Ausstellungsbesprechungen

Picasso in der Kunst der Gegenwart, Deichtorhallen Hamburg, bis 12. Juli 2015

Gibt es einen Namen, der mehr für die Kunst der Moderne steht als Picasso? Für das 20. Jahrhundert ist Picasso das, was Leonardo da Vinci für die Kunst überhaupt ist: das Genie schlechthin. Seinen immer noch gewaltigen Einfluss auf zeitgenössische Kunst dokumentieren dieser Tage die Hamburger Deichtorhallen. Stefan Diebitz hat sich die umfangreiche Schau angesehen.

Die Deichtorhallen sind ein ganz besonderer Ort. Zwar liegen sie insofern ungünstig, als sie vom Verkehr umtobt werden, so dass selbst die zehn Minuten Fußweg vom Hauptbahnhof lästig sein müssen; aber wegen ihrer erstaunlichen Höhe und den daraus folgenden erfreulichen Lichtverhältnissen sind sie hervorragend für die Präsentation einer umfangreichen Schau mit sehr großen Objekten geeignet. Um die Bedeutung Pablo Picassos für die zeitgenössische Kunst vorzuführen, werden tatsächlich gut zweihundert Objekte von 89 Künstlern gezeigt! Und es sind sehr, sehr prominente Namen dabei: Paul Klee als der älteste (und außerdem vielleicht größte) Name; Ernst Ludwig Kirchner, Roy Lichtenstein, Jasper Johns, Georg Baselitz, Andy Warhol und noch viele andere. Und mit Stolz verweisen die Deichtorhallen darauf, dass die Werke der Ausstellung aus buchstäblich der ganzen Welt stammen, viele davon aus sehr bedeutenden Häusern.

Wahrscheinlich eignet sich Picasso schon deshalb so gut, den Einfluss eines großen Künstlers zu demonstrieren, weil er sich selbst immer wieder auf die Großen der Kunstgeschichte bezogen hat: selbstverständlich auf die großen Spanier wie etwa Diego Velázquez, mit dem er sich im Alter intensiv beschäftigte, aber auch auf Lucas Cranach, den man sonst vielleicht nicht mit ihm in Verbindung bringen würde.

Und Picasso hat wie nur wenige selbst in die Zukunft gewirkt. Fast alle in den Deichtorhallen ausgestellten Arbeiten sind auf den ersten Blick mit ihm in Verbindung zu bringen: manchmal, weil sie ihn selbst zeigen (auf Fotografien, als Büste oder Skulptur), manchmal, weil sich jüngere Künstler wie er darstellen und (ihn oder doch nur sich selbst?) als Kraftgenie in Unterhose parodieren, oft genug auch, weil viele seiner Werke sofort als Vorbilder zu erkennen sind. Das gilt selbst für Klees »Bewegte Seele« als dem ältesten der ausgestellten Werke. In ihm hat Klee sich von dem Versuch Picassos inspirieren lassen, verschiedene Ansichten eines Gesichtes in ein einziges Bild zu packen.

Und vielleicht liegt hier auch die größte Gefahr, die von einem solchen Künstler ausgeht: er war so groß, dass ein Jüngerer bestenfalls als Mondgestirn anzusehen ist, als Anhang oder sogar als Imitator. Solche Arbeiten gibt es auch in den Deichtorhallen zu sehen, und vom rein Ästhetischen her sind es nicht die Schlechtesten, auch wenn sie wenig originell sein mögen. Dagegen scheint es am klügsten, sich als Künstler mit Humor, Ironie oder Parodie gegen ein so übermächtiges Vorbild zu wappnen.

Eine Möglichkeit besteht darin, aus verschiedenen Bildern ein eigenes Bild zu basteln, wie es Sean Landers mit »Genius« vorgeführt hat, ein sehr großes Gemälde, in dem man herumbuchstabieren darf, kann und muss – nicht allein, um die Lettern seines Titels zu finden, sonderen auch, um seine verschiedenen Elemente den verschiedenen Vorlagen zuzusprechen.

Die Ausstellung bemüht sich, den ganzen Picasso zu spiegeln, aber zumindest bei den Bildnissen dominiert der ältere Herr mit grauem Haarkranz; dass auch Picasso einmal jung gewesen ist, geht darüber fast verloren. Es gibt ein einziges Bild, auf dem er als ein junger Mann mit glänzend schwarzem Haar zu sehen ist – es ist die vergleichsweise kleine Arbeit von Marcin Maciejowski »Picassos Boy with a Pipe«. Von demselben Künstler stammt ein ironisches Bild, das eine junge Frau zeigt, wie sie mit ihrem Smartphone Picassos »Buste de femme« knipst. »Ihren Blick fest auf das Smartphone geheftet«, kann man in den Materialien der Deichtorhallen lesen, »richtet sich ihre Konzentration ganz darauf, das vor ihr befindliche Werk als digitalen Beweis ihres Dagewesenseins festzuhalten.« Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dieser doch ziemlich snobistischen Interpretation zustimmen möchte – einmal, weil ich ja nicht die wirklichen Gründe für ihr Fotografieren kenne, aber zusätzlich auch deshalb nicht, weil ja nun wiederum ich selbst dieses Bild geknipst habe, und mitnichten deshalb, um mein Dagewesensein zu dokumentieren. Vielleicht ging es ja auch der jungen Frau um das Bild und um gar nichts anderes sonst?

Steigt in den Deichtorhallen eine Friedenstaube in den Himmel? Ich kann mich nicht erinnern, eine solche gesehen zu haben. Einen Harlekin habe ich immerhin zweimal gefunden. Aber »Guernica« ist tatsächlich diverse Male vertreten, und in zwei Fällen sogar »1 : 1«, wie die unschöne Phrase lautet. Vielleicht ist das gewaltige Werk wirklich das populärste Bild, das Picasso je gemalt hat? Der Amerikaner Joel Peter Willkin begnügt sich noch mit einem Zitat, der Spanier Antonio Saura übersteigert die Formen des berühmten Bildes, um seinen Abscheu vor ihm (dem Bild!) auszudrücken; und das wohl wichtigste dieser Ausstellung ziert eine der Stirnseiten der großen Halle. Es heißt »Guernica Redacted« und stammt von dem Amerikaner Robert Longo, der das große Gemälde durch senkrechte schwarze Streifen unterteilt hat – teils, um die Aufmerksamkeit auf bisher weniger beachtete Teile des Bildes zu lenken, vielleicht aber auch, um das große Gemälde zu rhythmisieren. Es ist mit Glas bedeckt und deshalb spiegelnd – man sieht sich also selbst in dem Geschehen, wenn man davor steht. Das ist aber nicht mehr als ein bloßes Spiel, und der Schrecken, den das ursprüngliche Bild so gewaltig zum Ausdruck bringt, bleibt ganz außen vor. Den Schock, den die ersten Bewunderer von »Guernica« erfahren haben, können wir heute unmöglich nacherleben.

Ein weiteres großes Thema sind die zahlreichen Fotografien des Meisters, in fast allen Fällen schwarz-weiß – auch das ein Umstand, der unser Bild von Picasso bis heute bestimmt. In jedem Fall wusste Pablo Picasso sich zu inszenieren, und er selbst (und niemand sonst!) gestaltete sich zu der Ikone, als die er heute selbst denen bekannt ist, die mit Kunst nichts zu schaffen haben wollen. Natürlich ließ es sich nicht vermeiden – und die Ausstellung zeigt mehrere Beispiele dafür –, dass auch die Fotografien, ebenso wie die Bilder, teils verzerrt, teils geradezu verhackstückt wurden.

Vielleicht ist kein Künstler und keine Künstlerin der ambivalenten Ausstrahlung Picassos mehr gerecht geworden als Hanne Darboven, deren Installation »Hommage à Picasso« aus drei Teilen besteht, einem Tableau aus einer Reihe von Blättern sowie zwei Bronze-Plastiken: die eine erscheint als traditionelle Würdigung eines großen Genies, indem sie dessen überlebensgroßen Kopf höchsts eindrucksvoll präsentiert, die andere – eine hässliche Ziege – drückt wohl eher Widerwillen aus. Besonders bei Frauen scheint Picasso bis heute nicht unbedingt beliebt.

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