Ausstellungsbesprechungen

Picasso – Linolschnitte. Im Rausch der Farbe, Kunstmuseum Pablo Picasso, Münster, bis 3. Juli 2011

Picasso befasste sich ab den 1950er Jahren intensiv mit dem Linolschnitt und verhalf ihm damit zu einer Renaissance, nachdem er lange Jahre als vernachlässigte künstlerische Technik galt. Günter Baumann hat die Ergebnisse in der aktuellen Ausstellung des Kunstmuseums Pablo Picasso Münster für PKG studiert.

Der Linolschnitt erfährt zurzeit eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit. Obwohl er erst im 20. Jahrhundert für die Kunst entdeckt wurde, somit eines der jüngsten traditionellen (d.h. insbesondere Hoch- und Tief-)Druckverfahren ist, hat sich der Eindruck einer kunstpädagogischen Kindergartentechnik lange gehalten, so dass es schwer war, aus dem Schatten des älteren Bruders, des Holzschnitts, hervorzutreten. Die Versuche mancher deutscher Expressionisten und v.a. von Henri Matisse weckten das Interesse: Mit einem Paukenschlag war der Linolschnitt in der Öffentlichkeit, als Pablo Picasso nach einzelnen Experimenten Ende der 1930er, Anfang der 1940er Jahre in den 1950ern ganze Serien in dieser Technik entwickelte. Zeitgleich wechselte in Deutschland Karl Rössing vom Holzstich zum Linolschnitt und begründete eine Schule, die weiter und länger wirkte, als Picassos Beschäftigung mit dem Hochdruckverfahren währte – eine unmittelbare Schule ist hier nicht erwachsen, wohl aber der Respekt für eine relativ leichte, aber in ihren Möglichkeiten unerschöpfliche Technik.

Jüngere Künstler wie Martina Geist oder Martin Noel zeigen, dass der Linolschnitt bis heute hervorragend aufgestellt ist. Nun kann man 2011 fast schon als Wegmarke für die Zukunft des nach wie vor wenig beachteten Mediums ansehen: Wer in diesem Jahr keine Notiz von dieser vielfältigen Variante der Druckgrafik nimmt, dem ist nicht zu helfen. Während Stuttgart und Heilbronn das Werk des 80-jährigen Künstlers und Rössing-Schülers Robert Förch feiert, dem wohl bedeutendsten lebenden Linolschneider in Deutschland, wenn nicht Europas, zeigt das Picasso-Museum in Münster das Linolschnittwerk Pablo Picassos. Das war zwar schon einmal, im Sommer 2005, in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen – der musealen Hochburg des Linolschnitts – gut für eine eigene Ausstellung, doch dort war es keine Pionierarbeit, dieses kleine Segment aus Picassos Gesamtwerk zu zeigen, wo man dessen Bedeutung durchaus einschätzen konnte. Wenn das Kunstmuseum Pablo Picasso sich den Linolschnitten des Jahrhundertgenies widmet, fällt das schon stärker ins Gewicht: Es geht nicht um Nebenwerke des 70-jährigen Meisters, sondern um einen wichtigen Teilaspekt innerhalb seines ganzen Schaffens.

Experimenten war Picasso zeitlebens aufgeschlossen. Als letztes Abenteuer werten die Ausstellungsmacher seine Arbeit mit den geschmeidigen Linoleumplatten. Da sie schneller zu bearbeiten waren als das Holz und weniger aufwändig zu handhaben waren als der Lithostein, konnte der Spanier seiner Lust frönen, in rasantem Tempo neue Facetten seiner bekannten Sujets zu entwickeln: So finden sich famose Blätter zum Stierkampf, zu mythologischen Themen und zum Porträt (sehr schön die Bildnisse der letzten Freundin Jacqueline Roque), denen nicht nur die unglaublich leichte Strich- und Flächenkantenführung gemeinsam ist, sondern auch die extreme Farbgewalt. Bis zu einer Handvoll Druckplatten setzte Picasso ein, um sein fantastisches Bilduniversum zu entwickeln. Verglichen mit der Picasso-Schau in Bietigheim vor sechs Jahren ist der »klassische« Picasso präsent: Der Stierkampfenthusiast, der Frauenliebhaber, der Mythologe. Einige Teilaspekte wie das Stillleben oder die Ausflüge in die Kunstgeschichte sind in wichtigen Arbeiten vertreten (so die Porträtparaphrase eines jungen Mädchens nach Lucas Cranach), allerdings vermisst man hier einige schöne Blätter, die deutlich machen, dass Picasso in der Technik des Linolschnitts auch ganz eigenständige Weg betrat. Das mag daran liegen, dass sich die Ausstellung vor allem aus Leihgaben des Londoner Sammlers Frederick Mulder speist – Bietigheim konnte dagegen u.a. auf öffentliche Sammlungen in Paris, Hannover, Münster und Stuttgart zurückgreifen (und mit schätzungsweise etwa hundert Arbeiten war damals mehr zu sehen als in Münster, wo rund 70 Arbeiten ausgestellt sind).

In Münster kann man dennoch über die bekannte Thematik schöne Entdeckungen machen, einmal im Künstlerplakat, das in herrlichen Beispielen die »jugendliche Beschwingtheit« (so der Museumschef Markus Müller) des alten Picasso zeigt. Wichtig ist auch zu wissen, dass der Künstler in den späteren Jahren dazu überging, die Platten nach Verwendung zu überschneiden – ein riskantes Spiel, das nur einem so selbstbewussten Genie wie Picasso einfallen konnte. Sein Drucker meinte dazu: »Ich hätte nichts mehr tun können, wenn der Druck schief gegangen wäre. Wenn ich den Druck verpfuscht hätte, wäre es aus gewesen«. Damit machte er aber auch Künstlern wie Rössing oder Förch Mut, den Linolschnitt als jeweils handgedrucktes Unikat anzusehen, denn es musste schon Picasso klar sein, dass dieses Hochdruckverfahren schon wegen der differenzierten Farbgestaltung näher an die Malerei rührte, als es der zur Schwarz-Weiß-Darstellung neigende Holzschnitt je könnte.

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