Ausstellungsbesprechungen

Otto Weil. Die zwanziger Jahre

In der Jubiläumsausstellung zum 125. Geburtstag und 80. Todestag von Otto Weil empfängt die Städtische Galerie Neunkirchen bis 10. Mai 2009 die Ausstellungsbesucher mit einer groß angelegten Präsentation eines zu Unrecht in Vergessenheit geratenen saarländischen Künstlers. Vielseitig, sensibel, rückwärts gewendet und zukunftsorientiert zugleich sind Otto Weils Arbeiten ein eindringliches Seherlebnis, von dem sich unsere Autorin Verena Paul überzeugen konnte.

Mit „Otto Weil. Die zwanziger Jahre“ empfängt die Städtische Galerie Neunkirchen bis 10. Mai 2009 die Ausstellungsbesucher mit einer groß angelegten Präsentation eines zu Unrecht in Vergessenheit geratenen saarländischen Künstlers. Anhand von rund 60 Gemälden, Aquarellen, Radierungen und Zeichnungen, wird uns Einblick in noch nicht gezeigte Facetten von Weils Schaffen gewährt. Die Ausstellung beleuchtet, wie Nicole Nix-Hauck in ihrem Vorwort zum Katalog schreibt, „die wichtigste Werkphase des Malers […] mit Blick auf seine freie, auftragsunabhängige Kunst, in der sich auch persönliche Vorlieben und Sichtweisen, Spontaneität und Experimentierfreudigkeit artikulieren.“

Dass Otto Weil ein Kind seiner Zeit war – einer Zeit umfassender gesellschaftlicher, politischer und kultureller Umbrüche –, beweist neben seiner „am Spätimpressionismus orientierte[n] Gestaltungsweise, die pleinairistisch und traditionell-akademische Stilelemente vereint“ und zugleich „avantgardistische Tendenzen aufgreift“ [Nix-Hauck], die Vielfalt seiner Motive. Dabei reicht die Spannbreite von Landschafts- und Industrieansichten, der Darstellung arbeitender Menschen bis hin zu Porträts, die die Städtische Galerie Neunkirchen in einem spannungsvollen Wechselverhältnis zu präsentieren weiß.

Im Parterre der Galerie wird dem Besucher das Lebensgefühl der zwanziger Jahre vor Augen geführt. Hier finden sich Darstellungen von Straßen- und Cafészenen, Szenen von Flanierenden in Parks, von Badenden oder die Bildnisse von Personen, deren Habitus vom Charme der „goldenen Zwanzigern“ getragen ist. Neben den gesellschaftlichen Ereignissen sind es in diesem Ausstellungsraum primär die Porträts, die dem Puls der Zeit entsprungen sind, etwa die „Dame mit Hut und Pelzmantel“ aus dem Jahr 1924. Dieser in einem dunklen Braun gekleideten Frau haftet noch das Mondäne der Jahrhundertwende an, so dass sie an der Schnittstelle zwischen Kaiserreich und Republik, zwischen Kämpfen der Frauenbewegung und ersten Erfolgen der Frauenemanzipation verortet werden kann. Damit hat Weil ein beachtliches Werk geschaffen, das neben dem Gespür für historische Umwälzungen besonders durch das außerordentliche Können bei der Figurengestaltung – insbesondere der subtilen Modellierung des Inkarnats in der Gesichtspartie – beeindruckt.

Das in der Nachbarschaft zu Otto Weils Selbstbildnis positionierte Porträt seiner Frau Johanna weist allerdings noch entschiedener in die Zeit der Weimarer Jahre. Signum dessen sind die Kleidung, der kecke Kurzhaarschnitt sowie die malerische Gestaltungsweise, die Anklänge der Neuen Sachlichkeit erahnen lässt. Das Image der Neuen Frau, die mit Bubikopf, Zigarette und kurzem Rock oberflächlich und auf Konsum fixiert ab Mitte der zwanziger Jahre das Straßenbild der Großstädte prägte, war mehr als ein „Zerrbild weiblicher Modernität“, das – wie Ute Frevert es formuliert – der „Projektion männlicher Zeitgenossen entsprang. Es war ein sozialer Habitus, der von Fremd- und Selbstwahrnehmungen, von Realität und Wunschbildern geprägt wurde und ein Lebensgefühl verkörperte, das den spezifischen Erfahrungen der Moderne aus der Perspektive von Frauen einer bestimmten Generation entsprach.

Überspitzt beschreibt Anita Daniel 1928 in der Zeitschrift Die Dame die moderne Frau als „eine Art Weltwunder“, die alles kann. In einer Ausgabe von 1930 wurden an jene Frau die folgenden Vorstellungen geknüpft: „Sie muß weiblich sein und energisch und selbständig […] gut angezogen sein, mit Geschmack flirten können und einer berühmten Schauspielerin ähnlich sehen […] Kinder? Natürlich auch Kinder! Zwei zumindest. Gerade als Mutter beweist sie die moderne Frau – neue Erziehungsmethoden, Individualpsychologie – überhaupt ist Bildung sehr wichtig. Eine Frau, die sich keinen geistigen Kreis schaffen kann, ist reizlos. Sie muß ein Mittelpunkt sein und Anregungen geben – allerdings dürfen die Männer das nicht merken. Es enterotisiert nämlich, wenn eine Frau zu klug ist und erotischer Charme ist doch das Mindeste, was man von einer gescheiten Frau erwarten kann. Und bitte noch eins – nicht so stark schminken.“

Die wohl imposanteste Arbeit Weils in diesem Themenkreis ist die Kreidezeichnung „Frau mit schwarzer Kappe“ von 1928. Neben der leichten, fließenden Linienführung, den sich auflösenden Konturen, die den skizzenhaften Charakter unterstreichen, überzeugt vor allem die Wiedergabe der Frau, die kokett in einem Sessel sitzend, die Hände selbstbewusst auf den übereinander geschlagenen Beinen ruhend, den Betrachter lächelnd anblickt. Umgeben von städtischer Lebenswelt werden die Porträts dieses Ausstellungsraums zu einem authentischen Zeugnis sowohl von Otto Weils künstlerischem Rang als auch der kulturhistorischen Ambivalenz von der Beschwörung einer retrospektiven Idylle und dem modernen Freiheitsstreben.

Im ersten Obergeschoss steht zunächst das Thema Arbeit im Fokus: Ernteszenen wie das Werk „Apfelernte“ um 1925, Plakatentwürfe für das einstige Neunkircher Kaufhaus Levy, Szenen vom Neunkircher Hüttengelände oder das wohl letzte großformatige Ölgemälde Weils „Sandgrube in Holzhausen“, das um 1928 entstanden ist, finden hier ein spannendes Wechselverhältnis. Gerade das Ölgemälde, das sich in seiner Gegenständlichkeit weitestgehend „freischwimmt“, wurde vom Maler in einem Gespräch mit seinem Sohn als ein Wendepunkt in seinem künstlerischen Schaffen bewertet. Hier glaubte er nun endlich „seinen“ Stil gefunden zu haben, der sich vom unterschwelligen Stilpluralismus löst und zu einem eigenen, abstrakt-expressiven Pinselduktus findet.

Im zweiten Ausstellungsraum auf dieser Etage begegnen uns Zeichnungen, die sowohl die Tochter Hanna Maria im Kleinkindalter als auch humoreske Kneipen- und Tierszenen zeigen. Hier gelangt Weil zu einer beeindruckenden Freiheit in der schnellen Strichführung und er entdeckt in Ansätzen die Möglichkeit der Karikatur, die dem Gezeichneten mit Hilfe von Sprache einen ironischen Unterton gibt.

Beim Gang durch das Treppenhaus gelangt der Besucher, vorbei an dem mit beeindruckender Verve zu Papier gebrachten Aquarell „Am Strand“, ins zweite Obergeschoss, das sich ganz dem Thema Landschaft und Familienleben widmet. Hier empfängt uns zunächst am Treppenabsatz Anna Barbara Speckner in dunkelrotem Kleid (die Schwester von Johanna Weil), die umgeben von Szenen am Wasser, das erste von insgesamt drei großformatigen privaten Porträts bildet. Jene leuchtend grünen Wälder, das Funkeln des Wassers, die bunt gekleideten Frauen bei der spätsommerlichen Heuernte, die nackten Badenden bilden mit den Porträts einen gleichsam anregenden Dialog wie die Winterszenen, die die Ausstellung harmonisch ausklingen lassen. Es ist sowohl das Wechselspiel der Jahreszeiten als auch der Generationen, was paradigmatisch in „Tochter Hanna Maria mit Katze“ (um 1926/27) und „Johanna Weil“, das um 1925 zu datieren ist, zum Ausdruck gebracht wird.

Die Städtische Galerie Neunkirchen überzeugt mit „Otto Weil. Die zwanziger Jahre“ durch eine subtile, klar strukturierte Hängung in atmosphärischen Räumlichkeiten und durch spannendes Infomaterial (etwa der übersichtliche Lebenslauf im Eingangsbereich oder das Foto- und Tagebuchmaterial im zweiten Obergeschoss). Weiterhin ist eine geschickte thematische Kombination gelungen, die sowohl Spannungs- als auch Ruhepole zulässt und auf diese Weise die Neugierde des Betrachters weckt. Fazit: Vielseitig, sensibel, rückwärts gewendet und zukunftsorientiert zugleich, wach und bisweilen verrätselt sind Otto Weils Arbeiten ein eindringliches Seherlebnis, das es zu ergründen, vor allem aber zu genießen gilt!

Katalog

Der in einer Auflage von 400 Exemplaren erschienene Katalog „Otto Weil. Die zwanziger Jahre“ wird den Leser einerseits durch das informative Vorwort Nicole Nix-Haucks und den wissenschaftlich fundierten Beitrag Dorothee Kunkels ansprechen. Andererseits gelingt es der Publikation durch eine sehr gute Qualität der Abbildungen zu überzeugen, die selbst im kleinen Format die Faszination der Originale zu transportieren vermögen. Auf 36 Seiten versteht das Katalogwerk den Betrachter in einen inspirativen Dialog mit den Werken eines Künstlers zu verwickeln, der seiner saarländischen Heimat stets treu geblieben war, jedoch nicht davor zurückscheute, den Blick über die Landesgrenzen hinaus zu werfen.

Informationen

Öffentliche Führungen (kostenlos) finden am Sonntag, 22. März sowie am Sonntag, 26. April, jeweils um 15 Uhr statt.

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