Ausstellungsbesprechungen

Pompeji. Götter, Mythen, Menschen, Bucerius Kunst Forum Hamburg, bis 11. Januar 2015

In Pompeji verstand man zu wohnen – das jedenfalls legt die Herbstausstellung des Bucerius Kunst Forums nahe, in der die prachtvolle Ausstattung einer großen Villa so präsentiert wird, dass der staunende Besucher sich im Geiste selbst in die Antike versetzen kann. Stefan Diebitz stand vor und zwischen den Zeugnissen einer untergegangenen Welt.

Nicht Pompeji wird dargestellt, sondern ein einziges Haus – aber was für eins! Die »Casa del Cisarista« war seit Jahrhunderten im Besitz der Popidier, einer der reichsten Familien Pompejis, und bereits wegen der schieren Größe der Anlage (2700 m²!) ist es dem Museum nicht möglich gewesen, die Innenhöfe und großen Räume maßstabsgetreu nachzubauen. Auch konnte man natürlich nicht die unmittelbare Umgebung des Hauses, die von dreißig oder vierzig kleinen Läden und einem entsprechend lebhaften Straßenleben bestimmt wurde, in die Ausstellung hineinholen. Aber obwohl man nicht wirklich den Versuch eines illusionistischen Bauens unternommen hat, wurden die Wandbilder und Statuen doch so zueinander in Beziehung gesetzt, wie sie einstmals gestanden haben. Sie werden in ihrem ursprünglichen Kontext vorgestellt, und der Besucher kann sehen, in welcher Weise die Menschen dieses Hauses von den Bildern umgeben waren.

Zusätzlich geben verschiedene Gebrauchsgegenstände oder Schmuckstücke einen Eindruck vom täglichen Leben. Man kann sich dank des Grundrisses, der in jedem der Ausstellungsräume die Lage der Ausstellungsstücke bezeichnet, eine ziemlich genaue Vorstellung des Hauses machen. Es bedarf also nur noch einer gewissen Fantasie, um im Geiste durch eine längst untergegangene Welt zu wandeln.

Eben das ist der Witz der Hamburger Ausstellung, die gemeinsam von Andreas Hoffmann und Valeria Sampaolo, Direktorin des Nationalmuseums in Neapel, kuratiert wurde: sie stellt die einzelnen Fundstücke nicht kontextlos in einen leeren Raum, sondern der Besucher kann sehen, in welchem Saal oder Hof der prachtvollen Villa und mit welchen anderen Kunstwerken oder Gegenständen sie gestanden haben. So kann man das farbenfrohe Gesamtkunstwerk, das diese schon fast palastartige Villa einmal gewesen sein muss, vielleicht nicht wirklich nacherleben, aber ihre Atmosphäre doch wenigstens erahnen. Das Wesentliche bleibt dabei immer der Gesamtzusammenhang, denn die Fresken »schufen eine Umgebung, in der Thema, Raum und Betrachter miteinander verbunden waren«, wie Bettina Bergmann in ihrem Katalogbeitrag schreibt. Eben deshalb gehört zu der Hamburger Ausstellung auch eine digitale Rekonstruktion, die anders als ein niedliches Korkmodell des 19. Jahrhunderts den Betrachter in den Raum selbst versetzen kann.

In ihrem umfangreichen Aufsatz stellt Bergmann einerseits die verschiedenen Themen und Bildkomplexe vor, andererseits schildert sie den Eindruck, den die Besucher des Hauses und sogar die Passanten von der Straße aus haben mussten. Vielleicht konnte man vom Eingang aus sechzig Meter weit bis in den nächsten Innenhof schauen! Doch trotz allen Scharfsinns und jahrzehntelanger Forschungsarbeit: Bergmann macht deutlich, dass wir niemals herausfinden werden, »wie die Pompejaner sahen oder sogar was sie dachten, wenn sie durch die Räume der Casa del Cisarista« gingen. Wie standen sie etwa zu den mythologischen Themen? Waren die mythologischen Bilder Ausdruck einer ernsthaften Religiosität? Eigentlich erwecken sie einen eher spielerischen Eindruck – auch deshalb, weil man gelegentlich Gesichter aus der hohen Politik oder der Familie in den Bildern auftauchen sieht.

Benannt ist der ganze Komplex – »Casa del Cisarista« – nach einer schlanken Bronzestatue im archaischen Stil, in der man Apollo mit einer Kithara vermutet. Allerdings ist es nicht sicher, dass der Jüngling wirklich einmal eine Kithara im Arm gehalten hat, aber die Frage nach dem Instrument, die im Katalog noch einmal neu diskutiert wird, ist ohnehin mehr akademischer Natur. Es mag ja sein, dass er »in Wirklichkeit ein Lampen- oder Tablettträger« gewesen ist, wie es Carol C. Mattusch in ihrem Katalogbeitrag zur Diskussion stellt. Aber viel wichtiger als die Funktion der Statue muss uns der fein gearbeitete Kopf mit seinen aus einem dunklen Gesicht herausstarrenden Steinaugen sein, der den Besucher ganz anders ansieht, als es eine moderne Plastik jemals tun wird: hier wird ein Zeitenabstand unmittelbar erlebbar, hier tritt dem Besucher die unendlich ferne Welt eines ganz anderen Menschentums entgegen.

Es finden sich noch viele andere, meist kleinere Figuren oder Porträtbüsten, aber so beeindruckend diese auch sein mögen, die zahlreichen, künstlerisch oft hochwertigen Wandbilder sind es wohl noch mehr. Zusammen mit den roten Wänden bestimmen sie mit ihren blassen, meist rötlich-braunen Farben und unscharfen Konturen die dichte Atmosphäre der Ausstellung, die in mancher Hinsicht an das Rokoko erinnert, denn auch in der »Casa del Cisarista« liebte man Idyllen und bukolische Szenen und vermied sowohl die Darstellung der Gewalt als auch der Arbeit. Nur zu gerne werden ja sonst allerlei Obszönitäten in den Vordergrund gestellt, wenn von Pompeji die Rede ist, als hätte es dort kaum anderes als fiese Kritzeleien oder Hinweisschilder auf das nächstgelegene Bordell gegeben, aber von populärem Schweinkram wird der Besucher dieser Ausstellung dankenswerterweise gänzlich verschont.

Besonders nehmen natürlich die sehr großen Wandbilder gefangen, von denen die meisten von Rot, Ocker, Braun und verwandten Farben dominiert werden. Die genaue ursprüngliche Farbgebung ist aber unbekannt, und vor allem weiß man nicht, um wie vieles die heute blassen Gemälde früher leuchtender und greller gewesen sind. Dass die Antike nicht im Entferntesten so blass und edel gewesen ist, wie ein Joachim Winckelmann sich das dachte, ist natürlich längst bekannt, aber war Pompeji nur ein bisschen bunt oder sogar schreiend bunt?

In den oberen Räumen sind allein Wandbilder ausgestellt, aber ohne den Zusammenhang mit dem Haus, so dass man sich dort ganz auf die große Schönheit dieser Bilder konzentrieren darf. Dazu kann man diesen Teil der Ausstellung zusammen mit einem Aufsatz von Andreas Hoffmann, der über die »vier Stile« informiert, als höchst lebendige Kunstgeschichte nehmen. Das Merkwürdige an der Abfolge dieser Stile ist, dass der erste und älteste Stil über einen fast unendlich langen Zeitraum dominierte, wogegen die drei späteren einander in rascher Folge ablösten. Kann eine solche Chronologie wirklich richtig sein? Vielleicht reichen die ältesten Zeugnisse doch nicht ganz so weit in die Vergangenheit zurück, wie ein romantischer Blick auf sie das gerne hätte.

Der diesmal in schwarzes Papier eingeschlagene Katalog ist weit mehr als eine bloße Wiedergabe der Ausstellung, sondern enthält auch zahlreiche Stadtpläne und Grundrisse, Bergmanns Beitrag über das Bildprogramm sowie einen schönen, über die soziale Situation der Hausbesitzer informierenden Aufsatz von Henrik Mouritsen. Endlich finden sich viele Fotos der Ruinen, die zwei der in die archäologische Situation einführenden Artikel illustrieren.

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