetischen Fotoarbeiten eingefangenen Industrielandschaften, beziehungsweise deren Relikte, neu entdecken. Denn in einem Land, das mehr als 150 Jahre von der Industrialisierung geprägt wurde, und in einer Zeit, in der bereits viele Anlagen der Schwerindustrie entweder geschlossen und abgerissen sind oder ihre Ruinen in Denkmäler verwandelt wurden, ist es von großem Interesse, sich mit dem Wandel des Bildes der Industrie in der Kunst auseinanderzusetzen.

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Otto Steinert schlug in den 1950er Jahren mit seinen Industrielandschaften einen neuen Weg ein und distanzierte sich damit, so Roland Augustin in seinem informativen Katalogbeitrag, „von den technikeuphorischen Ansätzen der Industriefotografie seiner Vorgänger in den 1920er und 30er Jahren.“ Steinert wendete sich dabei kritisch gegen die – beispielsweise im Futuristischen Manifest propagierte – Verbindung von Technik und Krieg. Mit seiner subjektiven Fotografie stellte er diesem Programm eine „vermenschlichte, individualisierte Fotografie“  [Otto Steinert, in: subjektive fotografie] entgegen.
 

Die Arbeiten Steinerts kommen langsam, auf leisen Sohlen daher und vermitteln, wie Roland Augustin es pointiert formuliert, „eine statische Eleganz“. Die Funktion des Dargestellten spielt keine Rolle, so dass Motive wie Hochspannungsleitungen ihrer technischen Funktion enthoben werden und sich in strenge, ästhetische Ordnungssysteme auflösen.

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Otto Steinert, Kraftwerk Bexbach, 1953, 45,7 x 54,5 cm,
Silbergelatinepapier
© Stefan Steinert, Essen

Zudem verfremdet der Fotograf seine Motive oft mittels experimenteller Techniken, wie etwa dem Abzug einer Fotografie von einem Diapositiv. Das Resultat ist ein Negativbild mit umgekehrten Tonwerten. Ein wunderbares Beispiel stellt die Arbeit „Kraftwerk Bexbach“ aus dem Jahr 1953 dar, die in sich ruhend, von einer klaren Struktur zeugt. Beinahe majestätisch erwächst eine diagonal ins Bild gesetzte, weiße Architektur vor einem tiefschwarzen Himmel. Als Betrachter werden wir über jene hell erstrahlende Rampe förmlich ins Bild hinein gezogen, das sich als subjektive Inszenierung feiert und uns in seiner abstrakten Formensprache zu Assoziationen anregt.

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In der Arbeit „Schlammweiher 2“, die im selben Jahr entstanden ist, konzentriert sich Otto Steinert zusehends auf die sinnliche Erscheinung des Dargestellten, indem er das Augenmerk weniger auf die technische Industrieanlage als vielmehr die sich davor erstreckenden Schlieren legt, die in ein facettenreiches Spiel aus Grautönen eingebunden sind. Die Industrie, die derart in die Natur eingreift wird also keineswegs hymnisch besungen, sondern birgt ein ausgesprochen kritisches Potential. „Den Inhalt“, so Roland Augustin, „den die Bilder Steinerts vermitteln, bestimmen nicht die dargestellten Gegenstände, sondern der künstlerisch angetriebene Fotograf.“ Zugleich wird das Naturbild als Antipode zum Bild der Industrie auf den Plan gerufen. Während der Fotograf in seinen Naturaufnahmen, beispielsweise in „Die Bäume vor meinem Fenster“ aus dem Jahr 1956, den Wandel der Jahreszeiten mit ihrem Werden und Vergehen thematisiert, vermitteln die Industrielandschaften zumeist die Unterdrückung und Verdrängung des Natürlichen. „Steinerts Industriekritik, seine Formulierung der Industrie als Metapher für Krieg und Lebensfeindlichkeit, seine Gleichsetzung von Industrie mit der ‚Naturruine’ deutet bereits sehr früh schon eine Kritik des ‚Projekts Moderne’ an.“ [Roland Augustin]
 
Mehr als ein halbes Säkulum später entwirft Bernd Lieven großformatige, farbig übermalte Fotoarbeiten, die Industrieanlagen während des Abrisses zeigen. Bisweilen erinnern diese Werke an die Trümmerfotografie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, würde Lieven sie nicht auf Fotoleinen vergrößern. In einer Zeit, in der man damit beschäftigt ist, die Hinterlassenschaften der Industrie zu beseitigen, findet der Fotograf seine Motive: Industrieruinen, deren ästhetische Reize erst während ihres Verschwindens entstehen. Dann greift Bernd Lieven – und dies ist sein künstlerischer Ansatz – zu sanften Farbtönen, die dazu beitragen, dass die fotografische Gegenwart ihrer kurzen Dauer enthoben und in die malerische Überzeitlichkeit überführt wird. Es ist die Sehnsucht nach eigenem, subjektivem Ausdruck, den Lievens Fotoarbeiten mit jenen von Otto Steinert verbindet. Beiden Künstlern geht es, so Augustin, „jedoch nicht um einen Akt der Dominanz entweder der Fotografie oder der Malerei, sondern vielmehr um eine Spannung von Subjektivität und Objektivität, von malerischem und fotografischem Prinzip.“ 

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Bernd Lieven City of Ambition , 2001, 80 x 220 cm, Öl auf Photoleinen © VG Bild-Kunst, Bonn 2008

Bernd Lievens fotografischen Arbeiten attestiert Roland Augustin in seinem Katalogbeitrag einen „auf die Spitze getriebenen romantisierende[n] Ansatz“, der „auf den sichtbaren Spuren des Industrieschwundes in der Wirklichkeit“ basiert. Lievens Übermalungen, die das Dargestellte wie unter einem wächsernen Film in ihrer Strahlkraft dämpfen, lösen die Bindung der Fotografie an einen spezifischen Ort und einen bestimmten Zeitpunkt auf. In der Arbeit „City of Ambition“ aus dem Jahr 2001 etwa begegnet uns die von rechts und links auf das Bildzentrum zulaufende, brachliegende und dem Zerfall preisgegebene Industriearchitektur. Umgeben von trostloser, kahler Landschaft thematisiert dieses großformatige Werk, das im Ausstellungsraum einen surrealen Zug erhält, das Verschwinden einer die Geschichte der beiden vergangenen Jahrhunderte prägenden wirtschaftlichen Erscheinungsform.
 
Das Saarlandmuseum überzeugt mit der Ausstellung „Fotosynthesen – Industrie und Landschaft“ sowohl durch stimmungsvolle Präsentationsräume, einen einfühlsamen, klar strukturierten Aufbau als auch mit einer hochkarätigen Werkwahl, die einen intensiven, spannenden Dialog bewirkt. Fazit: Ein bemerkenswerter Kunstgriff, der eine fruchtbare Wechselbeziehung zwischen einer fotografiegeschichtlichen Koryphäe und einem wunderbaren Fotografen der Gegenwart hervorbringt!
 

Weitere Informationen

Öffnungszeiten:
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 10-18 Uhr
Mittwoch 10-22 Uhr
 
Führungen:
sonntags 15 Uhr
 
Eintritt:
1,50 € ermäßigt: 1,00 €
samstags freier Eintritt 

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