Ausstellungsbesprechungen

Pawel Althamer – Polyethylene, Museion, Bozen, bis 26. August 2012

Was haben Folien, Reinigungsmittelflaschen oder Warmwasserrohre mit Kunst zu tun? An sich nichts, aber das Material, aus dem sie bestehen. Der polnische Künstler Pawel Althamer baut aus dem Kunststoff Polyethylen Figuren mit menschlichem Antlitz. Günter Baumann hat sich die Kreaturen einer unbekannten Zivilisation angesehen.

Pawel Althamer bevölkert Museen mit Kunstfiguren. Der Satz ist mit Bedacht gewählt, so unscheinbar er klingt. Dass es sich um Kunstfiguren handelt, ist klar und der Titel der Ausstellung macht keinen Hehl daraus, unterstreicht das Faktum, geht es doch um Polyethylene. Im Tätigkeitswort klingt jedoch ein schöpferischer Akt an, der über das Aufstellen von Kunst hinaus geht – vielmehr erfüllt sie die Ausstellungsetage mit einem lebensnahen Akzent, der nicht spurlos am Publikum vorbeigeht. Kurzum: diesen surrealen Schnürgestalten hängt etwas Existentialistisches an, das unter die Haut geht – als handle es sich um Realwesen. Das mag daran liegen, dass Althamer auf Sockel verzichtet, mehr noch: sie werden, da die Protagonisten auf Rollen stehen und »gehen«, regelrecht geleugnet, immerhin dienen Sockel dazu, die Kunst ruhig zu stellen.

Auf ihren Rollen demonstrieren sie dagegen ihre freilich scheinbare Mobilität, die man ihnen aber unmittelbar abnimmt, zudem wo die Bandagenumkleidung in Wallung gerät. Es wird ein Wechselbad der Realwahrnehmung, denn Althamer gibt sich keiner Illusion hin: Die Künstlichkeit seiner wie unbeteiligt dreinschauenden Figuren steht ja außer Frage. Von den realistisch modellierten Gesichtern abgesehen, bestehen die Gestalten aus nichts als diesen Bandagen. Dazu kommt, dass der Künstler den segel-weißen Menschen zu Beginn der Ausstellung einen Trupp echter Menschen an die Seite gestellt hat. Aber sind die Verhältnisse dadurch geklärt? Keineswegs, denn Althamer hat diese wirklichen Frauen und Männer, allesamt angeblich Freunde und Bekannte des Künstlers, in goldene Overalls gesteckt, was ihr Bild zumindest verfremdet und die Künstlichkeit der weißen Pendants angesichts des Astronautenlooks erneut relativiert. Wer in diesem gesetzten Spiel überzeugender, sprich wirklicher agiert, ist letztlich dem musealen bzw. nichtmusealen Raumempfinden geschuldet. Das steckt hinter jener Bevölkerung: Pawel Althamer kolonisiert sozusagen einen Fremdraum und macht ihn für den Betrachter zum Lebens-Raum. Der sich installativ gebärende, goldene Tross zog übrigens nach seiner Performance weiter nach München – er war nur zu Besuch bei seiner kunststoffartigen Verwandtschaft, deren Herkunft ungewiss bleibt. Das erinnert daran, dass in der Münchner Privatsammlung Goetz zurzeit auch eine Althamer-Ausstellung läuft.

Über die fließenden Verhältnisse realer zu unrealistischen Situationen vergisst man gelegentlich den surrealen Überbau. Die Kollektivexistenz, die der Künstler schafft, besteht in Bozen aus rund 70 Polyethylenfiguren, die den unsicheren Grund unserer Sehgewohnheiten und -konventionen auflösen und unseren Blick massiv irritieren. Umso gravierender zeichnet sich das barocke Thema der Vergänglichkeit ab. In seinem Figurenpersonal zitiert Althamer Arbeiten von Rodin (etwa die »Bürger von Calais«), ägyptisierend-unnahbare Schreitfiguren, katholische Rituale, entfernt auch die plastinierten Echtpräparate eines Gunther von Hagen u.a. Mittendrin im metaphysischen Kontext fühlt sich der Künstler wohl, doch spinnt er auch die Idee der Ikonografie weiter: Statt althergebrachter Attribute tragen die kafkaesken Naturen Radiorekorder und ähnlich modernes Gerät. Der Betrachter folgt mit gemischten Gefühlen einer derartigen Präsenz, die ihn zum Bestandteil dieser geschaffenen Welten macht.

Weitere Informationen

Parallel zur Bozener Ausstellung läuft in der Sammlung Goetz, München, bis 6. Oktober 2012 die Schau »Pawel Althamer«.

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