Rezensionen

R.B. Kitaj: In Our Time – Covers for a Small Library after the Life for the Most Part, Schirmer/Mosel 2020

R.B. Kitaj (1932–2007) war ein jüdischer Künstler, der sich immer zwischen allen Stühlen fühlte: als Amerikaner in Europa, als Jude in einer spürbar antisemitischen Umgebung, als Popart–Künstler, der den Weg zurückfand zu einer figurativen und traditionell gemalten Malerei. Mit einer Siebdrucksammlung von Bucheinbänden und Schutzumschlägen aus dem Jahre 1969, einem Schicksalsjahr, in dem seine erste Frau Elsie Roessler den Freitod wählte, steckte er einen Horizont seines Weltbildes ab. Walter Kayser hat sich das von Schirmer&Mosel vorbildlich edierte Buch angesehen.

Cover © Schirmer&Mosel
Cover © Schirmer&Mosel

Lange Zeit sah es tatsächlich so aus, als liefe es in puncto Lesen auf einen weltanschaulichen »Endkampf« hinaus. Ein Konflikt spitzte sich immer leidenschaftlicher zu zwischen denjenigen, die als innovative »digital natives 2.0« mit nichts als einem »ebook–reader«, auf dem ganze Bibliotheken bereit lagen, ihre intellektuellen Bedürfnisse stillen, und jenen Ewiggestrigen auf der anderen Seite, die das analoge Buch als haptisches Erlebnis nicht lassen wollen. Mochten die einen sich damit entschuldigen können, dass sie mit federleichten Schritten virtuell durchs Leben tänzeln und nicht mehr den Ballast ganzer Bücherwände brauchten, so neigten die anderen dazu, protzend ihre Bibliophilie oder gar Sammelmanie in überfüllten Regalbrettern zur Schau zu stellen. Für diese sind Texte keine Wegwerfartikel für den Liegestuhl am Strand, sondern elementare Lebensmittel, treue Freunde, von denen man sich umgeben weiß, ja libidinös besetzte Partner bis zum Tode, die man in die Hand nimmt, um darüber zu streichen und sie zärtlich zu streicheln. Auf sie alle ist jene Anekdote um Anatole France gemünzt, von der Walter Benjamin in seinem berühmten Essay »Ich packe meine Bibliothek aus« im Jahre 1931 erzählte: Als der Schriftsteller einem Banausen durch seine Bibliothek führte, sei er mit der (allzu üblichen) Frage konfrontiert worden: »Und das haben Sie alles gelesen, Herr France?« – »Nicht ein Zehntel. Oder speisen Sie vielleicht täglich von Ihrem Sèvres?«
Benjamin wusste, wovon er sprach, denn trotz aller Schulden, die ihn sein Leben lang begleiteten, konnte er das Sammeln von Büchern, insbesondere von skurrilen Kinderbüchern, nicht lassen. Der Künstler Kitaj war offensichtlich demselben Laster verfallen. Für ein Selbstbildnis von 1990/91 wählte er bewusst in Anspielung auf Benjamin den Titel »Unpacking my Library«.

Wir haben es nicht vergessen/ Nous n'avons pas obliés/ We have not forgotten (ein SS-Mann erschießt von hinten eine Mutter, die ihr Kind umklammert) © RB Kitaj Trust/ courtesy Schirmer/Mosel
Wir haben es nicht vergessen/ Nous n'avons pas obliés/ We have not forgotten (ein SS-Mann erschießt von hinten eine Mutter, die ihr Kind umklammert) © RB Kitaj Trust/ courtesy Schirmer/Mosel

R.B. Kitaj wurde 1931 als Sohn des Ungarn Sigmund Benway und der russisch–jüdischen Emigrantentochter Jeanne Brooks geboren. Weil er in den 50er Jahren mit einem Stipendium am »Royal College of Art« studieren konnte, siedelte er sich in London an. Dort avancierte der US–Amerikaner bald zu den Größen der britischen Popartszene. Aber obgleich er die Anregungen der großen amerikanischen Künsteler wie Rauschenberg oder Roy Lichtenstein nach Europa vermittelte, blieb er in seiner transatlantischen Heimatlange Zeit nahezu unbekannt. Noch prägender wurde er allerdings als zentrale Figur in der Künstlerbewegung der »School of London«, jener berühmten lockeren Assoziation, die sich dem Wiederaufleben einer realistischen, figurativen Malerei verschrieben hatte und die durch klangvolle Namen wie Francis Bacon, David Hockney oder Lucian Freud repräsentiert war. Nach großen Erfolgen und Ausstellungen, unter anderem auf der »documenta« 3,4 und 6, wandte er sich mehr und mehr den bohrenden Fragen seiner jüdischen Herkunft und Identität zu. 1994 wurde dann ein Jahr der erneuten Wende: Die große Schau seiner Werke in der Londoner »Tate Gallery« geriet wegen der fast einhelligen Verrisse zu einem Desaster, das er nur als »Tate War« bezeichnete. R.B. Kitaj zog sich bald in die USA zurück. In Los Angeles schied er 2007 freiwillig und verbittert aus dem Leben.

La Lucha del pueblo Español por su Libertad © RB Kitaj Trust/ courtesy Schirmer/Mosel
La Lucha del pueblo Español por su Libertad © RB Kitaj Trust/ courtesy Schirmer/Mosel

Der Kunsthistoriker Eckhart Gillen hat bereits Kitajs Autobiographie »Bekenntnisse eines alten jüdischen Malers« herausgegeben und 2012 die große Retrospektive »Obsessions« im Berliner Jüdischen Museum kuratiert. Er hat den instruktiven Einleitungstext zu diesem Buch geschrieben, das vom Verlag Schirmer&Mosel vorbildlich gleich in drei Sprachen ediert wurde. – Worum geht es? Unter dem Titel »In our Time. Covers for a Small Libary after the Life for the Most Part« hat der Künstler 50 Blätter in Foto und Farb–Siebdrucktechnik veröffentlicht. Jedes einzelne stellt einen Schutzumschlag bzw. einen Einband oder Buchrücken mit ihrer eindrücklichen Kombination von typologischer und grafisch–bildnerischer Gestaltung vor. Da ist zunächst der Anreiz des angekündigten Inhalts, dann aber auch die Wahl der Schrifttype, – größe, –platzierung und –verteilung, die Farbgestaltung und grafische Aufteilung des Formats. Kitaj collagiert auch schon mal selbstständig eine Fotografie hinein. Allein die Zusammenstellung lässt bereits erkennen, was ihm wichtig war: alte, mit Gebrauchsspuren und einer sichtlichen Patina versehene Titel aus der russischen Geschichte (Trotzki, Gorki), Antifaschistisches wie Liedersammlungen aus dem Spanischen Bürgerkrieg, Alltagsbroschüren, Judaica, Malermonographien über Mark Rothko oder Edward Hopper, etwa in der Reihe »The Penguins Modern Painters«. Das Ganze erinnert etwas an jene Robinsonadenspiele, bei denen man, um den Charakter prägnant zu erfassen, sein Gegenüber befragt, welches Bild, welche Musik und welches Buch unbedingt auf die einsame Insel mitgenommen werden müsste. Eine imaginäre Bibliothek als lebensnotwendiges Fluchtgepäck.

R.B. Kitajs 1969 publizierte Sammlung von Bucheinbänden und Schutzumschlägen ist aus zwei kunsthistorischen Wurzeln erwachsen: Da ist zum einen die Technik des Farbsiebdrucks, der sich gerade bei den Popartkünstlern größter Beliebtheit erfreute. Hier fand Kitaj in dem Londoner Drucker Christ Prater einen kongenialen Fachmann, der auf all seine Wünsche bereitwillig einging und die Buchcover mit ihren verblassten Farben, mit ihren Einrissen, ihrer Leinenprägung, ihren Verschattungen und Vergilbungen nuanciert auf Silkscreens reproduzierte.
Und zum anderen ist da der explizite Bezug zu den »Ready–mades«, die Marcel Duchamps seit 1913 zu Kunstwerken erklärte: Der kreative Akt des Künstlers beschränkt sich auf die Auswahl des vorgegeben Objekts. Es wird ihm jeglicher Kontext genommen, gerade dadurch gewinnt es an Eigenleben und Vielbezüglichkeit. Denn entscheidend ist, dass das Buch seine Erklärung durch den im Innern folgenden Lesestoff verliert. Allein das Cover mit seinem (häufig) poetischen Anreiz und seinen Verheißungen zählt, der Titel wird wieder zu einem offenen Versprechen, zum Imaginationstrigger, der Assoziationsreichtum anstößt. So wird das In–die–Hand–Nehmen von Büchern (oder, wie man auch bezeichnenderweise sagt: ihr In–die–Hände–Fallen) zu jener Proustschen »mémoire involontaire«, welche Bilder und Zeitfragmente in neuem Verbund zusammenführt.
Das vorliegende Buch markiert eine Schnittstelle im Œuvre Kitajs. Es lässt Montage und Collage am Ende der Popart–Phase hinter sich und leitet eine Rückwendung zur Malerei, Zeichnung und traditionellen Handarbeit ein, mit der sich zugleich auch immer deutlicher Fragen nach der eigenen jüdischen Identität in den Vordergrund drängten.


R.B. Kitaj »IN OUR TIME. Covers for a Small Library after the Life for the Most Part«
Mit einem Text von Eckhart Gillen
Deutsch/englisch/französische Ausgabe
Verlag Schirmer/Mosel. München März 2020

144 Seiten, 50 Farbtafeln
Format: 24 x 31 cm, gebunden

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