Rezensionen

Peter van den Brink (Hg.): Dürer war hier. Eine Reise wird Legende. Michael Imhof Verlag

Für Peter van den Brink, Direktor der Ausstellung „Dürer war hier“, war es die letzte Herausforderung in Aachen und es sollte das wichtigste museale Ereignis 2020/21 sein. Im Mittelpunkt stand auch hier jenes ikonische Selbstbildnis Albrecht Dürers von 1500. Diesmal lenkte es den Blick jedoch auf die Niederland-Reise des Renaissance-Genies. Dürers Tagebuch gewährt zusätzliche Einblicke der Tour, deren Empfindungen sich wieder in Malerei verdichteten. Eine Rezension von Melanie Obraz.

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Das in jeder Hinsicht schwergewichtige Buch mit dem einladenden und vielsagenden Titel „Dürer war hier“ stellt sich der Mammutaufgabe, Albrecht Dürers Aufbruch in die Niederlande mit unterschiedlichen Fragestellungen zu begleiten. Das Künstlergenie war hier und hat selbstverständlich etwas Besonderes hinterlassen, so suggeriert es schon der Untertitel „Eine Reise wird Legende“.
Aufgefächert in unterschiedliche Blickrichtungen, die sich auf den Ausgangspunkt des Vorhabens richten, beginnt das Buch nach dem obligatorischen Vorwort mit einer Einleitung von Susan Foister und Peter van den Brink, gefolgt von einem kurzen Rückblick auf Dürers Italien-Reisen und seine Verbindung zu Bellini und Raffael. Der folgende Abschnitt stellt Dürer als Initiator einer Bewegung dar, um schließlich nach 24 weiteren Kapiteln die Auswirkungen und die daraus resultierende Entwicklung des künstlerischen Abenteuers auf die Kunstszene zu analysieren. Der großangelegte Rezeptionsteil, widmet sich der Wirkung und dem Einfluss Dürers auf die Kunstwelt im Allgemeinen. Doch warum hat gerade diese Reise Albrecht Dürers das Potential als Legende aufgefasst zu werden?

Die neuen Bilder, die auf der niederländischen Reise entstanden, bemühten ein neues kompositorisches Gefüge der Figuren und erzeugten dadurch eine Ikonographie, die auch neue Maßstäbe setzte und dabei die bereits bei Dürer bekannte technische Individualität seiner alten Bilder in eine andere Medialität erhob. Mit der Zeichnung des großen Kalvarienberges (S. 477) spiegelt Dürer auch eine Wandlung im geistigen Leben der religiösen Kunst wider. Ein erneuertes Formerlebnis wird in den Linien und der Strichelung sichtbar. Auch die Sujets der alten Bilder erleben in nuancierter Interpretation eine Novellierung, ihre Aktualisierung wird auch in Hinsicht auf die bereits im Gange befindliche Reformation deutlich. Dürer verleiht seinen Bildwerken eine neue Dramaturgie. Seine Arbeiten wurden vielfach kopiert, was sich im Besonderen in einem neuen Gefühl für das Imitieren, als einem Akt der Emulation kundtut. Solche Werke, die eigentlich eine reine Imitation waren, avancierten jedoch zu Kunstwerken mit einer wiederum speziellen Rezeption.

Cover © Imhof Verlag
Cover © Imhof Verlag

1520 macht sich Dürer auf in die Niederlande, womit sein Lebenswerk eine Vollendung erfährt. Ehefrau Agnes und die Magd Susanna begleiten ihn, doch Dürer besucht viele Orte alleine, ohne seine Familie.
Obwohl Dürers Reisen nach Italien auch sehr gut dokumentiert sind, erzeugt das neuerliche Unternehmen eine völlig andere Atmosphäre. Der Renaissance-Maler ist zu dieser Zeit bereits ein Superstar der Kunstszene, nicht zuletzt auch daran sichtbar, wie sehr er von Vertretern der Fugger umworben wurde. Er zeigt Ambition, neue Eindrücke jeglicher Art aufzunehmen. Die Exotik fremder Länder, Kulturen und Lebensformen interessierte ihn, darunter Mantelpaviane oder Löwen. Das Walross von 1521 gehört sogar zu den bekanntesten seiner Tierzeichnungen. Löwenstudien aus dieser Zeit zieren auch die Rückseite des Buchdeckels, ebenso erwähnenswert ist aber auch die Zeichnung einer jungen Afrikanerin, gilt es in der Kunstgeschichte doch als erstes Porträt einer farbigen Frau. Interessant ist auch, dass er der Malerin Susanna Horenbout – der Tochter des Genter Porträt- und Buchmalers Gerard Horenbout Bewunderung zollt, allerdings mit der verwunderten Bemerkung, dass „eine Frau zu solcher Kunst fähig sei“. Immerhin: Dürer ersteht von ihr die Miniatur „Salvator Mundi“.

In den Niederlanden trifft der Künstler zudem das Who is Who der Intellektuellen und Gelehrten seiner Zeit, darunter Petrus Ægidius, der enge Beziehungen zu England pflegt oder Sebastian Brant, der mit seiner Moralsatire „Das Narrenschiff“ bereits als einer der berühmtesten Autoren des deutschen Humanismus gilt. Auch das heute berühmte Kupferstich-Porträt des Humanisten Erasmus von Rotterdam datiert in dieser Periode.
Die vielseitigen Betrachtungsweisen, die sich aus diesem Beziehungsgeflecht ergeben und die Hintergründe, die Dürers Arbeiten beeinflussten, sind in dem Katalog - als begleitendes Buch zur Ausstellung - von einer Dichte, die den Leser/die Leserin affiziert und – das darf nicht verschwiegen werden, auch dazu auffordert, eben diese Vielseitigkeit zu reflektieren. Damit bezeugt die reichhaltige Publikation einen komprimierten Anspruch, der auch tief in die kunstwissenschaftlichen Untersuchungen eingreift.

Cover © Imhof Verlag
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Selbstverständlich ist das Bildnis des Hl. Hieronymus auch in dieser Hinsicht ein Anliegen des Herausgebers. Als Modell dient wohl ein 93-jähiger Greis, den Dürer kurz nach seiner Ankunft in Antwerpen zeichnet. Auch hier bekundet sich einmal mehr die sprichwörtliche Genauigkeit der Dürerschen Maltechnik. Das berühmte Gemälde von 1521, welches sich heute im Museu Nacional de Arte Antiga in Lissabon befindet, scheint zwei Traditionen genial miteinander zu vereinen – den Kupferstich „Hieronymus im Gehäus“ und Dürers Meisterstich „Melancholia I“, gilt doch ein auf die Hand gestützter Kopf schon seit der Antike als Geste der Melancholie. Das Motiv des Memento Mori ist ebenso offensichtlich und verweist traditionell auf die Vergänglichkeit allen irdischen Daseins.

An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass Dürer den Ideen Luthers zugetan ist und mit der Reformation sympathisiert. Erwähnenswert deshalb, weil seit der Mitte des 14. Jahrhunderts die bildende Kunst als das entscheidende Attribut des Heiligen den roten Hut, den Kardinalshut, abbildet. Interessant ist auch, dass der Heilige Hieronymus im Stich von 1514 im Raum nur einen kleinen Platz einnimmt, sich demgegenüber aber im Bild von 1521 als Gelehrter gibt, der dem/der Betrachter:in bewusst in die Augen blickt. Er ist damit auf ein Gegenüber ausgerichtet und tritt mit den Betrachter:innen in einen fiktiven Dialog. Humanistische und damit auch Tendenzen der Renaissance sind nicht zu übersehen.

Viele Zeichnungen aus dieser Zeit, die wieder entdeckt wurden, können Dürer mittlerweile gesichert zugeschrieben werden. So etwa ein Blatt mit einer Kreuzabnahme Christi. Auch das Silberstiftzeichenbuch wird im vorliegenden Katalog mit vielen Beispielen erwähnt, dabei handelt es sich um sehr feine Grafiken von Kathedralen und einem Münster und die Darstellung eines kleinen Hundes.

Cover © Imhof Verlag
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Die Autoren:innen der Essays, der Initiator Peter van den Brink und seine Leidenschaft und Absicht die Ausstellung mit einem Buch zu dokumentieren, bieten dem/der Betrachter:in mehrere und vielschichtige Blickwinkel auf die handwerkliche Zeichentechnik Dürers wie auch auf seine Virtuosität, die seine Arbeiten als (höchstmögliche) Kunst bezeugen. Darüber hinaus bietet das Buch eine akribische Auflistung der weiterführenden Literatur zu jedem Kapitel.

Als Beispiel eines neuen Geistes in der Kunst, welcher durch Dürer entsteht, werden Werke von Jan Gossart um 1530 wie auch Arbeiten von Dirk Vellert von 1525 genannt, in denen durch die spätere Aufarbeitung, die Inspirationsquellen Dürerscher Provenienz in neuem Licht erscheinen. Damit sei festgehalten, dass Dürer einen Weg vorbereitete, welcher wiederum den Blick zurück in die Vergangenheit veränderte und so in der Zukunft neuen Gedanken zur Entstehung verhalf. Dürer ist der Motor, auch darin besteht die Aussage des Buches. Er schafft sich auf seiner Reise in die Niederlande als Künstler selbst.

Das Werk „Dürer war hier“ ist keine Wiederaufnahme jener Ausstellung, die im Suermondt-Ludwig-Museum Aachen vom 18. Juli bis 24. Oktober 2021 stattfand. Das Buch ist wahrscheinlich auch nicht für Leser:innen geeignet, die lediglich einen informativen Überblick über das Werk Dürers und seiner Reise in die Niederlande erwarten. Vornehmlich, wenn auch nicht ausschließlich, richtet sich Peter van den Brink an eine kunstbeflissene und erfahrene Leserschaft, welche bereits in Ansätzen mit dem Werk Albrecht Dürers vertraut und somit an der Wissenschaft der Kunst und den damit einhergehenden Fragen interessiert ist.


Titel: Dürer war hier. Eine Reise wird Legende
Herausgeber: Peter van den Brink
Autor:innen: Thomas Schauerte, Birgit Ulrike Münch, Christof Metzger, Arnold Nesselrath, Georg Josef Dietz, Annette T. Keller, Sarvenaz Ayooghi, Heidrun Lange-Krach, Till-Holger Borchert, Dana E. Cowen, Dagmar Eichberger, Jeroen Stumpel, Alexander Markschies, Susan Foister, Andreas Beyer, Joseph Leo Koerner, Peter van den Brink, Jaco Rutgers, Giulia Bartrum, Astrid Harth, Maximilian P. J. Martens, Stijn Alsteens, Marina Langner, Joris van Grieken, Elen Konowitz, Larry Silver, Christiaan Vogelaar, Dagmar Preising
Verlag: Michael Imhof Verlag
680 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3-7319-1136-4

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