Buchrezensionen

Reinhard Kaiser: Der glückliche Kunsträuber. Das Leben des Vivant Denon, C.H. Beck 2016

Es ist eine zwiespältige Person, dieser Vivant Denon, dem Reinhard Kaiser sein Lebensbild widmet. Allein der Name: Vivant. Und dann die Fähigkeit, sowohl unter der grausamen Revolutionsregierung im Frankreich an der Wende zum 19. Jahrhundert, als auch unter dem verhassten und zugleich bewunderten Kaiser Napoleon, sein Museum, den heutigen Louvre mit Leidenschaft und Verve zu leiten. Zeit, die Persönlichkeit dieses Mannes einmal genauer zu erkunden. Reinhard Kaiser hat das getan. Stefanie Handke hat sich in sein Buch vertieft.

Es ist eine zwiespältige Persönlichkeit, die dem Leser da begegnet: Einerseit idealistisch, andererseits aber auch aufstiegsorientiert und geradezu opportunistisch. Auf den ersten Blick hat man es in Vivant Denon mit einem zu tun, der sein Leben der Kunst voll und ganz verschrieben hat. Zunächst wollte er Künstler werden, sah sich aber auch als jemand, der seinem Namen Rechnung tragen muss – als einen Lebemann im besten Sinne. So suchte er früh Kontakt mit dem französischen Hof, konnte sich dort platzieren und reiste auf einigen Missionen durch Europa bis er schließlich in Venedig landete. Dort war er umtriebig, zeichnete und skizzierte, begann aber auch, eine eigene Sammlung anzulegen – und traf die Liebe seines Lebens, Isabella Teotochi Marin, an die er bis zu seinem Tod immer wieder innige Briefe schrieb, die zugleich auch ungeheuer viel über sein Leben mit der Kunst berichten und aus denen der Autor immer wieder zitiert.

Mit Beginn der französischen Revolution musste Denon dann um seine Versorgung fürchten, war es doch unklar, ob er der neuen Regierung als Emigrant, dessen Besitz zu konfiszieren sei, galt oder nicht. Die Bezüge, die er zuvor vom Hof erhalten hatte, waren in jedem Fall dahin. Wie also den Lebensstandard halten? Mit dem, wovon der Lebemann am meisten verstand: Der Kunst. Vivant Denon begann, mit Kunstwerken, alten wie zeitgenössischen, zu handeln, auch seine eigenen Werke zu drucken und in kleiner Auflage zu verkaufen. Sein Status in Venedig war dabei immer ungeklärt: Die venetische Inquisition beobachtete ihn, wusste nicht, ob er mit den Revolutionären sympathisierte oder nicht; in Frankreich dagegen war seine Existenz gefährdet, wenn Denon nicht glaubhaft versichern konnte, mit den neuen Machthabern zu sympathisieren. Schließlich erfolgte die Ausweisung, deren Grund aber wohl eher eindeutige Radierungen gewesen sein müssen als seine politische Haltung.

Also zurück nach Frankreich! Auch hier betätigte sich der Vivant als Kunsthändler, verkaufte aus seinem Bestand, kaufte und verkaufte aber auch Werke. Zugleich platzierte er sich erneut günstig, sodass etwa Jacques-Louis David auf ihn aufmerksam wurde und er im Umfeld der Revolution tätig werden konnte. So sollte er von David entworfene Kostümentwürfe für die französischen Bürger als Radierungen ausführen und so für ihre Verbreitung sorgen, aber auch dessen Gemälde vom »Ballhausschwur« (1791) als Druck aufbereiten. Das rückte ihn in eine fragwürdige Nähe zu den Protagonisten der Terreur, schadete ihm aber nicht. Im Gegenteil: Mit dem erfolgreichen General Napoleon reiste Vivant Denon nach Ägypten und zeichnete die dort entdeckten Altertümer detailgetreu ab. Damit hatte er sein erstes größeres Projekt gefunden: Nach der Heimkehr machte der Künstler sich daran, seine Eindrücke in einem Bildband zu veröffentlichen. Fast hätte ihn das ruiniert – der Erfolg bereits der ersten Auflage des Foliobandes »Voyage dans la Basse et la Haute Egypte« gab ihm aber recht.

Viel bekannter aber wurde Denon dann als »Directeur général du Musée central des Arts« für die Museen der französischen Hauptstadt, der im Louvre seine Wohnung hatte und von dort aus die Sammlungen verwaltete. Dabei war er nur die dritte Wahl: Sein Freund Jacques-Louis David, aber auch Antonio Canova waren im Gespräch, lehnten aber beide ab. Also schaute sich Napoleon in der zweiten Reihe der zeitgenössischen Künstler um und trug das Amt schließlich Vivant Denon an. Damit hatte er wohl keine allzu schlechte Wahl getroffen; Denon hatte sich bis dato bereits einen vielleicht nicht großen, aber bekannten Namen als vielseitiger Künstler gemacht, der radieren, zeichnen, kopieren, porträtieren und karikieren konnte, und seinen Blick jahrelang geschult und ohne akademisches Studium eine große Sachkenntnis gewonnen.

Hier, im Louvre, begann sein eigentliches Lebenswerk. Nun war er für zahlreiche Sammlungen verantwortlich, darunter die Antikensammlung und Gemäldegalerie des Musée central, aber auch die Prägeanstalt für Gedenkmünzen oder das Kupferstichkabinett mit der dazugehörigen Druckerei. So war das Amt mehr als nur das eines Sammlungsdirektors, es war auch oft mit der Propaganda der französischen Regierung befasst. Zur Seite standen Vivant Denon dabei bereits seit Jahren beschäftigte, sachkundige Mitarbeiter wie der Leiter der Antikenabteilung, Ennio Quirino Visconti, mit dem er sich gut verstand und zusammenarbeitete, aber auch die Architekten Pierre-François-Léonard Fontaine und Charlec Percier, mit denen er sich um die Umbauten am Museum stritt. Denon begeisterte sich scheinbar schnell für sein neues Amt und schrieb seiner Freundin Isabella in Venedig entsprechende Briefe über die Aufgabenfülle, die ihn hier erwartete. Sein vordringliches Ziel scheint der Ausbau des Louvre selbst, aber auch seiner Sammlungen gewesen zu sein – und die Öffnung des Louvre für alle die Öffentlichkeit, sodass die hier ausgestellten Kunstwerke jedem zugänglich seien. Zugleich bemühte er sich darum, das Renommee »seines« Museums zu erhöhen und das mit einigem Erfolg. So weiß Reinhard Kaiser von englischen Besuchern zu berichten, die sich in ihren Reiseberichten äußerst angetan von ihrem Besuch im Louvre zeigen, aber auch von den Erinnerungen des Sammlers Sulpiz Boisserée, Helminas von Chézy. Auch Kritik, etwa von Heinrich von Kleist oder Karl August Varnhagen von Ense, versammelt der Autor, aber im Mittelpunkt steht ihm das große Renommee der Pariser Sammlungen.

Dabei scheint es ihn auch nicht gestört zu haben, im Sinne von Napoleons Allmachtsfantasien tätig zu werden. So überlegte dieser an einer Invasion Englands und beauftragte seinen Museumsdirektor, Werke für bereits erfolgte Invasionen zu suchen – unter anderem stieß Denon dabei auf den heute so berühmten Teppich von Bayeux und versuchte gar, eine Statue Wilhelm des Eroberers zu »fälschen«. Zwar verwarfen die Generäle den Plan schließlich, aber auch in den folgenden Jahren war die Tätigkeit Denons die eines Propagandabeauftragten und – Kunsträubers!

Napoleon beauftragte seinen Generaldirektor der Museen, als Sachverständiger bei der Beschlagnahmung von Kunstgegenständen in den durch napoleonische Truppen besetzten Gebieten zu wirken. Das tat Vivant Denon auch und muss in Europa bald verhasst gewesen sein. So sorgte er für den Abtransport von Antiken aus Italien, wählte Gemälde aus dem Berliner Schloss, ließ den Katalog der Inkunabeln und Handschriften aus der Wolfenbütteler Herzog-August-Bibliothek nach Paris senden, sorgte für die »Entführung« antiker Statuen etwa aus der Kasseler Sammlung, etc. Dabei zeigte er sich aber auch guten Argumenten zugänglich und ließ geschnittene Steine und antiken Münzen aus Kassel am angestammten Ort, argumentierte Ludwig Völkel doch, dass diese zu Lehrzwecken dienten. Auch in München und Wien entdeckte er Werke, wobei ihn vor allem die altdeutschen Meister faszinierten, er aber auch Rubens' »Himmelfahrt Mariae« abtransportieren ließ. In Spanien dagegen war seine Ausbeute eher mager und Napoleons Bruder wurde beauftragt, zu einem späteren Zeitpunkt einige Werke auszuwählen und nach Frankreich zu schicken. Das geschah freilich nicht zum Selbstzweck des Sammelns – die erbeuteten Kunstwerke sollten auch vom Ruhm der napoleonischen Armee künden. 1807 stellte sein Museum bereits die aus Deutschland mitgenommenen Kunstwerke aus, einige wanderten in die ständige Ausstellung, und 1814, bereits nach dem Fall Napoleons, zeigte er Kunstgegenstände aus den aufgelösten italienischen Klöstern.

Zwar gab es am Beginn des 19. Jahrhunderts freilich keine völkerrechtliche Regelung für den Umgang mit Kulturgütern, jedoch scheint er sich der heiklen Situation bewusst gewesen zu sein. So vermutet Kaiser, dass die noch 1814 ausgestellten Werke auf diese Weise als Teil der Louvre-Sammlung wahrgenommen werden sollten, auf dass sie in Paris blieben. Die Befürchtung war wohl auch nicht unberechtigt, reisten doch noch im selben Jahr Sachverständige aus den geplünderten Sammlungen nach Paris, um die ihnen fehlenden Kulturschätze zunächst ausfindig zu machen und hoffentlich auch zurückzuholen, Doch sie wurden enttäuscht: Der Pariser Friedensvertrag enthielt keine Klausel zu den geraubten Kunstgütern, auch Denon blieb im Amt. Erst nach dem Wiener Kongress zeichnete sich ein anderes Bild: Die Militärs hatten nun auch die geraubten Kunstschätze im Visier und Denon dokumentierte die Ereignisse in Briefen seiner Ansprechpartner, die er kommentierte. Friedrich von Ribbentrop forderte am 8. Juli 1815 die aus Preußen mitgenommenen Kunstgüter zurück und sah sich einige Zeit später gar genötigt, ihm mit Verschleppung zu drohen, sollte Denon nicht entgegenkommender sein.

Nach und nach forderten zunächst die deutschen Staaten, dann auch die Niederlande, Österreich, Spanien, etc. ihre Raubkunst zurück und Denon muss mit ansehen wie das, was er aufgebaut hat, wieder zerfällt. Schließlich trat er von seinem Amt zurück und blieb nunmehr bis zu seinem Lebensende Privatier und experimentierte mit der neu entwickelten Technik der Lithografie herum, deren Erfinder Alois Senefelder er 1809 kennen gelernt hatte. Sein letztes großes Druckwerk, das seine Privatsammlung wiedergeben sollte, mussten aber seine Neffen und Erben vollenden. Ende April 1827 starb er und hinterließ ihn auch diese umfangreiche Sammlung, die sie schließlich in drei Auktionen versteigern ließen und deren Katalog sowohl die Sammlung als auch Denon selbst repräsentiert. Ihm widmet Reinhard Kaiser abschließend einen kleinen Blick. Darin finden sich zwar auch viele falsche Zuschreibungen, aber auch eine Anzahl großer Meister wie Dürerm Rembrandt, Rubens, Chardin, oder Fra Angelico, aber auch Zeitgenossen wie Fragonard oder Prud'hon, daneben antike und ägyptische Antiqutäten, mittelalterliche Werke, zahlreiche Druckgrafiken und Bücher sowie Kunst aus Asien. Damit endet die Geschichte des Vivant Denon. Reinhard Kaiser hat hier ein quellenreiches, munter geschriebenes Sachbuch vorgelegt, das zunächst einen Blick in die gehobene Gesellschaft des 18. Jahrhunderts wirft, dann aber das Lebensbild eines Mannes entwirft, der zahlreiche Besucher seines Museums mit seiner Leidenschaft für die Kunst angesteckt haben mag. Kaisers Stärke ist dabei der Rückgriff auf ein reichhaltiges Material an Briefen und Anekdoten, die dem von ihm beschriebenen Denon Farbe verleihen, verhehlen aber auch nicht eine gewisse Sympathie für diesen.

So ganz ist man sich am Ende des Buches nicht sicher, was für eine Persönlichkeit man da auf gut 350 Seiten kennen gelernt hat: Denon war ein leidenschaftlicher Liebhaber der Kunst und hat diese lebenslang über alle anderen Fragen gestellt. Dabei scheute er sich nicht, seine Dienste den wechselnden französischen Machthabern anzubieten: Für Ludwig XVI. war er auf diplomatischer Mission unterwegs, für der Revolutionsregierung radierte er die Entwürfe für eine regelrechte Bürgeruniform und unter Napoleon baute er die Sammlung des Louvre unter den fragwürdigen Bedingungen von dessen Feldzügen aus. (Im Übrigen verblieben zahlreiche Werke, insbesondere aus Italien im Louvre, da die italienischen Abgesandten 1815 nicht alle Werke zurückforderten.)

War er also ein Opportunist? Man weiß es nicht so recht, denn in Bezug auf das Schöne scheint er stets Idealist geblieben zu sein. Ihm war es ein Anliegen, seinen eigenen Blick, aber auch den der Öffentlichkeit, für die Kunstgeschichte zu schärfen – kein Wunder, dass seine eigene Sammlung ein einziger Ritt durch die Geschichte war. Vivant Denon war ein Diener der Kunst. Punktum.

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