Buchrezensionen

Paul Cézanne: Ausstellung Paris 1907, besucht, betrachtet und beschrieben von Rainer Maria Rilke. 57 Gemälde und Aquarelle von Paul Cézanne und 33 Briefe von Rainer Maria Rilke. Rekonstruktion der Cézanne-Ausstellung im Grand Palais, Schirmer/Mosel 2018

Es ist ein wahrhaft barocker Titel, der den Inhalt des schlanken und schönen Bandes mit größtmöglicher Genauigkeit umschreibt. Dabei geht es doch gar nicht um Barockkunst, sondern um den möglichen Nullpunkt der modernen Malerei, um die Paul Cézanne gewidmete Gedächtnisausstellung 1907 in Paris. Stefan Diebitz hat den Band gelesen.

57 Bilder präsentierte die Ausstellung, von denen immerhin 43 identifiziert und in dieses Buch aufgenommen werden konnten. Es versteht sich, dass es sich nicht um Nebenwerke gehandelt hat, denn schließlich ging es darum, einen verstorbenen Meister zu ehren. Aber leider sind keine Fotografien der Ausstellung vorhanden, sondern ist nicht mehr als ein Katalog mit den Bildtiteln überliefert, so dass es bei immerhin 14 Bildern dieses Bandes unsicher bleiben muss, ob sie damals tatsächlich in Paris gezeigt wurden. Dieses Buch, eigentlich ein posthumer Katalog, zeigt trotzdem 57 Gemälde, und sie tragen wirklich die im Katalog genannten Titel, aber es ist trotzdem unsicher, ob sie dazugehörten, wie Bettina Kaufmann in einem kurzen Beitrag darlegt.

Den Reiz des Buches macht natürlich das Nebeneinander von Briefen und Bildern aus. Bereits 1952 hatte Clara Rilke im Insel-Verlag die an sie gerichteten »Briefe über Cézanne« ein erstes Mal herausgegeben, aber in den Worten Kaufmanns nur ergänzt »durch acht beliebig gewählte Illustrationen von Cézanne«, so dass von einer Dokumentation der Ausstellung noch keine Rede sein konnte. Das eben ist jetzt anders, denn dieser Katalog dürfte mehr oder weniger der Ausstellung des Jahres 1907 entsprechen; oder dieses Buch hätte doch ein solcher Katalog sein können.

Ob in dem Band von 1952 schon die beiden Briefe an Paula Modersohn-Becker enthalten gewesen sind, weiß ich nicht. Sie unterscheiden sich deutlich von den Briefen von Clara, enthalten aber ebenfalls einige Bemerkungen über Cézanne, deren sprachliche Schönheit auf ihren Autor hinweisen. Fast schildert Rilke die Aquarelle wie ein Klavierspiel: »Aber die Aquarelle […] sind sehr schön. Ebenso sicher wie die Bilder und ebenso leicht als jene massiv sind. Landschaften, ganz leichte Bleistiftumrisse, auf die nur da und dort als Nachdruck, als Bestätigung gleichsam, ein Zufall von Farbe fällt, eine Reihe von Flecken wunderbar angeordnet und von einer Sicherheit im Anschlag –.« Einer der Briefe an Modersohn-Becker ist auch abgebildet, und so kann man sich an einer außergewöhnlichen und noch dazu lesbaren Handschrift erfreuen.

Rilke ist den Bildern Cézannes schon vor dem Spätsommer 1907 begegnet, wahrscheinlich bei Cassirer in Berlin, und wie man aus den Briefen an seine Frau erfährt, haben sie ihn auch beeindruckt. Aber erst 1907, als er als Sekretär Auguste Rodins in Paris lebt, entdeckt er das Werk des Malers für sich und beginnt es wirklich zu verstehen. Für eine Weile besucht er die Ausstellung täglich, die er dann in seinen ebenfalls täglichen Briefen zumindest anfangs nicht etwa beschreibt und abschildert. Denn zwar steht der Autor ganz unter dem Eindruck der Ausstellung und verschweigt auch nicht das Faktum seiner Besuche, aber schreibt doch mehr über van Gogh oder über das Wetter. Vor allem aber über sich selbst, den er als »du« anspricht. »… wie sehr ist anderswo sehen und arbeiten verschieden: Du siehst und denkst: später –. Hier ist es fast dasselbe. Du bist wieder da: das ist nicht verwunderlich […]: es ist nicht einmal ein Fest, denn ein Fest schon wäre eine Unterbrechung.«

So geht es weiter – immer wieder auch im schönsten Rilke-Sound, so dass man sich manchmal an seine Gedichte erinnert fühlt, besonders an »Das Stunden-Buch«, und es dauert eine ganze Weile, bis das erste Mal auch nur der Name des Malers fällt. Im zweiten Brief wird der für Rilke sehr wichtige van Gogh erwähnt, im dritten Rodin, aber immer noch nicht Cézanne. Am 13. September schreibt er über ein wenig Heide, die ihm Clara geschickt hat, und zeigt in seiner Beschreibung der Farbe wie des Duftes, dass er wirklich ein Dichter ist; aber von Cézanne ist immer noch nicht die Rede, auch wenn man vielleicht schon vorbereitet wird auf das, was er über die Farbigkeit von dessen Bildern sagen wird: »Sieh die Farbigkeit des Grüns, in dem ein wenig Gold ist, und das sandelholzwarme Braun der Stämmchen und die Bruchstelle mit ihrem neuen, frischen, inneren Kaumgrün«. Er schreibt hier über die Heide!

Erst im dreizehnten Brief fällt der Name des großen Malers ein erstes Mal, und von da an geht es wirklich um ihn. »… heute wollte ich Dir ein wenig von Cézanne erzählen«, so beginnt Rilkes Erzählung vom Leben des Malers. Er spricht natürlich auch den Mont Victoire an, schreibt aber generell nicht besonders viel über die Motive. In dieser Hinsicht bot die Ausstellung und bietet das Buch als deren Dokumentation eine bunte Mischung von Motiven, Techniken und Entstehungszeitpunkten. Also einen Überblick.

Besonders wichtig ist Rilke Cézannes Umgang mit der Farbe, von der er sagt, dass sie ganz in der Verwirklichung der Dinge aufgeht: »es bleibt kein Rest.« Cézanne habe die Farbe genommen, »wie kein Mensch noch Farbe genommen hat, nur um das Ding damit zu machen. Die Farbe geht völlig auf in dessen Verwirklichung«. Immer wieder betont Rilke das Flächige und dazu die absolute Dominanz der Farbe, wenn er über Cézanne schreibt: »wie sehr das Malen unter den Farben vor sich geht, wie man sie ganz allein lassen muß, damit sie sich gegenseitig auseinandersetzen. Ihr Verkehr untereinander: das ist die ganze Malerei.«

Mit einer solchen Praxis hat Cézanne und mit ihm sein Bewunderer mit vom Meister inspirierten kongenialen Einsichten viel von der Malerei des 20. Jahrhunderts vorweggenommen, wenn Rilke das auch weder in der Sprache des Kunstkritikers noch des Kunsthistorikers auszudrücken versucht hat. Was der Dichter definitiv nicht wünscht (und diesen Wunsch unterstellt er – wohl mit einigem Recht – auch Cézanne), ist jede Form einer intellektuellen Auffassung von Kunst; man soll die Welt einfach hinnehmen, wie sie ist: »Es ist diese unbegrenzte, alle Einmischung in eine fremde Einheit ablehnende Sachlichkeit, die den Leuten die Porträts Cézannes so anstößig und komisch macht.«

In der letzten Phase der Ausstellung – Rilke ging täglich hin und schrieb ja auch täglich – finden sich endlich zwei Bildbeschreibungen; bei dem einen handelt es sich um das Porträt von Madame Cézanne (aber Rilke geht es mehr um ihren Sessel), bei dem anderen um ein Selbstporträt des Meisters. Bei beiden Bildern konzentriert er sich ganz und gar auf die Farbgebung.

Besonders merkwürdig ist es, dass der Leser immer wieder auf Textstellen stößt, die an die Lyrik Rilkes erinnern; manchmal in ihrer Auffassung der Metaphorik, manchmal in ihrem Dahinströmen, wenn er Bild an Bild reiht, gelegentlich auch, wenn er das Thema der Armut aus dem »Stunden-Buch« aufnimmt und Cézanne einen Armen nennt (»Wieder ein Armer.«).

Man ahnt, warum Rilke nicht, was er wohl ursprünglich plante, einen großen Essay über Cézanne daraus gemacht hat – zu disparat, zu ungeordnet sind seine Überlegungen. Aber so sind sie eben auch anregend. Besonders schön ist es zu sehen, wie sehr die Malerei seine unglaublichen Schilderungen der städtischen Landschaft beeinflusst, die er beschreibt wie Bilder, die man tatsächlich vor sich sieht: »Und unter dem allen hin, niedrig, immer noch die Place de la Concorde und die Bäume der Champs-Elysées, schattig, von zu Grün vereinfachtem Schwarz, unter den Westwolken. Rechtshin helle Häuser, sonnig angeweht, und ganz im Hintergrund in blauem Taubengrau nochmals Häuser, in Plans geschlossen, mit steinbruchhaften, gradelinig abgesetzten Flächen.«

Ein schöner Gedanke, zwei der großen Genies aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts in einem Buch zusammenzuführen und zu ehren.

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