Buchrezensionen

Poley, Martin (Hrsg): Straße der Backsteingotik. Bildkalender für das Jahr 2009, Verlag Ludwig, Kiel 2008.

Seit dem Jahr 2000 bringt der Verlag Ludwig einen repräsentativen Kalender mit Fotografien von Martin Poley heraus. Die ersten beiden Ausgaben liefen noch unter »Backsteingotik in Norddeutschland«.

»Treppen und Erkthürmchen« aus: Fritz Gottlob: Formenlehre der Norddeutschen Backsteingotik, 3. Aufl., hrsg. u. Nachw. von Markus Jager, Verlag Ludwig, Kiel 2004, S. 59. Schweriner Dom von Süden aus: Gottfried Kiesow: Wege zur Backsteingotik, Monumente Publikationen der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, 2. Aufl., Bonn 2007, S. 152, Abb. 57. Schweriner Dom, Detail aus: Poley, Martin (Hrsg): Straße der Backsteingotik. Bildkalender für das Jahr 2009, Monat Juli, Verlag Ludwig, Kiel 2008.
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Seit 2002 trägt der Bildkalender mit hochwertigen Farbaufnahmen den Titel »Straße der Backsteingotik«, womit der Bezug sowohl zu der Initiative »Wege zur Backsteingotik« der Deutschen Stiftung Denkmalschutz hergestellt ist als auch zu dem noch im Etablierungsprozess befindlichen Kulturnetzwerk »Europäische Route der Backsteingotik e.V.«. Dieses ist wiederum aus einem von 2002 bis 2007 mit EU-Mitteln unterstützten Projekt hervorgegangen und hat sich die Förderung des Kulturtourismus in den Anrainerstaaten der Ostsee zum Ziel gesetzt. Diese Vorbemerkungen sind deshalb nicht ganz überflüssig, weil der hier zu besprechende Kalender das Logo von »Europäische Route der Backsteingotik e.V.« führt, wodurch weniger eine organisatorische als vielmehr eine intentionale Verbundenheit angezeigt sein soll.

Man hat den Bildkalender nicht allein wegen seiner – von Martin Poley fabelhaft aufgenommenen und vom Verlag brillant präsentierten – Aufnahmen zu bewundern, sondern auch als ein Unterfangen wertzuschätzen, das die rot-weiß geprägte Sakralarchitektur des südlichen (primär mecklenburg-vorpommerschen) Ostseeraums einem größeren Rezipientenkreis nahebringen möchte.

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Unbedingt ist das künstlerische Engagement Poleys, im Hauptberuf Küster von St. Nikolai zu Wismar, zu würdigen, der in seiner freien Zeit mit seiner Familie und einer – gemessen an Profi-Standards – einfachen Kameraausrüstung seit Jahren seine geliebte Backsteingotiklandschaft durchreist, um uns an der staunenswerten Schönheit der Kirchenbauten der nordöstlichen Gegenden Deutschlands partizipieren zu lassen. Hier waltet fraglos eher kunst- und kulturpflegerisches denn geschäftliches Interesse, wenngleich der Verlag Ludwig die Produktionskosten streng zu kalkulieren hat, so dass es betriebswirtschaftlich wohl nicht zu verantworten wäre, den Fotografien Poleys Erläuterungen auf der jeweiligen Blattrückseite beizugeben. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Dass der Verlag die überaus beeindruckenden Aufnahmen Poleys so ohne jede textliche Begleitung anbietet, ist das einzige, nichtsdestoweniger gravierende Manko dieses ansonsten vorzüglichen Produkts.

Sicher, der ratsuchende, mit der Materie nicht so vertraute Betrachter könnte zur ersten Orientierung über die Spezifika der Backsteinarchitektur mit einigem Erkenntnisgewinn auf den – ebenfalls im Verlag Ludwig, 2004 in 3. Auflage erschienenen – Nachdruck der »Formenlehre der Norddeutschen Backsteingotik« (ursprünglich 1907) zurückgreifen, in dem der Architekt und Architekturmaler Fritz Gottlob (1859-1920) zahlreiche Baudetails wie Mauerwerksverband, Gesimsformen, Pfeiler und Fenster in bewundernswerten Zeichnungen systematisch vorstellt.

Zugleich führt dieses vom Baugeschichtler Markus Jager herausgegebene Bändchen im Oktav-Format, das vom Folio-Original Gottlobs leider nur einen unzulänglichen optischen Eindruck vermitteln kann, in die architekturhistorische Situation zur Zeit des Wilhelminismus ein, in der die »nordische« Gotik im allgemeinen und die Backsteingotik im besonderen als Nationalstil wiedererstand. Und einer der profiliertesten Verfechter der Neugotik im norddeutschen Raum war eben jener Fritz Gottlob, dessen »Formenlehre« damals eines der meiststudierten Lehr- und Anschauungsbücher war und das uns vom Ludwig-Verlag dankenswerterweise wieder zugänglich gemacht worden ist.

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Wer jedoch als Begleitlektüre zu Poleys Bildkalender eine modernere Einführung bevorzugen würde, dem sei das von Gottfried Kiesow verfasste und in der Reihe »Monumente« von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz zu einem fairen Preis herausgebrachte handliche Taschenbuch »Wege zur Backsteingotik« ans Herz gelegt. Es unterrichtet eingangs über sozial- und wirtschaftshistorische Hintergründe des 13./14. Jh. (Siedlungsgeschichte, Hanse) und sodann höchst anschaulich, allgemeinverständlich und intelligent illustriert über die hauptsächlichen Techniken (z. B. das Brennen und Formen der Ziegel) und Bauformen (z. B. »Von der Basilika zur Hallenkirche«) sakraler wie auch profaner Backsteinbauten, wobei die Marienkirche zu Lübeck als herausragende architekturgeschichtliche Orientierungsmarke anzusehen ist. Für den Laien ist Kiesows bündiges Glossar nützlich, das mit konzisen Einträgen beispielsweise zu »Baufuge«, »Normziegel« und »Verkröpfung« auch Nachhilfe in elementaren handwerklichen Belangen erteilt.

Doch endlich zurück zu unserem Kalender; für das Jahr 2009 erwarten uns die folgenden Monatsbilder:

  • Januar: Lüneburg, St. Johannis (Totale aus erhöhter Position von Süden)
  • Februar: Astronomische Uhr von St. Marien, Rostock
  • März: Greifswald, Dom (Innenaufnahme)
  • April: Königsberg, Westfassade des Doms (Totale aus Passantenperspektive)
  • Mai: Lübeck, St. Marien (Totale aus erhöher Position von Süden)
  • Juni: Wolgast, St. Petri (Blick nach Osten in das Mittelschiff)
  • Juli: Schwerin, Dom (Totale aus Passantenperspektive von Nordwesten)
  • August: Stralsund, St. Jacobi (Totale aus Passantenperspektive von Südwesten)
  • September: Güstrow, Dom (Totale aus Passantenperspektive von Nordwesten)
  • Oktober: Wismar, St. Nikolai (Blick vom Triforium in das Mittelschiff nach Westen)
  • November: Stellwagen-Orgel in St. Marien, Stralsund
  • Dezember: Bad Doberan, Münster (Blick in das Gewölbe).

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Dass tatsächlich sämtliche Aufnahmen von bestechender Güte sind, liegt, wie man ahnt und auch erkennen kann, nicht zuletzt an den geeigneten Lichtverhältnissen. Poley hatte sich mithin, bevor er sich zu seinen Objekten aufmachte, erst einmal als Wetterbeobachter zu betätigen; und am Erfolg dieser geduldigen Fotografenachtsamkeit freut sich der Betrachter, wenn er etwa an der grandiosen Farbkomposition des Bildes vom April Gefallen findet: Wattige Wetterwolken vom reinen Weiß bis hin zum tiefen Ultramarin türmen sich hoch oben über der wuchtigen Front des Königsberger Doms, die unten mit ihrer Weiß-Rot-Kontrapunktik auf einem Teppich aus Pflanzengrün und Blütenbunt im Spiel von Sonnenlicht und Schatten repliziert.
 
Mindestens ebenso wichtig wie bei Außenaufnahmen sind, so Martin Poley, die Lichtverhältnisse beim Fotografieren von Kircheninnenräumen. Falls nämlich mittags oder am frühen Nachmittag kräftige Sonne südlich einfällt, ergeben sich sowohl unschöne Überstrahlungen in den Fenstern als auch Lichtflecke auf den Kirchenwänden und -säulen. Letzteres kann aber eben auch reizvolle Effekte bringen wie z. B. im Fall des Juni-Bildes von Wolgast, St. Petri, doch die eindrucksvollsten Fotos – insbesondere von den phantastischen Gewölben – gelingen, wenn man die Faustregel beachtet: Am besten kommt das Licht von Westen. Diese Voraussetzung war zweifellos erfüllt, als das imposante Titelbild (Gewölbe der Nikolaikirche von Stralsund) entstand, das jedoch – dem Gelegenheitsknipser sei‘s zum Trost gesagt – in Wirklichkeit aus drei Aufnahmen mit unterschiedlicher Belichtungszeit besteht, die Poley dann im nachhinein übereinandermontiert hat. Man betrachte auch dieses Titelbild in aller Ruhe und bestaune die Kunst der Architektur sowie die des Mannes, der uns diesen Blick schenkt.

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