Ausstellungsbesprechungen

Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten? Städel Museum Frankfurt. Bis 23. März

Pickenoy, Flinck, van der Helst, Backer und natürlich Rembrandt: Die Meister der niederländischen Gruppenbildnisse gehören bis heute zum bewunderten kunsthistorischen Kanon. Doch nicht einem einzelnen Künstler oder einer seiner Auftragsarbeiten widmet das Frankfurter Städelmuseum die Winterausstellung. Mit der Präsentation von rund 100 Gemälden, Skulpturen, Druckgraphiken und Gebrauchsgegenständen wagen Kurator Jochen Sander und Projektleiterin Corinna Gannon anscheinend Widersprüchliches: Sie feiern die Malerei der Rembrandt-Zeit und befragen gleichzeitig ihre gesellschaftlichen Produktionsbedingungen. Fürs PKG ließ Torsten Kohlbrei seine Kunstwahrnehmung auf die Probe stellen: Was und wer glänzte in diesen „goldenen Zeiten“?

Nicolaes Eliasz Pickenoy (1588–1650/56) oder Werner van den Valckert, (zugeschrieben), Die Osteologie-Vorlesung des Dr. Sebastiaen Egbertsz, 1619
Nicolaes Eliasz Pickenoy (1588–1650/56) oder Werner van den Valckert, (zugeschrieben), Die Osteologie-Vorlesung des Dr. Sebastiaen Egbertsz, 1619

Es ist kalt in Deutschland. So soll es im Winter sein. Die Tage kurz, die Temperaturen niedrig. Im wohligen Gefühl dieser saisonalen Normalität können wir mit Lichterketten, Wintermärkten und ganz viel Süßem ein wenig Schutz vor äußerer und innerer Kälte suchen. Traditionell leisten Museen dazu gerne ihren Beitrag und bieten zum Jahreswechsel – soweit die Budgets reichen – große Namen und bekannte Bilder, die das Herz wärmen. Vielleicht hatte der Kurator und Stellvertretende Museumsdirektor Jochen Sander auch diese Regel publikumswirksamer Museumsarbeit im Hinterkopf, als er auf der Pressekonferenz im November lakonisch bemerkte, dass Rembrandt und Beckmann in Frankfurt immer gehen.
In jedem Fall bietet das Städelmuseum mit der Ausstellung „Rembrandts Amsterdam“ viel fürs Auge. Im Mittelpunkt stehen großformatige Gruppenporträts aus dem Amsterdam Museum, auf denen die Elite der Stadt ihren Einsatz in einer Bürgerwehr (Schützenstück), einer Berufsgemeinschaft (Gildenstück) oder Fürsorgeeinrichtung (Regentenstück) feiert. Teures Leinen knistert, der Reichtum funkelt und die Malerei selbst wirkt so exquisit wie die von ihr zur Schau gestellte Szenerie.

Ausstellungsansicht „Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten?“ Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz
Ausstellungsansicht „Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten?“ Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz


Bartholomeus van der Helst ist mit zwei späten Gruppenporträts vertreten: Seine Vorsteher des Hakenbüchsen-Schützenhauses („Kloveniersdolen“, 1655) und die des Armbrust-Schützenhauses („Voetboogdoelen“, 1656) zeigen eindrucksvoll, wie sich die Bildaufgabe seit Dirck Jacobsz „Eine Rotte Schützen“ (1529) von der eher additiven Darstellung der Porträtierten zur eindrucksvollen Demonstration des gesellschaftlichen Engagements entwickelt hat. Mitte des 17. Jahrhunderts werden die Einzelporträts harmonisch zum Gesamtbild einer mal geselligen, mal eher verantwortungsvoll beschäftigten, stets aber kollegialen Zusammenkunft des jeweiligen Führungskreises komponiert.

Unbekannter Amsterdamer Künstler, Bildnis des „Malle Baandje“ (Barend Jansz Bode, ?–1719?), ca. 1700
Unbekannter Amsterdamer Künstler, Bildnis des „Malle Baandje“ (Barend Jansz Bode, ?–1719?), ca. 1700


Zu diesem Rahmen gehört auch „dienendes Personal“, das nicht als Typus, sondern – so Norbert E. Middelkoop in seinem Katalogaufsatz – als Individuum abgebildet wird.
Verglichen mit der hierarchischen Weltordnung adeliger Herrscher könnten die Schützen-, Gilden- und Regentenstücke als Bilder bürgerlicher Selbstbestimmung, einem Ausdruck von Freiheit und Vernunft gelesen werden. Doch solch einen unkritischen Kunstgenuss will das Städelmuseum nicht zulassen. Gern schmückt man sich mit der handwerklichen Meisterschaft, doch bereits das dem Untertitel „Goldene Zeiten“ zugefügte Fragezeichen deutet an, dass der Blick des Connaisseurs für die Basis des bildgewordenen Reichtums sensibilisiert werden soll; also für jene „aggressive Handelspolitik der Vereinigten Niederlande, deren Grundlage der Aufbau von Kolonien in Asien und Südamerika sowie die Versklavung und Ausbeutung von Menschen war“ (Presseinformation zur Ausstellung). Die Besucher sollen die Täter in der großbürgerlichen Inszenierung erkennen.
Das um 1565 noch 30.000 Einwohner zählende Amsterdam entwickelte sich nach der „Alteratie“ (= Veränderung), als die katholische Stadtregierung 1578 durch eine protestantische Führung abgelöst wurde, bis 1662 zu einer Stadt mit über 200.000 Einwohnern, für die das Städel in seinen Ausstellungstexten nur Superlative kennt: „Megacity“, „die Metropole Europas im 17. Jahrhundert“.

Arent Arentsz, genannt Cabel (1585–1631), Winterszene auf der Amstel, ca. 1621
Arent Arentsz, genannt Cabel (1585–1631), Winterszene auf der Amstel, ca. 1621


Geführt wurde das wirtschaftliche und kulturelle Schwergewicht von einer bürgerlichen Elite, die Religions- und Gedankenfreiheit zuließ, gleichzeitig mit den Ostindischen und Westindischen Handelskompanien ab 1602 bzw. 1621 skrupellos auf die Ausbeutung der „neuen“ Welt setzte. Doch auch innerhalb der mehrfach erweiterten Stadtmauern (ab 1585, ab 1613, ab 1656) führten die wirtschaftliche Dynamik, verbunden mit der gewaltigen Zuwanderung neuer Einwohner zu Verwerfungen. Zudem musste die Kranken- und Altersversorgung neu geordnet werden, nachdem infolge der „Alteratie“ die katholischen Einrichtungen geschlossen worden waren.

Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606–1669), Bettler, auf einem Erdhügel sitzend, 1630
Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606–1669), Bettler, auf einem Erdhügel sitzend, 1630
Jacob Colijns (1614/15–1686) Kopie nach Rembrandts Nachtwache, ca. 1653–1655 Aquarell auf Papier 148 × 197 mm Amsterdam, Rijksmuseum (Leihgabe Jonkheer J. de Graeff)
Jacob Colijns (1614/15–1686) Kopie nach Rembrandts Nachtwache, ca. 1653–1655 Aquarell auf Papier 148 × 197 mm Amsterdam, Rijksmuseum (Leihgabe Jonkheer J. de Graeff)


In Frankfurt sind dieser anderen Seite der ehemals „Goldenes Zeitalter“ genannten Jahre eine ähnliche große Zahl an Räumen und Ausstellungsabschnitten wie der großbürgerlichen Repräsentation gewidmet. Gemälde von Jan Victors führen in den Alltag der stets in den Stadtfarben gekleideten Bewohner des Bürgerwaisenhauses. Diese Tracht ist Besuchern der ständigen Sammlung des Städels durch ein Gemälde von Max Liebermann (1881/82) bestens bekannt, denn die Trachten wurden noch bis 1919 getragen. Während im „Burgerweeshuis“ nur Kinder von verstorbenen Amsterdamer Bürgern untergebracht wurden, die hier auf ein Leben als Handwerker oder Ehe- und Hausfrau vorbereitet wurden, führen die kleinformatigen Radierungen Rembrandts zu den Bedürftigen jenseits des Mittelstands und der bürgerlichen Ordnung. Die Blätter – ein Schatz mehrheitlich aus dem Besitz des Städels – machen das Unwürdige bildwürdig und stellen daher einen wichtigen Kontrast zu den Gruppenporträts dar.

Ausstellungsansicht „Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten?“ Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz
Ausstellungsansicht „Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten?“ Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz


Trotzdem können 30 Radierungen, dazu drei Zeichnungen und ein Ölfragment auf Leinwand (Anatomie-Vorlesung des Dr. Jan Deijman, 1656) nicht darüber hinwegtäuschen, dass Rembrandts Amsterdam hier praktisch ohne Rembrandt gezeigt wird. Natürlich kann niemand erwarten, dass Rembrandts „Vorlesung des Dr. Nicolaes Tulp“ (1632), seine „Nachwache“ (1642) oder die „Staalmeesters“ (1662) nach Frankfurt reisen durften. Deshalb wäre angesichts des thematischen Ansatzes das Fehlen von Schlüsselgemälden des bekanntesten niederländischen Malers vielleicht nicht auffallen, wenn die Ausstellung nicht auch Rembrandts Amsterdam ohne Amsterdam zeigen würde. Denn dem Kurator Jochen Sander und der Projektleiterin Corinna Gannon gelingt der Spagat zwischen Kunstschau einerseits und historischer Ausstellung andererseits letztlich nicht. Liebevoll wurden von Aechje Oetgens, einer Regentin des Bürgerwaisenhauses, bis zum Aktmodell Maria Jonas sieben „Ankerfiguren“ aus Bildern buchstäblich herauskopiert und vergrößert neben die Exponate gestellt, um Interesse für die Darstellung ihrer Geschichte und historischen Position zu schaffen. Auf der Website des Städelmuseums werden diese beispielhaften Biographien darüber hinaus in einem kleinen Film zum Leben erweckt. Auch alle Wandtexte bemühen sich um die sozialgeschichtliche Einordnung. Dennoch bleibt die Wirklichkeit hinter der eleganten Fassade beim Gang durch die Ausstellung merkwürdig wenig greifbar. Und trotz der Pläne zur Stadterweiterung sowie den Bildern vom neuen Rathaus – das von Jochen Sander versprochene Gefühl von einem „Amsterdam am Main“ will sich nicht einstellen.


So zeigt sich wohl an diesem ambitionierten Projekt, dass Kunstmuseen bei der politisch-bewussten Einordnung ihrer Exponate noch am Anfang stehen. In Erinnerung bleiben die Bilder: Die Lichtreflexe auf schwarzem Stoff und diese bis heute treffenden, aufreizend selbstbewussten Blicke aus einer gar nicht goldenen Zeit.


Ausstellungskatalog
Autor: Jochen Sander (Hrsg.)
Titel: Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten?
Verlag: Hirmer, München
280 Seiten, Farbig und s/w
Sprache Deutsch
ISBN: 978-3-7774-4408-6

Cover © Hirmer Verlag
Cover © Hirmer Verlag

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