Ausstellungsbesprechungen

Paula Modersohn-Becker. Pionierin der Moderne, Kunstsammlungen Böttcherstraße / Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen, bis 19. September 2010

Paula Modersohn-Becker gilt als eine der großen Wegbereiterinnen der Moderne und zählt zu den bedeutendsten Malerinnen des 20. Jahrhunderts. Beeinflusst von Werken Cézannes, Gauguins und van Goghs entwickelt sie in ihren Bildentwürfen neue Wege formaler Gestaltungsprinzipien, die in der Darstellung des Kreatürlichen im menschlichen Sein gipfelten. Günter Baumann hat sich ihre Werke angesehen.

Auch im 21. Jahrhundert dürfte es wohl – und das ist bedenklich genug – kaum mehr als eine Handvoll Malerinnen geben, bei denen der durchschnittlich interessierte Kunstfan nicht gleich das Lexikon bemühen muss, um einen ausreichenden Überblick über das künstlerische Schaffen zu bekommen: Ganz vorne wird Frida Kahlo einzuordnen sein, sicher dicht gefolgt von Paula Modersohn-Becker. Dass die Kunsthalle Krems im Frühjahr die erste Retrospektive in Österreich präsentierte, über hundert Jahre nach dem Tod von Modersohn-Becker (1876–1907), kann man kaum glauben – und die Österreicher quittierten das Unterfangen mit 30000 Besuchern: nicht viel gegenüber Retrospektiven ausgewählter Herren ihrer Generation, aber doch ein Zeichen, dass die Frau des berühmten Worpswede-Malers Otto Modersohn nicht nur endgültig aus dessen Schatten herausgetreten ist, sondern selbst als international geachtete Pionierin der Moderne auftreten kann, wie der Titel der Ausstellung sie emphatisch nennt, die nach Krems auch Station in Bremen macht. Hier muss man die Schau allerdings als eine Art Heimspiel sehen, was einerseits prima ist, weil die Malerin hierzulande längst eine feste Position innehat, andrerseits fast schon wieder schade, weil das tatsächliche Gewicht dieser Ausstellung auf einen vergleichsweise schwachen Widerhall in der Medienwelt stößt. Dabei ist die Werkschau, die unter Beteiligung ihres besten Kenners und Biographen, Rainer Stamm, zustande kam, eine der schönsten Ausstellungen des Jahres. Denn man wird erst im Miteinander der verschiedenen Genres – Porträt, Figurenbild, Landschaft, Stillleben – gewahr, dass Modersohn-Becker nicht allein in Themenausstellungen brilliert, sondern als ganz große Künstlerin für ihre Zeit steht, wie nur wenige ihrer männlichen Zeitgenossen, und die darüber hinaus ein menschlich ergreifendes, liebenswertes und ungeschönt-schönes Menschenbild und ein hochmodernes Naturbild vermittelt, die zusammen sogar als einzigartig gelten dürfen.

Leicht vergisst man die Tragik, die über dem Werk lastet. Als sich Paula Modersohn-Becker 1906, mit gerade mal 30 Jahren, nackt als Schwangere malte, schuf sie das mutmaßlich erste Akt-Selbstporträt einer Frau. Selbstbewusst unterzeichnete sie mit den Kürzeln ihres Mädchennamens, unterschlug also den Namen ihres Mannes, als wollte sie auch ihm demonstrieren, dass sie keine malende Frau an der Seite von anderen wäre, sondern eine eigenständige Stimme hätte in der Kunstgeschichte. Die Widerstände kann man spüren, der Blick ihres Selbstporträts hält deutlich dagegen. Freilich, Otto Modersohn war ein vergleichsweise liberaler Geist, der Paula in ihren künstlerischen Ambitionen unterstützte (andere hatten dieses Glück nicht, man denke an die Werefkin), aber auch von ihm ist zu lesen: »Sie haßt das conventionelle u. fällt nun in d. Fehler alles lieber eckig, häßlich, bizarr, hölzern zu machen. Die Farbe ist famos, aber die Form? Der Ausdruck! Hände wie Löffel, Nasen wie Kolben, Münder wie Wunden, Ausdruck wie Cretins.« Die Frau an seine Seite durfte malen, galt ihren Zeitgenossen als Farbengenie, aber die revolutionäre Sicht auf Menschen und Dinge wollten auch sie nicht gelten lassen. Als sie sich als Schwangere malte, trug sie noch gar kein Kind in sich – Anlass war eher der Hochzeitstag des Paares, vielleicht eine offene Botschaft, vielleicht aber nur eine Willensbekundung zur schöpferischen Arbeit. Viele der Bilder von Paula Modersohn-Becker sind und bleiben rätselhaft. Im Jahr nach dem Aktbild wurde sie tatsächlich schwanger, im November gebar sie eine Tochter, die sie keine drei Wochen lang kennenlernen durfte: Im selben Monat starb sie an einer Embolie. Die Ausstellung macht deutlich, wie reif, wie vollendet dieses überraschend umfangreiche Werk der Malerin war, die nur 31 Jahre alt wurde.

Wenn die Gemälde formal ins Grobe gehen, wie Modersohn beanstandete, lag seine Frau durchaus im Trend expressiver Bildgestaltung. Doch trifft der Vorwurf noch nicht einmal bei oberflächlicher Bewertung. Meisterhaft vereinfachte Modersohn-Becker in der Tat im Detail, und sie erzielte doch einen Ausdruck, den man seit der Spätgotik selten so fein und stark zugleich gesehen hat. Nimmt man ein Bild wie »Mädchen mit Kaninchen« (2005), glaubt man nicht nur den verängstigten Blick des Tieres zu spüren, sondern auch die Sorge des Mädchens um das Wohl und Weh der schutzbedürftigen Kreatur angesichts einer Situation, die sich außerhalb der Komposition befindet. Wer je ein Kind beobachtet hat, wie es mit Hasen umgeht, wird den extremen Realismus klar vor Augen haben. Nicht zuletzt die Zeichnungen bezeugen das hohe Formbewusstsein der Künstlerin; manche Skizzen könnten durchaus auch im Jahr 2010 gezeichnet worden sein. Faszinierend ist dieser einheitliche Stil, der das Porträt oder die Landschaft oder das Stillleben gleichermaßen umfängt, der in seiner Zeit, zuweilen (sofern es das Porträt bezieht) bewusst auch in der Antike gründet und zugleich vorausweist auf die weitere Kunstgeschichte. »Die große Einfachheit der Form«, so Modersohn-Becker, »das ist etwas Wunderbares«. Derartige Zitate sind, mit der Würde von Denkmalinschriften, auch im Katalog verewigt, der über die Ausstellung hinweg einen dauerhaften Eindruck hinterlässt.

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