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Porträt einer neuen Bürgerlichkeit? Der Lübecker »Herr mit der großen Nase«

Das Lübecker St. Annen- Museum hat kürzlich bereits das dritte Bild des spätmittelalterlichen Malers Jacob Claesz. van Utrecht erworben: ein Porträt des Kaufmanns Mathias Muhlich. Was es damit auf sich hat, verrät Stefan Diebitz.

Jacob Claesz. van Utrecht, Porträt des Mathias Mulich, um 1522 © Lübecker Museen
Jacob Claesz. van Utrecht, Porträt des Mathias Mulich, um 1522 © Lübecker Museen

Man weiß nicht viel über van Utrecht. Als er kurz nach 1500 in Lübeck ankam, damals eine prosperierende Handelsstadt mit sehr wohlhabenden Kaufleuten, die man wenig liebevoll, aber auch heute noch zutreffend »Pfeffersäcke« nannte, gab es dort so viele Künstler, dass einige schon wieder abwanderten. Van Utrecht aber malte Porträts, und damit stieß er offensichtlich in eine Marklücke und konnte erfolgreich seine Werkstatt etablieren, bis er irgendwann nach 1520 wieder abwanderte – diesmal in Richtung Baltikum. Das jetzt ersteigerte Porträt eines offenbar sehr gut gestellten und entsprechend selbstbewussten Lübecker Bürgers aus ursprünglich Nürnberger Familie wird auf ungefähr 1522 datiert.

Es kamen einige günstige Umstände zusammen, welche die Ersteigerung bei Christie’s in New York erleichterten. Es fanden sich Geldgeber, und nicht allein die Kulturstiftung Deutscher Länder, sondern auch ein ungenannter Finanzbeamter, der mit seinem Testament den Ankauf von Kunst dieser Zeit unterstützen wollte. Hilfreich war die Erkenntnis, dass die Besitzgeschichte des Bildes – es geht natürlich um die Jahre 1933 – 1945 – keinerlei Gefahren barg; andernfalls hätte nicht mitgesteigert werden dürfen. Gesprochen wird jetzt von einem Preis, der bei ungefähr 350 000 Dollar gelegen hat.

Jacob Claesz. van Utrecht, Gavnø-Retabel, 16. Jahrhundert © Lübecker Museen
Jacob Claesz. van Utrecht, Gavnø-Retabel, 16. Jahrhundert © Lübecker Museen

Erst vor zwei Jahren konnte das Gavnø-Retabel desselben Künstlers angeschafft werden, benannt nach einer kleinen dänischen Insel südlich von Seeland. Das Porträt von Mathias Mulich ist deshalb so wichtig für das Museum, weil es, anders als die beiden anderen Bilder desselben Künstlers, nicht sakralen Charakters ist. Seine Bildnisse stellten wahrscheinlich einen Grund für seinen Erfolg in Lübeck dar, denn dort herrschte Mangel an guten Porträtisten. Es gibt etliche bekannte Porträts aus der Hand dieses Malers, die alle demselben Schema folgen: Sie zeigen den Porträtierten in nach links gewendeteter Dreiviertelansicht vor einem meist dunklen Hintergrund. Neben ihnen ist das Familienwappen zu sehen. Auch das Porträt des Mathias Mulich folgt diesem Schema.

Allerdings finden sich auch einige interessante Punkte. In der Hand trägt Mulich einen Strauß Veilchen, der wohl als Zeichen der Demut zu interpretieren ist. Seine Kette aber widersetzt sich einem Verständnis, denn der Greif ist eigentlich das Wappentier seiner zweiten Ehefrau. Sein eigenes Wappen ist rechts neben seinem Kopf zu sehen; es zeigt einen Farbigen mit zwei Fackeln. Auffallend, ja das Bild dominierend ist die große Nase Mulichs, die im ersten Augenblick an eine Karikatur denken lässt – ein Verdacht, der sich bei näherem Betrachten aber von selbst erledigt.

An der Museumskasse kann ein Heft von 126 Seiten und einer Fülle recht guter Abbildungen erworben werden, das das Museum anlässlich des Erwerbs des Retabels zusammen mit der Kulturstiftung der Länder herausgegeben hat; in einem Anhang findet sich auch der oben zitierte Beitrag von Jan Friedrich Richter über das eben erst erworbene Porträt. Sonst beschäftigt sich die ziemlich umfangreiche Broschüre mit dem Retabel. Stephan Kemperdick stellt in seinem Beitrag Fragen zur Biografie des vielleicht aus Antwerpen stammenden Künstlers, die deutlich machen, wie wenig wir tatsächlich über ihn wissen: »Hat er die Stadt an der Schelde […] von Lübeck aus besucht […] und Dürer kennengelernt […]? Und könnte er dort etwas später vielleicht auch eine neue Form des Bildnisses vor Landschaft aufgegriffen haben? War er ein Chamäleon, das durch wiederholte Kontakte mit dem Westen seine Kunst in etwas eklektischer Weise modifizierte? Importierte er fertige Gemäldetafeln oder lockte er Mitarbeiter aus den Niederlanden nach Lübeck?«

Jan Friedrich Richters Einschätzung der künstlerischen Bedeutung des Malers ist nicht enthusiastisch. Mit persönlichen Bekanntschaften erklärt er die relative Fülle der Aufträge. »Mit seiner Malweise konnte sich Jacob Claesz. deutlich von den üblicherweise in Lübeck hergestellten Werken absetzen, was durchaus dem gesteigerten Repräsentationsbedürfnis dere damaligen Zeit entsprach. Dass seine Werke dabei ein handwerklich gutes Niveau nicht überschritten, konnte angesichts der mangelnden Konkurrenz in der Hansestadt kaum auffallen […].« Richter schließt sich vorbehaltslos der Einschätzung Max J. Friedländers von 1941 an: »In Antwerpen Einer von Vielen, wurde Jacob hier der Erste.« Trotzdem ist der Erwerb für das ohnehin schon reich bestückte St. Annen-Museum vorbehaltlos zu begrüßen, weil es die Sammlung des Hauses um eine wichtige Facette bereichert.

Weitere Informationen

Die zitierte Bröschüre »Das Gavnø-Retabel von Jacob von Utrecht mit einem Nachtrag zum Porträt des Mathias Mulich« kann an der Museumskasse erworben werden.

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