Ausstellungsbesprechungen

Peter Degendorfer, Malerei

Der Ulmer Künstler Peter Degendorfer (geb. 1950) zeigt in Geislingen Arbeiten aus den letzten Jahren. Zu den rund 50 Gemälden kommt eine speziell für diese Ausstellung gefertigte Edition von 25 kleinformatigen Bildern. Im folgenden werden Auszüge aus der Eröffnungsrede zitiert.

[…] Faszination Farbe. Was sie ist, weiß jeder, ist sie doch im Alltagsbewusstsein verankert wie die Muttersprache. Aber wenn wir uns mit ihr auseinandersetzen, passiert es schnell, dass wir uns schwer tun, ihre Vielschichtigkeit zu erfassen. Zu sehr ist sie mit unserer individuellen Wahrnehmung verbunden. Wenn Paul Cézanne meinte, Schnee sei nicht weiß, würden wir das wohl unterstreichen; aber dessen tatsächliche Farbe zu beschreiben würde uns schon schwerer fallen. Ganz zu schweigen davon, dass nordische Sprachen viel mehr Begriffe für jenen Schnee haben als ein Mitteleuropäer, und wer gibt uns Gewähr, dass die Farbassoziationen dieselben sind? Für Peter Degendorfer, der in jüngster Zeit vermehrt mit Schwarz und Weiß arbeitet, sind derartige Fragen virulent. Schon die alten Ägypter hatten ein und dasselbe Wort für ›Farbe‹ und ›Charakter bzw. ›Wesen‹ – Sie sehen, es reicht weiter als nur bis zur Oberfläche der Dinge. Unser althochdeutsches Wort farawa, das im Begriff ›Farbe‹ enthalten ist, bedeutete zunächst soviel wie ›Eigenschaft, Aussehen der Dinge‹ – wir erkennen das noch in Wörtern wie »Färbung, Couleur«.

 

 

Kurzum: Die Farbe entzieht sich der rationalen Messbarkeit, da sie komplex über die bloße Augenreizung hinausgeht, und sie entzieht sich der klaren Begrenzung, weil sie regelrecht antilinear ist. Nehmen wir überhaupt Linien wahr? Oder ergeben die sich nur aus dem Zusammentreffen von Farbflächen? Philosophen wie Demokrit fühlten sich bei einer solchen Vorstellung unwohl und erklärten die Farben kurzerhand für nebensächlich, weil sie außerhalb des Verstandes zu Hause seien. Farben, so glaubte dagegen der Künstler Cézanne, »steigen von den Wurzeln der Welt auf«, sie sind »Ausdruck dieser Tiefe an der Oberfläche«. Und weiter war Cézanne überzeugt, die Farben seien der Ort, »wo unser Gehirn und das Universum sich begegnen«. Ganz wesentlich im Hinblick auch auf das Werk Peter Degendorfers ist in diesem Zusammenhang die unwägbare, wenn auch vom Maler beeinflussbare Begleiterscheinung, will sagen: Da wir in unserer Umgebung kaum eine Farbe isoliert von den anderen wahrnehmen können, entstehen Wechselwirkungen, Einflussnahmen, Bewertungsschwankungen – und so ist es weder für den Künstler noch für den Betrachter möglich, diese Bezüge zu ignorieren. Das wusste schon der Philosoph Aristoteles: »Keine Farbe sehen wir aber rein, wie sie ist, sondern entweder durch den Einfluss fremder Farben oder durch Licht und Schatten verändert«. Ein Blau auf grünem Grund wirkt anders als auf einem orangefarbenen, was umgekehrt genauso zutrifft wie in ganz anderen Konstellationen.

 

 

Keine Frage: Peter Degendorfers Hauptaugenmerk liegt auf der Peinture, der malerischen Gestaltung in einer bewussten Farbigkeit. Doch ist er weit entfernt von bloßem Automatismus oder von wildem Farbrausch. Es geht ihm um Balance. Wenn Degendorfer Farbfelder neben-, hinter- und übereinanderlegt, beschränkt er sich nicht auf eine theoretisch stimmige Pigmentfamilie, wie sie die Vertreter der so genannten konkreten Kunst mit mathematischem Kalkül bevorzugen. Im Gegenteil: Degendorfer greift in gestischem Schwung auf die ganze Palette zurück, sucht die Auseinandersetzung unvermischter mit »schmutzigen« Farben, großer mit kleinen Buntflächen, begrenzender Konturen mit offenen Farbstrukturen. Dabei gerät die vordergründig sich vermittelnde Abstraktion im Miteinander der Farben zur erfahrbaren Räumlichkeit, werden die Strukturzeichen verdinglicht. Hinter dem Streben nach Balance in meist fragiler Harmonie mit all seinen Polaritäten und mitunter Vergeblichkeiten steckt auch die Erkenntnis, dass eine solche Balance meist polar Entgegengesetztes austariert, sowie die Erkenntnis, dass diese subtil in Szene gesetzte Balance auch aus dem behutsam eingestellten Gleichgewicht geraten kann. Salopp formuliert: Es geht hier nicht darum, Äpfel und Birnen in zwei Waagschalen zu legen. Es geht um unser Verständnis von der Welt in uns und der Welt draußen.

 

 

Peter Degendorfer fingiert einen verinnerlichten Raum in prinzipiell lebensbejahendem Zuschnitt. Seine Schattierung reicht von Melancholie bis hin zur heiteren Gelassenheit– »heiter« einmal im Sinne des althochdeutschen Wortes »heitar« für ›leuchtend‹ (im Gegensatz zu ›düster‹), zum anderen als Bezeichnung einer leise beglückenden, inneren Haltung zu verstehen (im Gegensatz zu »froh« oder »nett«). Seine Gemälde vermitteln zwischen einer nach innen gerichteten Ruhe und einer nach außen tretenden geheimnisvollen Unruhe. Die Gemälde bleiben dabei in ihrer Ausdeutung offen. Scheinbar wie aus dem Nichts tauchen einmal Naturchiffren auf, wolkenähnliche Gebilde etwa oder auch nur eine Horizontlinie, die die abstrakte Ausgangsfläche zur Weite eines Naturbildes, einer Seelenlandschaft öffnen. Ein andres Mal schreibt Degendorfer diesen Farbfeldern immer wieder Linien ein, alltägliche oder auch mysteriöse Zeichen wie zum Beispiel Zeichnungen eines Kopfes, einer Hand, einer schemenhafte Figur, dann aber auch Gefäßsilhouetten, geometrische Formen, die an Briefumschläge oder anderes erinnern. Hier geht das eben geschilderte Naturbild über in ein Kulturbild, es entstehen sozusagen Sinnbilder für ein kollektives Gedächtnis.

 

Halten wir kurz inne, um uns Zeit für einen Blick auf die Bilder zu nehmen. Am sinnfälligsten wird das oben Gesagte in den Hochformaten: Peter Degendorfer verwendet nicht zufällig ein stelenhaftes Maß, das dem des Menschen überraschend nahe kommt – man kennt aus der Kunst- und Kulturgeschichte den memorialen Charakter derartig schmaler Bretter, die häufig im Totenkult Verwendung finden. Eines der Stelenbilder nennt Degendorfer »Stamm, grün in grün«, das im Abstraktionsgrad eines der kühnsten Werke des Künstlers ist. Lässt man den Titel außer Acht, kann man immer noch aufgrund der Farbigkeit die Symbolik des Wachsens, des Lebensspendenden assoziieren. Und das oben aufgesetzte Grün verwandelt sich neben der Geschwisterfarbe in ein schwebendes, geistnah-leichtes Blau, das dem in sich ruhenden Grün zu entgleiten scheint und gerade in der Nachbarschaft der Farbpigmente eine besondere Intensität erhält. Man sieht, wie hier in die Komposition plötzlich Bewegung gerät allein kraft der Farbe.

 

In einem weiteren Bild dominiert das Grün über alle anderen, schemenhaft eingeschriebenen Farben. Wieder tritt die Farbe des Lebens auf, die im christlichen Kontext auch als Symbol der Erneuerung zu deuten ist – im Volksmund kennt man sie als Farbe der Hoffnung. In einem solchen Assoziationsfeld gewinnt der titelgebende »Krug« am unteren Ende der Farbtafel an sinnstiftender Schwere als Kultgefäß oder Artefakt, zumal wenn man das weiße Feld mit der gebotenen Transzendenz versieht. Genau in diesem weißen Feld erkennt man auf den zweiten Blick, wenn der von der flüchtigen Zeichnung des Kruges abgelenkte Betrachter einen metaphysischen Zusammenhang von Farbe und Form zu ahnen beginnt, einen gestikulierenden Menschen. Ist es Jesus? Ist es – was man aus Titeln anderer Bilder Degendorfers erschließen könnte – jemand, der ein Feld bestellt, ein Gärtner oder eine Arbeiterin? Ist es ein Porträt, ein Künstlerselbstbildnis? Oder schlicht die Chiffre des kulturschaffenden Menschen? Nicht immer dürfen wir den Titeln trauen, die Degendorfer oft erst nach Vollendung eines Bildes und nicht ohne ironische Brechung vergibt. Ganz bewusst verweigert er eine eindeutige Auflösung. Das ist seine Stärke: Lässt man die Malerei auf sich wirken – so wird man immer neue Assoziationen finden.

 

Schauen wir kurz noch auf eine weitere Arbeit. »Artist« heißt ein in der Farbigkeit schon fröhlich zu nennendes Gegenstück zu dem eben beschriebenen »Krug«-Bild. Am unteren Rand wieder die Silhouette eines Menschen. Ist das der Artist? Der geschulterte Gegenstand lässt eine Antwort kaum zu: noch nicht einmal, ob mit dem Artisten ein Künstler oder ein Zirkusakrobat gemeint ist. Eher würde das Bild eines Sammlers oder Jägers aus archaischer Zeit passen, der dann eine Waffe in Händen hielte. Beobachtet wird er von einem riesenhaften Menschen, von dessen Antlitz nur ein feuriges Auge mit wellenförmig verlaufender Augenbraue, möglicherweise noch die Kinnlinie und das gelb-blonde Haar zu erkennen ist – sehen wir in ihm den Artisten? Wer beobachtet hier wen?

 

 

Vergessen wir nicht, dass es Degendorfer kaum darum geht die Welt abzubilden oder Menschen in ihrer vordergründigen Anatomie zu porträtieren. Vielmehr erzählt er uns von dem, was den Menschen ausmacht. Dominant überlagert wird all dies von einer durch Assonanzen zum Pulsieren gebrachte Farbsymphonie, die in den jüngsten Jahren spürbar ruhiger geworden ist. Rot, Ocker, Pink und Orange finden sich in einer spannungsreichen Ausgewogenheit, ein Ultramarin sucht die befremdliche Nähe zu Preußischblau; Orange- und Violetttöne geraten lauernd aneinander. In anderen Arbeiten mischen sich erdig-dumpfe Brauntöne über blauem Grund, Schwarz drängt herein und lässt die Farben nur umso mehr aufleuchten. Der Maler erschafft eine farbig erhöhte, annähernd leere Bühne, auf der lineare Zeichen und Farbfelder ein poetisches Szenario im räumlichen Bezug entwerfen. Der Mensch tritt jedoch nur scheinbar zurück wie auf dem Bild »Monument für –« – der unvollständige Titel wird zur sinnfälligen Leerstelle, die gerade zur Auffüllung drängt und zugleich den pathetischen Charakter des Monumentalismus ad absurdum führt.

 

Man muss sich im Werk Degendorfers das Menschenmotiv aus der Seelenschau erschließen. Wir brauchen nur in die Bilder hineinzulauschen, um die Zeichen wahrzunehmen – die sich anbahnende Kommunikation ist hier eher lyrisch als dialogisch-dramatisch, denn die jenseits der sichtbaren Welt angesiedelten Protagonisten plaudern nicht einfach aus, was in ihnen steckt, und die Dingwelt drängt sich nicht auf, sondern will entdeckt werden! »Es war mir immer«, so schrieb der Schweizer Maler Augusto Giacometti, »als ob es ein Leben der Farben an sich gäbe, das schon vor der Welt der Gegenstände da war und davon die Gegenstände ihre Farben entliehen«. […]

Weitere Informationen

Öffnungszeiten:

Montag – Freitag 9–16.30 Uhr

Donnerstag bis 17.30 Uhr

 

Edition:

Originalgemälde, Öl auf Holz, 31 x 12 cm

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