Ausstellungsbesprechungen

Peter Köcher – Kunstbevölkerung. Groß angelegtes Ausstellungsprojekt in der Produzentengalerie Köcher Bexbach, bis Februar 2012

Die Produzentengalerie Peter Köcher präsentiert derzeit neben den Arbeiten von Herbert Hofer und Gerhard Fassel die Werke des Hausherrn im Innen- und Außenbereich der Galerie. Doch was hat es mit diesen lebensgroßen, partiell verstümmelten Figuren auf sich, die als Fremdkörper unsere Lebenswelt besiedeln? Verena Paul hat sich die Werke sowie die das Ausstellungsprojekt begleitenden Fotografien des Künstlers angesehen.

Seit vergangenem Jahr arbeitet Peter Köcher intensiv an seiner »Kunstbevölkerung« – einer stetig wachsenden Population lebensgroßer, weißer Figuren, die an den unterschiedlichsten Orten der Welt mittels Schläuchen angedockt werden können. Dabei zielt der Künstler auf eine – wie er sagt – »Ästhetik der zwischenmenschlichen Beziehungen«. In Korrespondenz mit der leicht aufgerauten Epidermis der Plastiken, die aus medizinischen Mullbinden geformt ist, rücken sowohl zwischenmenschliche Verletzungen als auch die sich anschließenden Heilungsprozesse ins Zentrum – Köcher möchte den versehrten Körpern (und Seelen) Schutz und Wärme gewähren. Dergestalt verlieren die skulpturalen Arbeiten ihren zunächst vom Betrachter wahrgenommenen negativen Impetus: Sowohl die Schläuche, die aus Knien, Armstümpfen, Schultern oder Händen heraustreten, als auch die roten Zahlenreihen und Symbole halten die Entindividualisierung des Menschen nur diagnostisch fest, nehmen aber keineswegs eine Bewertung vor. Es sind zufällige Zahlenkombinationen oder die lückenhafte Nummer des Personalausweises von Köcher. Damit werden der Figurenhaut Codes eingeschrieben, die Namen und sonstige individuelle Merkmale obsolet erscheinen lassen. Ein Erahnen zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklungen? Durchaus möglich…

Bereits vor Betreten der Galerieräume empfängt uns eine stehende männliche Figur, deren empor gestreckter Arm einen mit gelben Farbpartikeln gesprenkelten Schlauch zur dahinter liegenden Andockstelle führt. Ein spiralförmiges Umleitungsschild, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft anmutig um einen braunen Pfahl schlingt, greift dabei die gelbe Couleur auf und interagiert mit der Figur, indem es deren Standfestigkeit und Kraft hervorhebt. Im Gegensatz zu diesem männlichen Part lässt sich die weibliche Figur auf einem schwarz-roten Spiralhocker nieder. Ihre Körperhaltung zeugt dabei von einer majestätischen Eleganz, was sich sowohl in der Positionierung der Füße – sie berühren nur leicht mit den Zehen den Boden – als auch in der aufrechten Haltung des Torsos und dem anmutig zur Seite geneigten Kopf artikuliert. Irritierend wirken allerdings die beiden Armstümpfe, aus denen zwei Schläuche zu den am Boden gelegenen Andockstellen herausführen. Der im Frühjahr blühende Ginster im Hintergrund lässt den Betrachter jedoch plötzlich zweifeln: Entzieht die Kunstbevölkerung wirklich ihrer Umgebung Energie, um bestehen zu können, oder schenkt sie nicht vielmehr ihrem Umfeld neue Kraft, lässt die Blüten geradezu explodieren?

Eine mögliche Antwort findet der Besucher in einem von Peter Köcher gefertigten Katalog, der in der Galerie ausliegt. Köcher dokumentiert hier mit der Fotokamera seine im Schlosspark Esterhazy (Pottendorf bei Wien) aufgestellten Werke. Obwohl der Künstler betont, dass die Aufnahmen nicht den Anspruch von »Kunstfotografie« haben, besitzen die Ergebnisse ästhetischen Eigenwert und sind in der Gestaltungsweise durchgehend überzeugend. Zu sehen ist ein Figurenreigen, bestehend aus drei stehenden männlichen Figuren, einer weiblichen Sitzenden sowie einem Baby. Die Gruppe findet in der bisweilen wildwüchsigen Natur des Parks und vor einem von Zerfall bedrohten Gebäude, das sich in einem davor befindlichen Gewässer spiegelt, einen wunderbaren Platz. In diesem hortus conclusus haben die Plastiken die Möglichkeit erhalten, sich im spätsommerlichen Gras oder an Baumstämmen mittels ihrer Schläuche anzuschließen. Hierbei kommen wir allerdings auf die oben gestellte Frage zurück, ob die Objekte aus ihrem Umfeld Kraft beziehen oder ihre eigenen Energien an diese abgeben. Ähnlich der vor einer gelben Blütenflut Sitzenden, sprühen auch im Park die weißen Figuren von Kraft und scheinen ihrer Umgebung neues Leben einzuhauchen, was zudem durch die spannende Lichtregie der Sonne forciert wird. Obwohl Köcher bei den Figuren immer wieder neue Gruppenbildungen vornimmt, fällt auf, dass in seiner »Kunstbevölkerung« nicht mehr die Frauen den lebensspendenden Teil bilden, sondern die Männer, denn das Baby ist konstant an eine männliche Figur gebunden.
Peter Köchers »Kunstbevölkerung« lässt sich folglich in keiner Beziehung festlegen, ist ständig in Bewegung, sucht nach neuen spannenden Orten, die sie verzaubern oder entzaubern, entkräften oder stärken, ver- oder entwirren, auf jeden Fall aber verändern kann. Mit diesem Projekt gelingt dem Künstler ein großer Wurf: die Schnittstellen zwischen Kunst und Öffentlichkeit neu auszuloten, die Menschen zu verblüffen und sie zu motivieren, die Frage nach der Bedeutung von Kunst in unserer Gesellschaft neu zu formulieren.

Ein Ende der Köcherschen »Kunstbevölkerung« ist bislang nicht in Sicht und das ist gut so. Denn hier hat ein Kunstschaffender einen neuen Weg gefunden, wie mittels Kunst im öffentlichen Raum die Menschen von ihrem Tunnelblick – zumindest für einige Augenblicke – befreit werden können. Diese weißen, zukunftsweisenden Schattenwesen, die menschliche Beziehungen auf sehr einfühlsame Weise hinterfragen, berühren das Innere des Betrachters, machen ihn betroffen und sind zugleich perspektivschärfend. Eine konstant im Wandel begriffene Präsentation, die ich mit Begeisterung besucht habe und deshalb uneingeschränkt empfehlen möchte!

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