Ausstellungsbesprechungen

Philip Loersch - Dafür müssen Zeichnung und Text getrennt sein, Galerie Rainer Wehr, Stuttgart, bis 7. August 2010

»Dafür müssen Zeichnung und Text getrennt sein«, so ist eine Schau bei Rainer Wehr betitelt, in der sich Philip Loersch besonders mit Diagrammen und Schaubildern beschäftigt hat. Seine Bleistift-, Sprüh- und Tuschezeichnungen auf Polystyrol entwickelte er unter anderem in Analogie zu Beweisbäumen aus der Mathematik. Diese fächern sich in verkettete Unterargumente auf, mit denen sich Lehrsätze beweisen lassen. Günter Baumann besuchte die Ausstellung für Sie.

Man könnte es sich einfacher machen, aber das ist offenbar nicht das Anliegen von Philip Loersch: Wo andere Kollegen eifrig bemüht sind, auf der Fläche des Papiers oder der Leinwand mal mit reduzierten Andeutungen, mal mit akribischer Feinmalerei Räumlichkeit vorzutäuschen, geht er den umgekehrten Weg. Er ersetzt das Papier durch eine transparente Polystyrolfolie, enthebt sie der planen Flächigkeit, indem er sie in fortgeschrittener Scherenschnittmanier scheidend entmaterialisiert und in den Raum hängt – wenn er sie nicht sogar in den Raum hinein- bzw. herausfaltet –, um mit seiner Zeichnung die verbliebenen Flächen zu unterstreichen. Philipp Loersch gibt dem räumlichen Denken das zurück, was die Zeichnung (und Loersch sieht sich ausschließlich als Zeichner) nur sein kann: Flächenkunst. Und die beherrscht er so grandios, dass es dem Betrachter die Sinne verschlägt: Das Liniengeflecht geht aus sich heraus, spielt sein Spiel mit unserer Wahrnehmung, ist Chaos, das sich seinen Kosmos herbeisehnt. Nie kann man sich sicher sein, wo der Erlebnisraum aufhört und der mathematisch-physikalische Raum beginnt, sicher ist dagegen der erkenntnistheoretische Hintergrund, der die Bilder nährt. Ausdrücklich bekennt sich Loersch zum »wiederkehrenden Versuch, eine Zeichnung (und somit den Zeichnenden) physikalischen Gesetzmäßigkeiten zu unterwerfen«. Auf Strömungsprozesse hat es der Künstler abgesehen, auf Turbulenzen und Strudel (das wogende, brandende Wasser scheint es ihm angetan zu haben), die der zeitgenössischen Chaostheorie und der Theorie der Quantenverschränkung zur Ehre gereichen. Von jeher haben die Wissenschaften auf die Künste gewirkt, was die Künstler oft gar nicht bemerkten. In Loerschs Arbeiten ist das halb Ahnung, halb Berechnung. So fasziniert er vom Informatikerblick ist, identifiziert man leicht die figurativen und Landschafts-Motive, die da Werk weit über die bloße Lust am Formal-Gestalterischen stellt.

Die Bilder, die noch kurze Zeit in der Stuttgarter Galerie Wehr zu sehen sind, wo der 1980 geborene Loersch seine Karriere vor Jahren gestartet hatte (heute lebt er in Berlin), verweisen direkt auf diese Zwischenlage: Da ist zum einen die »Beweisbaum«-Serie, da sind zum anderen Arbeiten wie »Große – (bzw. Kleine) – Waldrechnung«, »Gegeben seien zwei gleiche Fontänen« oder die titelgebende Arbeit »Dafür müssen Zeichnung und Text getrennt sein«. Da man derartig filigrane Cut outs schwerlich in der Kunstmappe transportiert, schneidet Loersch meistens in der Galerie, rückt mittlerweile auch mal mit Assistent an, weil einer allein diese aufwändige Arbeit kaum meistern kann. Zumal wenn man bedenkt, dass der Zeichner zur Zeit zu den gefragten Ausstellungsteilnehmern gehört: Nur knapp liegen die 4. Biennale der Zeichnung (Eislingen) und die Förderausstellung für junge Kunst »enovos« (Ludwigshafen) zurück, wo Loersch beteiligt war; zu sehen ist er aktuell oder in Kürze in Los Angeles (»Everything aligned«), Heilbronn (»mit Ecken und Kanten«) und Göttingen (»walk the line«); in der Kunsthalle Hamburg wird er ab Dezember in der Schau »Cut« zu sehen sein. Unterm Strich gesehen, reagiert Philipp Loersch auf die ›explosiven‹ Spannungen unsrer Zeit, der er weniger durch Zentralperspektive als durch eine davon abgeleitete Zentrifugalperspektive begegnet. Dass er sie nicht illustrativ dokumentiert, gehört zu einer künstlerischen Virtualität, die Denkräume lässt, wo der Verstand sprachlos wird.

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